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Konnektivität bei Nachhaltigkeitsinnovationen

Konnektivität bei Nachhaltigkeitsinnovationen

In den verschiedenen Entwicklungsphasen der Managementlehre sind spezifische Konnektoren entstanden, die die Aufgaben von Führungskräften verbinden. Die Komplexitätsbewältigung bei Nachhaltigkeitsinnovationen erfordert neue Formen der Konnektivität.

 

In diesem Blogpost erläutern wir die zunehmende Bedeutung eines gemeinsamen Designs von Stakeholder-Systemen für sektorübergreifende Innovationsprogramme von Wissenschaft, Politik, Wirtschaft und Gesellschaft.

 

Green Transition der BASF

Der Chemiekonzern BASF plant einen Systemwechsel, bei dem das Unternehmen fossile Rohstoffe durch biobasierte ablösen möchte. Außerdem soll die Prozessenergie aus grünem Strom statt aus Gas kommen. Weitere Schwerpunkte sind die Entwicklung von CO2-freien Verfahren sowie der weitere Ausbau einer Kreislaufwirtschaft und der Digitalisierung. Das Ziel ist, bis 2050 die CO2-Emissionen auf null zu reduzieren.1 Für diesen Umbau der BASF passt der Begriff Green Transition. Allerdings muss sich hierzu in Deutschland die Versorgungslage mit erneuerbaren Energien verbessern.

Das Beispiel zeigt, dass die Unternehmensführung bei Nachhaltigkeitsinnovationen eine Reihe neuer Herausforderungen zu bewältigen hat. Ein Blick auf die Entwicklung der Managementlehre macht deutlich, welche verbindenden Kräfte in den verschiedenen Phasen entstanden sind. Diese Bindungskräfte bezeichnen wir als Konnektoren.

 

Konnektoren in verschiedenen Entwicklungsphasen der Managementlehre

Die Entwicklung der Managementlehre wurde durch neue Herausforderungen im Umfeld von Unternehmen geprägt. Diese Entwicklung gliedern wir in die folgenden Phasen:

  1. Die klassischen Management-Funktionslehren
  2. die Unterscheidung zwischen einer normativen, strategischen und operativen Managementebene
  3. die Entstehung der Querschnittsdisziplinen Innovations- und Nachhaltigkeitsmanagement sowie
  4. die Erweiterung der Shareholder- zu einer langfristig orientierten Multi-Stakeholder-Perspektive

Am Beginn der modernen Managementwissenschaft standen betriebswirtschaftliche Funktionslehren wie Beschaffung, Produktion, Vertrieb und Finanzen. Zur Bewältigung der damit verbundenen Komplexität bedurfte es spezifischer Konnektoren wie der Personalführung, verschiedener Organisationsformen, des Produkt- und Projektmanagements sowie einer gemeinsamen Kultur, die die Funktionsbereiche von Unternehmen verbinden.2

Als Ergänzung zu diesen Management-Funktionslehren entstanden in einer zweiten Entwicklungsphase die Ebenen eines normativen, strategischen3 und operativen Managements, die durch das Konzept eines integrierten Managements verbunden sind.4 Weitere Konnektoren im Rahmen dieser Entwicklungsphase sind eine Vision und ein Leitbild (Mission) sowie die operative Umsetzung von Strategien und das Performance Management mit Zielen, Leistungsmessgrößen und Ergebnissen.5

 

Lernprozess Innovationsstrategie

 

Eine dritte Entwicklungsphase begann mit der Entstehung der Querschnittsdisziplinen des Innovations-6 und des Nachhaltigkeitsmanagements,7 die klassische Aufgaben durchdringen.8 Der Begriff Nachhaltigkeitsinnovation und das Kunstwort Sustainovation beschreiben die Schnittmengen zwischen diesen Disziplinen.9 Wichtige Konnektoren in dieser dritten Phase sind unter anderem neue Führungsrollen und die Fähigkeit zur Verbindungsarbeit.

 

Neue Führungsrollen und die Fähigkeit zur Verbindungsarbeit

Angesichts der Digitalisierung und des Klimawandels ist neben dem strategischen und dem operativen Management die Bedeutung des Innovations- und des Nachhaltigkeitsmanagements gestiegen. Im Zuge dieser Entwicklung sind neue Führungsrollen wie die eines Chief Innovation Officers (CINO), eines Chief Digital Officers (CDO) und eines Chief Sustainability Officers (CSO) entstanden. Aufgrund der Entwicklungsdynamik verwundert es nicht, dass Unternehmen die verbindenden Rollen dieser Führungskräfte unterschiedlich interpretieren.10 Zwischen dem strategischen und dem operativen Managements sowie dem Innovations- und dem Nachhaltigkeitsmanagement gibt es verschiedene Schnittmengen. wie z.B. das strategische Nachhaltigkeitsmanagement (SNM), die Aufgaben mit einem hohen Koordinationsbedarf beschreiben.

 

 

Innovations- und Nachhaltigkeitsmanager benötigen als Systemgestalter, die verschiedene Systembausteine integrieren und mit anderen internen und externen Akteuren interagieren, eine spezifische Fähigkeit zur Verbindungsarbeit (Nexus Work).11 Zu der Rolle eines internen Brückenschlägers kommt die eines sektorübergreifenden Mittlers zwischen Wirtschaft, Wissenschaft, Politik und Gesellschaft. Das traditionelle Studium der Ingenieur- und Managementwissenschaft vermittelt die hierzu erforderlichen Fähigkeiten nur unzureichend.

Der Personal- und Führungskräfteentwicklung stellt sich daher die Aufgabe, diese verbindenden Fähigkeiten in einer praxisorientierten Weise zu trainieren.12 Unser Kursangebot zum Innovations- und Nachhaltigkeitsmanagement nutzt hierbei den Megatrend Konnektivität als Grundlage.13 Von besonderer Bedeutung ist die Verbindung von Anwendungen mit Technologien ausgehend von einem Connecting the Boxes Mindset.

 

Verbindung von Anwendungen mit Technologien und eine neue Organisationsform

Die Innovationsgeschichte kennt viele Verbindungen zwischen der Kombination vorhandener Technologien und einer neuen Anwendung. Das klassische Beispiel einer solchen rekombinanten Anwendungsinnovation ist die Einführung der Massenproduktion für Fords Modell T im Jahr 1908. Eine wichtige Rolle spielte dabei das Technology Brokering in Form einer Vermittlung von Wissen zwischen etablierten Branchen und der neuen Automobilindustrie. Diese Form von Cross Industry Innovation ist auch für das Thema Nachhaltigkeit von großer Bedeutung. Ein aktuelles Beispiel ist die Übertragung der in Erdgasaufbereitungsanlagen entstandenen Carbon Capture and Storage (CCS-) Technologie auf die Zementherstellung.

 

Lernprozess Innovationsstrategie

 

Daneben gibt es auch rekombinante technologische Innovationen mit einer Verbindung von neuen Technologien und einer vorhandenen Anwendung. Viele Neuerungen ausgehend von digitalen Querschnittstechnologien wie dem Internet der Dinge (IoT) und der Künstlichen Intelligenz (KI) basieren auf diesem Prinzip. Eine neue Form der Konnektivität entsteht durch die Verbindung von neuen digitalen Technologien und Umwelttechnik (Digital GreenTech) mit einer vorhandenen Anwendung. Ein Beispiel ist der Einsatz von KI im Wertstoffkreislauf der Papierindustrie.

Eine wichtige Erkenntnis ist, dass die Unsicherheit von Innovationen bei vorhandenen Anwendungen oder vorhandenen Technologien geringer ist als beim Typus der Systeminnovation, die durch neue Technologien und Anwendungen gekennzeichnet ist. Dabei beschreibt der Begriff Unsicherheit ein Risiko mit unbekannter Eintrittswahrscheinlichkeit und schwer abschätzbaren Folgen.

Die Umsetzung dieser Konnektivität von Anwendungen und Technologien erfolgt in führenden Digitalunternehmen mit Hilfe einer neuen Organisationsform. Eine solche Organisation verbindet agile Teams mit einer zentralen Ressourcen-Plattform und einem Partner-Netzwerk.14 Das zentrale Element dieser Organisation ist ein KI-basiertes Operating Model, das schnelle Lernprozesse, disruptive Geschäftsmodelle und eine erfolgreiche Skalierung ermöglicht. Von großer Bedeutung ist dabei die vertrauensvolle Zusammenarbeit mit Stakeholdern.

 

Gemeinsames Design von Stakeholder-Systemen und sektorübergreifende Innovationsprogramme

Die Wurzeln der vierten Entwicklungsphase des Managements liegen in einer Erweiterung der einige Jahrzehnte dominierenden Shareholder-Perspektive15 zu einem am langfristigen finanziellen Erfolg orientierten und auch sozial und ökologisch verantwortlichen Multi-Stakeholder Management.16 Zu diesen Bezugsgruppen des Unternehmens zählen

  • Anteilseigner (Shareholder) und Kunden
  • die Wissenschaft und Wertschöpfungspartner (z.B. Start-ups)
  • Politik, Justiz, Verwaltung und Verbände sowie
  • Mitarbeiter, Arbeitnehmervertreter, Umweltbewegungen, Medien und die Gesellschaft insgesamt.

Bei Nachhaltigkeitsinnovationen ist die Bewältigung der Stakeholder-Komplexität von entscheidender Bedeutung.17 Wichtige neue Konnektoren sind daher ein gemeinsames Design von Stakeholder-Systemen und sektorübergreifende Innovationsprogramme.

 

 

Der Leitgedanke eines solchen Stakeholder Systems Co-Design ist es, neue, flexible Pakte zwischen Wissenschaft, Politik, Wirtschaft und Gesellschaft zu schließen, wie es der Covestro-Chef Markus Steilemann vorschlägt.18 Dabei sei ein optimistisches und konstruktives Miteinander gefragt.

Beim Thema Stakeholder-Systeme wird deutlich, dass sich mit einer neuen Entwicklungsphase des Managements auch die Konnektoren der früheren Entwicklungsphasen weiterentwickeln. So erfordert ein gutes Management der Bezugsgruppen eine stärker verbindende Personalführung.19 Aus dem traditionellen Leitbild wird ein gemeinsamer Sinn oder Purpose, der Mitarbeiter, Kunden und Anteilseigner zusammenführt.20

Die spannende Frage ist, wie sektorübergreifende Programme für Nachhaltigkeitsinnovationen, wie z.B. das Thema grüner Wasserstoff, konkret ausgestaltet sein sollen. Ein mögliches, viel zitiertes Vorbild ist das Mondflug-Programm der USA aus den 1960er Jahren und das hieraus abgeleitete Modell einer Mission Economy.21 Dabei ist jedoch zu bedenken, dass sich die Rahmenbedingungen für das damalige Programm grundlegend von den gegenwärtigen Herausforderungen des Klimawandels unterscheiden. Zur Bewältigung der hierbei herrschenden Stakeholder-Komplexität gibt es bis heute keine Blaupause für Organisationen und Staaten. Dies ist eine große Chance für Unternehmen wie die BASF, die mit ihrer Green Transition neue Standards setzen möchten.

Der Übergang zu einer „grüneren Wirtschaft“ erfordert neben einheitlichen Berichtpflichten und passgenauen Bewertungskriterien22 möglicherweise auch entsprechende finanzielle Anreize für die Führungskräfte. Studien zeigen, dass das Thema Nachhaltigkeit in den Vergütungssystemen vieler Unternehmen bislang eher eine Nebenrolle spielt.23

Um zusammen mit Stakeholdern ambitionierte Nachhaltigkeitsziele zu erreichen, ist es wichtig, eine gemeinsame methodische Basis zu haben. Eine solche Methode ist das systemische Design. Entscheidend bei dessen Anwendung ist, dass die Gestaltung des Stakeholder-Systems nicht an die Kommunikationsabteilung delegiert, sondern zentraler Bestandteil einer neuen Führungsagenda wird.

 

Systemisches Design und eine neue Führungsagenda

Parallel zur Managementlehre haben sich seit den 1950er Jahren die Systemtheorien24 und das Design Thinking25 entwickelt und wechselseitig befruchtet, z.B. bei der Entstehung von agilen Konzepten wie Scrum.26 Dabei liegt das Nutzenversprechen der Systemtheorien und des Design Thinking in der Schaffung eines gemeinsamen methodischen Rahmens und Mindsets für die interdisziplinäre Zusammenarbeit bei der Bewältigung komplexer Probleme.

Aus diesen klassischen Konnektoren ist das systemische Design entstanden, das die Systemtheorien mit dem Design Thinking verbindet.27 Diese relativ neue Methodik hat sich bei der Anwendung in sektorübergreifenden Innovationsprogrammen bewährt. Die Akteure aus Wissenschaft, Politik, Wirtschaft und Gesellschaft erhalten hiermit eine Gestaltungsgrundlage, die die Verständigung zwischen unterschiedlichen Bezugsgruppen fördert. Der Ansatz sollte daher zum zentralen Bestandteil einer programmbegleitenden Executive Education werden.

Im Mittelpunkt der sich abzeichnenden neuen Agenda für die Führung steht eine Weiterentwicklung des traditionellen strategischen Managements mit seiner einseitigen Shareholder-Value Orientierung. Dieses mehr als ein halbes Jahrhundert vorherrschende Management-Paradigma bedarf der Ergänzung um Strategien für Nachhaltigkeit und Innovation. Die Umsetzung dieser Strategien erfordert die aktive Mitwirkung der Führungsspitze beim Co-Design von Stakeholder-Systemen. Ein externes Mentoring kann einen wichtigen Beitrag leisten, um Nachwuchs-Führungskräfte auf diese Aufgabe vorzubereiten. Angesichts der neuen Herausforderungen bei der Nachhaltigkeitsberichterstattung ändert sich parallel dazu auch die Agenda des Verantwortlichen für Finanzen in Richtung Sustainable Finance.

Für die Führung in Politik und Wirtschaft hat der Gründer des Weltwirtschaftsforums Klaus Schwab die Vision einer Governance 4.0 skizziert.28 Ein Kennzeichen guter Governance im 21. Jahrhundert ist für ihn, dass Führungskräfte eine nachhaltige Wertsteigerung für alle relevanten Stakeholder anstreben. Diese Grundhaltung ist ein zentraler Ausgangspunkt für die Erfüllung von ESG-Kriterien aus Umweltschutz, sozialen Aspekten und Stakeholder-Management, die auch bei M&A-Aktivitäten immer wichtiger werden.29

 

Fazit

  • In den Entwicklungsphasen der Managementlehre sind spezifische verbindende Kräfte entstanden, die die Komplexitätsbewältigung von Unternehmen unterstützen
  • Die zunehmende Bedeutung des Innovations- und des Nachhaltigkeitsmanagements hat weitere Konnektoren hervorgebracht. Hierzu zählen neue Führungsrollen, die Fähigkeit zur Verbindungsarbeit, das Wechselspiel von neuen Technologien und Anwendungen und schließlich eine neue Organisationsform, die agile Teams und eine zentrale Ressourcen-Plattform mit dem Partnernetzwerk verknüpft
  • Nachhaltigkeitsinnovationen erfordern die aktive Gestaltung des Stakeholder-Systems eines Unternehmens und gemeinsame Programme von Wirtschaft, Wissenschaft, Politik und Gesellschaft. Eine methodische Hilfestellung leistet dabei die neue Methode des systemischen Designs
  • Innovation, Nachhaltigkeit und die Gestaltung des Stakeholder-Systems gehören zu den zentralen Punkten einer neuen Führungsagenda, die gegenwärtig entsteht

 

Literatur

[1] Fröndhoff, B., Hofmann, S., Schütze, A., BASF startet Umbau. In: Handelsblatt, 10./11./12. Dezember 2021, S. 3, 6-7

[2] Servatius, H.G., Komplexitätsbewältigung als Treiber eines Connective Managements. In: Competivation Blog, 31.03.2021

[3] Ansoff, H.I., Corporate Strategy – An Analytic Approach to Business Policy for Growth and Expansion, New York 1965

[4] Bleicher, K., Das Konzept Integriertes Management, Frankfurt 1991

[5] Servatius, H.G., Ebenenmodell für ein Connective Management. In: Competivation Blog, 16.03.2021

[6] Burns, T., Stalker, G.M., The Management of Innovation, London 1961

[7] Elkington, J., Cannibals with Forks – Triple Bottom Line of 21st Century Business, Oxford 1997

[8] Servatius, H.G., Innovations- und Nachhaltigkeitssysteme verbinden klassische Managementaufgaben. In: Competivation Blog, 09.09.2021

[9] Hargadon, A., Sustainable Innovation – Build Your Company’s Capacity to Change the World, Stanford 2015

[10] Servatius, H.G., Piller, F.T.(Hrsg.), Der Innovationsmanager – Wertsteigerung durch ein ganzheitliches Innovationsmanagement, Düsseldorf 2014

[11] Hargadon, a.a.O, S. 80 ff.

[12] Servatius, H.G., Mentoring-Programme zur Entwicklung konnektiver Fähigkeiten. In: Competivation Blog, 10.05.2021

[13] Servatius, H.G., Der Megatrend Konnektivität und seine Treiber. In: Competivation Blog, 26.10.2021

[14] Servatius, H.G., Die Ressourcen-Plattform mit agilen Teams als neue Organisationsform. In: Competivation Blog, 12.01.2021

[15] Rappaport, A., Creating Shareholder Value – The New Standard for Business Performance, London 1986

[16] O’Leary, M., Valdmanis, W., Accountable – The Rise of Citizen Capitalism, New York 2020, S. 148 ff.

[17] Servatius, H.G., Erfolgreiche Nachhaltigkeitsinnovationen mit verbesserten Stakeholder-Beziehungen. In: Competivation Blog, 20.02.2020

[18] Blume, J., Fröndhoff, B., „Alle Ampeln auf grüne Welle stellen“. In: Handelsblatt, 10./11./12. Dezember 2021, S. 24

[19] Servatius, H.G., Personalführung im Zeitalter eines Connective Managements. In: Competivation Blog, 19.01.2021

[20] Servatius, H.G., Nachhaltigkeitsinnovationen als Werttreiber in der Purpose Economy. In: Competivation Blog, 15.10.2020

[21] Mazzucato, M., Mission Economy – A Moonshot Guide to Changing Capitalism, Dublin 2021

[22] Servatius, H.G., Nachhaltige Entwicklung von Unternehmen mit einer Sustainability Map. In: Competivation Blog, 30.11.2021

[23] Palan, D., Grüne Heuchelei. In: Manager Magazin, Januar 2022, S. 116-119

[24] von Bertalanffy, L., General Systems Theory – Foundations, Development, Applications, New York 1968

[25] Arnold, J.E., Creative Engineering – Promoting Engineering by Thinking Differently, Stanford 1959

[26] Sutherland, J.J., The Scrum Fieldbook, New York 2019

[27] Jones, P., Kijima, K. (Hrsg.), Systemic Design – Theory, Methods, and Practice, Tokio 2018

[28] Schwab, K., Die Vision einer Governance 4.0. In: Handelsblatt, 21./22./23. Januar 2022, S. 64

[29] Seibt, C.H., Dealmaker mit gutem Gewissen. In: Manager Magazin, Februar 2022, S. 46

Ebenenmodell für ein Connective Management

Ebenenmodell für ein Connective Management

Eine Verbindung zwischen Managementbausteinen und zwischen relevanten Stakeholdern kann über verschiedene Wege erfolgen. Wir beschreiben ein Ebenenmodell für das Connective Management.

 

In diesem Blogpost erläutern wir, wie Unternehmen ihre interne und externe Verbundenheit (Connectedness) verbessern können.

 

App-Plattformen für die Mitarbeiter in der Produktion

In vielen Unternehmen scheitert die Umsetzung ihrer Digitalstrategien an fehlenden IT-Kapazitäten und begrenzten Fähigkeiten der Mitarbeiter. Einen Ausweg aus diesem Dilemma eröffnen App-Plattformen für „Connected Workers“, wie die von Tulip. Mit einer solchen Plattform arbeitet z.B. der Werkzeughersteller DMG Mori. Die Apps gestalten die Mitarbeiter in der Produktion selbst – ohne Softwareentwickler, IT-Abteilung und eigene Programmierkenntnisse. Der App-Baukasten funktioniert nach dem Prinzip: „Wenn dies passiert, dann tue das“. So erklärt das Programm z.B., welches Bauteil als nächstes montiert werden muss und ermöglicht so eine digitale Ermächtigung des Shop Floors.1 Damit setzt sich der Trend zu Low-Code- oder No Code-Technologien fort, mit denen Unternehmen unabhängiger von hoch-qualifizierten Softwarespezialisten werden.2 Neben dieser neuen technologischen Ebene gibt es weitere Wege zur Verbindung von Managementbausteinen und Akteuren. Wir haben uns gefragt, wie man diese Wege zu einem Connective Management systematisieren kann.

 

Systematisierung der Wege zu mehr Konnektivität

Eine relativ abstrakte theoretische Grundlage für die Erforschung von Verbindungen in sozialen Systemen liefert Ralph Stacey mit seinem Konzept der „complex responsive processes of relating“. Stacey geht davon aus, dass das Lernen und die Wissenserzeugung komplexe, responsive Beziehungsprozesse erfordern.3 Unser Ebenenmodell eines Connective Managements versucht, diese Theorie in einen Umsetzungsrahmen für die Praxis zu übersetzen. Dabei unterscheiden wir zwischen einer normativen, einer strategischen, einer operativen und einer technologischen Ebene.

Lernprozess Innovationsstrategie

 

Auf der normativen Ebene führt ein Weg zum Connective Management über die Suche nach einem gemeinsamen Sinn oder Purpose.4 Die Harvard-Professorin Rebecca Henderson plädiert in ihrem neuen Buch „Reimagining Capitalism in a World on Fire“ für verbesserte Beziehungen zu Stakeholdern, um Nachhaltigkeitsziele zu erreichen.5 Ebenfalls auf der normativen Ebene angesiedelt ist eine konnektive Führung mit erweiterten Verhaltenspräferenzen bei der Zielerreichung. Neue Herausforderungen wie die Digitalisierung und der Klimawandel erfordern eine Erweiterung der Führungsmuster z.B. in Richtung auf eine stärker beziehungsorientierte Führung.6

Auf der strategischen Ebene gewinnt in Innovationsökosystemen eine Harmonisierung (Alignment) der Strategien verschiedener Akteursgruppen z.B. aus dem privaten und dem öffentlichen Sektor weiter an Bedeutung. Eine solche Harmonisierung kann durch transparente Zielsysteme z.B. mit Hilfe der Objectives and Key Results (OKR-) Methode unterstützt werden.7

Ein seit langem bewährter Weg auf der operativen Ebene sind agile Methoden für die interdisziplinäre Zusammenarbeit, wie z.B. das Design Thinking.8 Im Rahmen der bereichs- und sektorübergreifenden Projektarbeit sind dabei eine begleitende Personalentwicklung und ein Führungskräfte-Mentoring hilfreich.

Neben den bereits erwähnten App-Baukästen haben sich auf der technologischen Ebene Kommunikations-Apps wie Microsoft Teams zu einer Art Schaltzentrale für den digitalen Alltag entwickelt. Auf seiner Ignite-Konferenz hat Microsoft zahlreiche Neuerungen vorgestellt. Ein Beispiel ist die Funktion „Connect“, die es erlaubt, Kanäle zu den Mitarbeitern anderer Unternehmen zu implementieren.9

 

Zusammenspiel der Ebenen und Wege

Die große Herausforderung für Unternehmen liegt wohl darin, das Zusammenspiel der Ebenen und Wege zu einem Connective Management situativ angemessen zu gestalten. Dieses Zusammenspiel kann man durch eine gezielte Managementaus- und -weiterbildung verbessern.

In unseren Kursen zum Connective Management mit Teilnehmern aus unterschiedlichen Disziplinen trainieren wir die wechselseitige Verbundenheit bei der Lösung komplexer Probleme. Die Teilnehmer berichten, dass dies für sie mit dem Erlernen eines neuen Spielsystems vergleichbar sei. Dieser Lernprozess erinnert an die Ergänzung der funktional ausgerichteten Betriebswirtschaftslehre durch das strategische Management vor einem halben Jahrhundert. Heute sind es die Digitalisierung, der Klimawandel und die Pandemie-Bekämpfung, die ein neues Managementkonzept erfordern.

In einer Zeit, in der das Internet der Dinge und Künstliche Intelligenz die technologische Connectedness steigern10, kommt es nun darauf an, auch die Verbundenheit von Managern und Stakeholdern zu verbessern. Technologische und soziale Connectedness sind zwei komplementäre Seiten einer Medaille.

 

Fazit

  • App-Plattformen für Mitarbeiter in der Produktion sind ein neuer Weg auf der technologischen Ebene des Connective Managements
  • Unser Ebenenmodell für dieses neue Management-Paradigma basiert auf einer Theorie sozialer Systeme, in deren Mittelpunkt komplexe Beziehungsprozesse stehen
  • Neben der technologischen Ebene unterscheiden wir zwischen einer normativen, einer strategischen und einer operativen Ebene
  • Bei der Bewältigung komplexer Probleme wie dem digitalen Wandel kommt es auf das Zusammenspiel der verschiedenen Ebene und Wege an
  • Ein Training in Connective Management ergänzt die vorhandene Personal- und Führungskräfteentwicklung

 

Literatur

[1] Knitterscheidt, K.: Wenn Arbeiter mit Maschinen sprechen. In: Handelsblatt, 17. Februar 2021, S. 24-25

[2] Servatius, H.G.: Entwicklung von digitalen Anwendungen mit Low-Code-Plattformen. In: Competivation Blog, 23.01.2020

[3] Stacey, R.D.: Complex Responsive Processes in Organizations – Learning and Knowledge Creation, London 2001

[4] Servatius, H.G.: Nachhaltigkeitsinnovationen als Werttreiber in der Purpose Economy. In: Competivation Blog, 05.10.2020

[5] Henderson, R.: Reimagining Capitalism in a World on Fire, New York 2020

[6] Servatius, H.G.: Personalführung im Zeitalter eines Connective Managements. In: Competivation Blog, 19.01.2021

[7] Doerr, J.: Measure What Matters – OKRs: The Simple Idea That Drives 10x Growth, New York 2018

[8] Glitza, C., Hamburger, R.S., Metzger, M.: Hands on Design Thinking, München 2019

[9] Kerkmann, C., Matthes, S.: Schaltzentrale für den digitalen Wandel. In: Handelsblatt, 03. März 2021, S. 18-19

[10] Kaufmann, T., Servatius, H.G.: Das Internet der Dinge und Künstliche Intelligenz als Game Changer – Wege zu einem Management 4.0 und einer digitalen Architektur, Wiesbaden 2020

Konnektivität bei Nachhaltigkeitsinnovationen

Connective Management als Erfolgsfaktor von Game Changern

Gibt es eine Handlungsempfehlung für Unternehmen, die die Spielregeln des Wettbewerbs verändern wollen? Wir denken, dass es die gibt und sie darin besteht, von den Vorreitern eines Connective Managements zu lernen.

 

In diesem Blogpost skizzieren wir den Weg zu einem neuen Management-Paradigma

 

Mit KI Silos überwinden

Die Vision des Knowledge Managements war, das in den Köpfen von Menschen vorhandene Wissen zu verbinden, organisatorische Silos zu überwinden und so den Wert von Unternehmen zu steigern.1 Bei Henkel tragen Künstliche Intelligenz (KI) und eine cloudbasierte Wissensdatenbank dazu bei, dieser Vision einen Schritt näher zu kommen. Michael Nilles, der Chief Digital Information Officer (CDIO) von Henkel sieht hierin ein wichtiges Element der strategischen und organisatorischen Neuausrichtung des Unternehmens.2

Das Beispiel zeigt, dass sich mit Covid-19 der Wandel von Unternehmen noch einmal beschleunigt hat. Diese Situation nehmen wir zum Anlass, unsere Arbeit im vergangenen Jahr zu reflektieren.

 

Auftakt einer thematischen Reise

Das letzte physische Treffen unseres Expertenkreises für Innovationsmanager in Familienunternehmen fand im November 2019 bei SAP in Ratingen statt. In diesem Meeting haben Tim Kaufmann von SAP und ich unser Buch „Das Internet der Dinge und Künstliche Intelligenz als Game Changer“ vorgestellt.3 Weitere geplante Treffen mussten wir dann wegen der Corona-Pandemie verschieben.

Die Frage, was die Erfolgsfaktoren von Game Changern sind, hat uns seitdem weiter beschäftigt. Diese Unternehmen verändern mit radikalen Innovationen die Spielregeln des Wettbewerbs. Sie werden in den Medien gefeiert. Aber man weiß relativ wenig darüber, wie diese Erfolge zustande kommen.

Daher bildete die Publikation unseres Buchs im Frühjahr 20204 eine Art Auftakt für die weitere Beschäftigung mit dem Thema. Diese thematische Reise, die in spannenden Projekten, digitalen Lehrveranstaltungen und gemeinsamen Reflektionen stattfand, wollen wir kurz skizzieren.

 

Gemeinsamkeiten von Game-Changer-Themen

Ein erster Schritt auf dieser Reise war der Versuch, eine Art Typologie von Game-Changer-Themen zu entwickeln. Diese Typologie haben wir im Januar 2020 zur Diskussion gestellt5 und einzelne Themen, wie z.B. die disruptive Wirkung digitaler Technologien6 in weiteren Blogposts vertieft.

Eine interessante Erkenntnis war, dass Game-Changer-Themen einige Gemeinsamkeiten zu haben scheinen, wie z.B. dass sie für Unternehmen sowohl eine Bedrohung als auch eine Chance darstellen.

 

Eine Pandemie als Game Changer

Im Winter 2020 begann dann die Corona-Pandemie, ihre Game-Changer-Wirkung zu entfalten.7

Hieraus entstand die Notwendigkeit, mit radikalen Innovationen gegen diese Pandemie anzukämpfen. Wir haben dies zum Anlass genommen, uns intensiver mit dem Stand der Forschung beim Thema radikale Innovationen zu beschäftigen und hierüber in einer von Professor Frank Piller organisierten digitalen Vorlesung der RWTH Aachen berichtet.8

Es ergab sich eine spannende Diskussion der Frage, ob radikale Innovationen einen Paradigmawechsel im Management erfordern und wie ein solcher grundlegender Wandel aussehen könnte.

 

Integriertes Management als Ausgangspunkt

Ein möglicher Ausgangspunkt für einen solchen Wandel ist das Konzept eines integrierten Managements, das allerdings im 21. Jahrhundert einer Weiterentwicklung bedarf. In unserem Blogpost im Juli 2020 haben wir eine solche Weiterentwicklung auf den verschiedenen Managementebenen skizziert, die für die Wettbewerbsfähigkeit europäischer Unternehmen von großer Bedeutung sein könnte.9

 

Purpose, Geschäftsmodell-Portfolios und KI-basierte Wertschöpfung

Ein spannendes neues Thema auf der normativen Managementebene ist die verstärkte Sinnsuche von Unternehmen. Ein wichtiger Treiber in der Purpose Economy sind Nachhaltigkeitsinnovationen, mit denen wir uns – unter Einhaltung strenger Hygienevorschriften – in einem Expertenkreis-Treffen an der RWTH Aachen beschäftigt haben.10

Neben der normativen Ebene verändert sich auch die Ebene des strategischen Managements. Im Mittelpunkt steht dabei die Gestaltung des Innovationsstrategie-Prozesses. In meinen Vorlesungen im Rahmen der von Professor Rainer Paffrath koordinierten digitalen Lehre an der zur Klett Gruppe gehörenden EUFH habe ich dieses Thema ausführlich behandelt.

Am Anfang des Strategieprozesses steht eine Weiterentwicklung der Vorausschau von Unternehmen (Corporate Foresight) mit einem Game-Changer-Radar.11 Die Portfolio-Methode erlebt eine Renaissance in Form von Portfolios für entstehende und vorhandene Geschäftsmodelle.12 Wichtige Impulse gehen dabei von Geschäftsmodell-Mustern aus. Viele neue Geschäftsmodelle ergeben sich aus der Zusammenarbeit von Partnern in Innovationsökosystemen. Dabei wird eine gute Zusammenarbeit zwischen dem privaten und dem öffentlichen Sektor immer wichtiger.13

Auf der operativen Managementebene gehen wichtige Veränderungen von digitalen Technologien wie dem Internet of Things (IoT) und Künstlicher Intelligenz (KI) aus. In Unternehmen wie Amazon und Microsoft ist eine KI-basierte Wertschöpfung entstanden, die neue Möglichkeiten zur Erzielung von Wettbewerbsvorteilen ermöglicht. Gleichzeitig wird das operative Management zum Treiber neuer Organisationsformen.

 

Game Changer mit neuen Organisationsformen

In meiner digitalen Wintervorlesung im Januar 2021 bei Professor Birgit Renzl an der Universität Stuttgart habe ich erläutert, wie einige der wertvollsten Unternehmen der Welt in den USA und in China Ressourcen-Plattformen mit agilen Teams als neue Organisationsform erproben.14 Eine spannende Frage ist, ob und wie etablierte europäische Unternehmen auf diese organisatorische Innovation von Game Changern reagieren.

Ein gemeinsames Kennzeichen dieser Unternehmen ist, dass alle ein neues Connective Management praktizieren, das die Verbindung zwischen Management- und Organisationsbausteinen betont. Dieses Management erfordert eine stärker „verbindende“ Personalführung,15 die in eine innovationsfördernde Kultur eingebettet ist.16

Lernprozess Innovationsstrategie

Es stellt sich nun die Frage, was dies alles für die praktische Tätigkeit in etablierten Unternehmen bedeutet.

 

Besseres Verständnis eines Connective Managements

Unsere thematische Reise während des letzten Jahres hat zu interessanten Erkenntnissen geführt. Wir haben eine Zwischenstation erreicht, die durch die Schlussfolgerung geprägt ist, dass wir das neue Connective Management besser verstehen möchten.

Wir würden uns freuen, wenn Sie als interessierter Leser in Wissenschaft und Praxis uns auf dieser Reise begleiten. Gerade in Corona-Zeiten sind Verbindungen besonders wichtig und – wie die zahlreichen digitalen Veranstaltungen zeigen – auch möglich. Also lassen Sie uns diese thematische Reise gemeinsam fortsetzen.

 

Fazit

  • Unser Buch zur Game-Changer-Wirkung digitaler Technologien, die Gemeinsamkeiten von Themen, die die Spielregeln des Wettbewerbs verändern und die Corona-Pandemie haben die Anregung zu einer vertieften Beschäftigung mit radikalen Innovationen geliefert
  • Eine wichtige Erkenntnis ist, dass radikale Innovationen einen Paradigmawechsel im Management erfordern
  • Dieser grundlegende Wandel betrifft die verschiedenen Managementebenen und davon ausgehend die Organisationsform sowie die Kultur und Personalführung
  • Es zeichnet sich die Entwicklung eines neuen Connective Managements ab, das erfolgreiche Game Changer bereits praktizieren

 

Literatur

[1] Palass, B., Servatius, H.G.: WissensWert – Mit Knowledge Management erfolgreich im E-Business, Stuttgart 2001

[2] Bialek, C.: Henkel kämpft mit KI gegen die Silos. In: Handelsblatt, 21. Januar 2021, S. 26-27

[3] Servatius, H.G.: Das Internet der Dinge und Künstliche Intelligenz als Game Changer. In: Competivation Blog, 21.11.2019

[4] Kaufmann, T., Servatius, H.G.: Das Internet der Dinge und Künstliche Intelligenz als Game Changer – Wege zu einem Management 4.0 und einer digitalen Architektur, Wiesbaden 2020

[5] Servatius, H.G.: Game-Changer-Themen meistern. In: Competivation Blog, 07.01.2020

[6] Servatius, H.G.: Entwicklung von digitalen Anwendungen mit Low-Code-Plattformen. In: Competivation Blog, 23.01.2020

[7] Servatius, H.G.: Eine Pandemie als Game-Changer. In: Competivation Blog, 26.03.2020

[8] Servatius, H.G.: Mit radikalen Innovationen gegen die Corona-Krise. In: Competivation Blog, 28.04.2020

[9] Servatius, H.G.: 21st Century Management zur Sicherung der Wettbewerbsfähigkeit europäischer Unternehmen. In: Competivation Blog, 29.07.2020

[10] Servatius, H.G.: Nachhaltigkeitsinnovationen als Werttreiber in der Purpose Economy. In: Competivation Blog, 05.10.2020

[11] Servatius, H.G.: Strategische Vorausschau mit einem Game-Changer-Radar. In: Competivation Blog, 27.01.2021

[12] Servatius, H.G.: Analyse von Geschäftsmodell-Portfolios und Verbesserung des Risikomanagements. In: Competivation Blog, 19.11.2020

[13] Servatius, H.G.: Connective Management in Public-Private Innovation Ecosystems. In Vorbereitung

[14] Servatius, H.G.: Die Ressourcen-Plattform mit agilen Teams als neue Organisationsform. In: Competivation Blog, 12.01.2021

[15] Servatius, H.G.: Personalführung im Zeitalter eines Connective Managements. In: Competivation Blog, 19.01.2021

[16] Servatius, H.G.: Förderung einer Innovationskultur durch die Führung. In: Competivation Blog, 07.01.2020

Nachhaltigkeitsinnovationen als Werttreiber in der Purpose Economy

Nachhaltigkeitsinnovationen als Werttreiber in der Purpose Economy

Die Wertsteigerung von innovativen Unternehmen, die auf Nachhaltigkeit setzen, könnte dem Thema Purpose zum Durchbruch verhelfen. Europäische Firmen sollten diese Chance nutzen.

 

In diesem Blogpost behandeln wir die Entwicklung zu einer stärkeren Sinnorientierung von Mitarbeitern, Kunden und Aktionären und die Implikationen, die sich hieraus für Unternehmen ergeben.

 

Werttreiber nachhaltige Mobilität

Die Wertsteigerung des amerikanischen Elektromobilitätspioniers Tesla dient einer Reihe von Start-ups als Vorbild. So erzielt Nikola, dessen Mission die Transformation der Transportindustrie ist, eine Milliardenbewertung. Als Vehikel nutzte das Unternehmen dabei das Instrument einer an der Börse gelisteten Platzhalterfirma. Nach Betrugsvorwürfen ist der Gründer Trevor Milton allerdings zurückgetreten.1 Zu den Mobilitäts-Start-ups mit hoher Bewertung gehört auch Rivian, an dem sich der Amazon-Gründer Jeff Bezos beteiligt hat.

Eine spannende Frage ist, warum es weder etablierten Automobil-Unternehmen noch heimischen Start-ups gelingt, von dem Trend zur Wertsteigerung mit Nachhaltigkeitsinnovationen in diesem Ausmaß zu profitieren.

Eine Erklärung könnte sein, dass diesen Unternehmen häufig die an einem höheren Sinn oder Purpose orientierte Börsenstory fehlt, die offensichtlich ein wichtiger Werttreiber geworden ist.

 

Sind wir auf dem Weg zu einer Purpose Economy?

Den Begriff Purpose Economy hat 2014 der US-Autor Aaron Hurst geprägt. Er sieht die Wirtschaft nach der Agrar- und Industrie-Ökonomie am Übergang zu einer vierten Entwicklungsstufe von der Informations- zur „Sinn-Ökonomie“.2 Diese sei durch die Suche der Menschen nach mehr Purpose in ihrem Leben gekennzeichnet. Vorreiter dieser Entwicklung sind gemeinnützige Organisationen.

Die zunehmende Relevanz für Wirtschaftsunternehmen zeigte sich zunächst vor allem im Marketing und Personalmanagement. Ein Pionier beim Thema Purpose ist der Hersteller von Reinigungsmitteln Seventh Generation, der damit wirbt, die Gesundheit der nächsten sieben Generationen zu fördern. Eine wichtige Rolle spielt dabei die Person des Gründers bzw. CEO, der einen solchen Sinn für Mitarbeiter und Kunden glaubwürdig vermittelt.3

Man könnte argumentieren, dies sei alter Wein in neuen Schläuchen und Purpose oder Sinn sei nichts anderes als das, was im normativen Management seit langem der Begriff Mission oder Leitbild beschreibt.4 Die gemeinsame Wurzel dieser Begriffe ist die Orientierung an einer Identitätsvermittlung für die relevanten Stakeholder (Bezugsgruppen) des Unternehmens. Während Mission Statements aber häufig in Aktern verschwinden und keine große praktische Relevanz haben, kann das Thema Purpose einen wichtigen Beitrag zur wettbewerblichen Differenzierung und Wertsteigerung leisten. Der Unterschied zwischen Leitbild und Purpose zeigt sich also insbesondere in der Bedeutung für den Unternehmenswert. Eine zentrale Rolle können dabei Nachhaltigkeitsinnovationen spielen. Interessanterweise kommunizieren einige Unternehmen, wie z.B. Henkel, sowohl eine Mission als auch einen Purpose. Der Purpose bei Henkel lautet „Creating Sustainable Value“ für die Stakeholder.

 

Purpose in der Corona-Krise

Eine aktuelle Befragung deutscher Manager kommt zu dem Ergebnis, dass für 53 Prozent der Befragten die Relevanz des Themas Purpose durch die Corona-Krise gestiegen ist. Aber nur 41 Prozent geben an, den Purpose ihres Unternehmens zu kennen. Dies zeigt, dass die Sinnorientierung bei vielen noch nicht angekommen zu sein scheint.5

Eine mögliche Erklärung könnte sein, dass Unternehmen, die durch die gegenwärtige Pandemie existenziell bedroht sind, andere Sorgen haben, als sich intensiver mit dem Purpose zu beschäftigen. Andererseits kann die aktive Beschäftigung mit dem Sinn der eigenen Tätigkeit gerade in Krisenzeiten auch Hoffnung vermitteln und die Widerstandskraft erhöhen. Daher überrascht es nicht, dass ein Purpose-Schwerpunkt der Befragten beim Thema Wettbewerbs- und Zukunftsfähigkeit liegt.

 

Wechselseitige Verstärkung der Sinnsuche

Eine andere Untersuchung zeigt, dass auch B2B-Unternehmen die Bedeutung des Themas Purpose erkannt haben.6 So glauben 82 Prozent der befragten B2B-Manager, Unternehmen mit Purpose-Orientierung seien erfolgreicher als solche ohne. Allerdings haben bislang nur 24 Prozent das Thema durchgängig im Unternehmen verankert.

Zu den Akteuren, die das Thema Purpose vorantreiben, gehören die großen Vermögensverwalter, die genauer auf die Aspekte Environment, Social and Governance (ESG) achten. Negativbewertungen stellen ein Reputationsrisiko für Unternehmen dar, die z.B. den Klimaschutz vernachlässigen. Gleichzeitig drängen immer mehr Ratingagenturen in den Markt für ESG-Bewertungen. Deren Ergebnisse sind jedoch untereinander schwer vergleichbar. Unternehmen sollten daher mehr auf Nachhaltigkeitsinnovationen und eine transparente Kapitalmarktkommunikation setzen.

Ein wichtiges Kennzeichen der Purpose Economy ist, dass sich die Sinnsuche für das Unternehmen und relevante Stakeholder wechselseitig verstärkt. Der Purpose des Unternehmens und seiner Marke ergibt sich aus dem Beitrag für Umwelt und Gesellschaft. Über Führungskräfte, Mitarbeiter und Kunden erreicht diese Sinnvermittlung auch die Shareholder und den Kapitalmarkt.

Wechselseitige Verstärkung von Purpose zwsichen Unternehmen und Stakeholdern

Für die Kongruenz des Purpose ist Glaubwürdigkeit gegenüber den Stakeholdern auch bei Zielkonflikten zwischen Wirtschaft, Umwelt und Sozialem von großer Bedeutung. Nachhaltigkeitsinnovationen sind ein Mittel zur Aufladung der Arbeitsgeber- und der Kundenmarke mit Purpose. Dabei agieren Führungskräfte und Mitarbeiter als Markenbotschafter. Ein wichtiger Anreiz für die Shareholder ist die resultierende finanzielle Wertsteigerung.

 

Nutzung des Wertsteigerungspotenzials von Nachhaltigkeitsinnovationen

Es zeichnet sich immer deutlicher ab, dass Nachhaltigkeitsinnovationen wie die Stahlproduktion mit Wasserstoff das klassische Innovationsmanagement erweitern und sein Wertsteigerungspotenzial vergrößern.7 Auf diese Weise eröffnen sich für etablierte Unternehmen neue Möglichkeiten zur positiven Aufladung ihrer Marke und der Börsenstory. Dabei hängt der dauerhafte Erfolg natürlich von dem finanziellen Ergebnis ab.

Die spannende Frage ist, wie es europäischen Unternehmen besser gelingt, Nachhaltigkeitsinnovationen als Werttreiber zu nutzen. Eine wichtige Rolle spielt dabei eine Harmonisierung der Innovations- und Nachhaltigkeitspolitik der EU und der Länder mit der Unternehmenspolitik in relevanten Branchen, wie z.B. der Automobilindustrie. Während die EU die Hersteller mit immer härteren Abgasnormen zum Handeln zwingt, setzt man im Silicon Valley und an der Wall Street auf Wertsteigerung als Anreiz für Innovationen. Das Ergebnis ist ein verzerrter internationaler Wettbewerb. Eine solche Harmonisierung erfordert neue Dialogformate für die Zusammenarbeit von Unternehmen mit ihren Stakeholdern in Politik und Gesellschaft mit dem Ziel, Barrieren zu überwinden. Daneben spielt die Kapitalmarktkommunikation eine entscheidende Rolle. Es bleibt abzuwarten, wie sich die Parteien bei diesem Thema im kommenden Bundestagswahlkampf positionieren.

 

Fazit

  • Mobilitäts-Start-ups erzielen erstaunlich hohe Börsenbewertungen
  • Man könnte dies als Bestätigung der These deuten, dass wir uns auf dem Weg zu einer Purpose Economy befinden
  • Nachhaltigkeitsinnovationen sind eine wichtige Quelle für die Sinnsuche von Stakeholdern
  • Bislang gelingt es erst wenigen europäischen Unternehmen, das Wertsteigerungspotenzial von Nachhaltigkeit auszuschöpfen

 

Literatur

[1] Hubik, F., John, T.: Start-up ohne Mastermind. In: Handelsblatt, 22. September 2020, S. 20

[2] Hurst, A.: The Purpose Economy – Expanded and Updated, Boise 2016

[3] Izzo, J., Vanderwielen, J.: The Purpose Revolution – How Leaders Create Engagement and Competitive Advantage in the Age of Social Good, Oakland 2018

[4] Servatius, H.G.: 21st Century Management zur Sicherung der Wettbewerbsfähigkeit europäischer Unternehmen. In: Competivation Blog, 29. Juli 2020

[5] Backovic, L., Scheppe, M.: Purpose in der Krise. In: Handelsblatt, 5. Oktober 2020, S. 22-23

[6] ANA (Center of Brand Purpose): B2B Companies See Purpose as a Path to Success, 28. Februar 2020

[7] Servatius, H.G.: Erfolgreiche Nachhaltigkeitsinnovationen mit verbesserten Stakeholder-Beziehungen. In: Competivation Blog, 20. Februar 2020

21st Century Management zur Sicherung der Wettbewerbsfähigkeit europäischer Unternehmen

21st Century Management zur Sicherung der Wettbewerbsfähigkeit europäischer Unternehmen

Bereits vor der Corona-Krise haben amerikanische und asiatische Digitalgiganten die Praxis der Unternehmensführung weiterentwickelt. Auch Europa muss seinen Weg zu einem 21st Century Management finden.

In diesem Blogpost berichten wir über Management-Innovationen in Pionier-Unternehmen, die die Grundlage für entscheidende Wettbewerbsvorteile bilden.

 

Management-Innovationen in Pionier-Unternehmen

In den letzten Jahren ist eine Fülle interessanter Publikationen erschienen, die Management-Innovationen bei Unternehmen wie Amazon, Alphabet (Google), Alibaba und Tencent beschreiben. Wir haben diese Literaturflut zum Anlass genommen, gemeinsam mit Partnern im Rahmen unseres Projekts „21st Century Management“ einen Orientierungsrahmen zu entwickeln, der es europäischen Organisationen ermöglicht, die Erfahrungen dieser Pionier-Unternehmen zu nutzen und an ihre spezifische Situation anzupassen. Angesichts der sich verschärfenden wirtschaftspolitischen Konflikte erscheint es wichtig, dass europäische Unternehmen nicht in eine zu starke Abhängigkeit von IT-Partnern geraten, aus denen Wettbewerber werden können.

Ein solches 21st Century Management muss neben der Corona-Krise große Herausforderungen wie den digitalen Wandel und das Thema Nachhaltigkeit meistern. Dabei bieten gerade Nachhaltigkeitsinnovationen, wie z.B. die Wasserstoff-Herstellung1, Chancen für europäische Unternehmen, die diese gemeinsam mit der Politik nutzen sollten.

In diesen und folgenden Beiträgen skizzieren wir ein solches 21st Century Management.

 

Integriertes Management als Ausgangspunkt

In den 1990er Jahren ist das Konzept eines integrierten Managements entstanden, das die Betriebswirtschaftslehre geprägt hat. Dieses unterscheidet zwischen den Ebenen eines normativen, strategischen und operativen Managements. Aufgabe des normativen Managements ist die Gestaltung der Unternehmenspolitik im Sinne eines Interessenausgleichs zwischen dem Unternehmen und relevanten Bezugsgruppen (Stakeholdern). Im Mittelpunkt des strategischen Managements stehen Programme zur Sicherung der Wettbewerbsfähigkeit. Das operative Management bewältigt die konkreten Aufträge im Tagesgeschäft.2

Dieser integrierte Ansatz bildet den Ausgangspunkt für ein 21st Century Management. Er bedarf jedoch einer Weiterentwicklung auf allen Ebenen. Diese Weiterentwicklung nutzt die Erfahrung erfolgreicher Management-Pioniere.

 

Lernen von erfolgreichen Management-Pionieren

Ein 21st Century Management verknüpft innovative Konzepte auf der normativen und der strategischen Ebene mit neuen Ansätzen auf der Ebene der organisatorischen Gestaltung. Diese Management-Innovationen sind

  • die Schaffung von Vertrauen durch einen gemeinsamen Sinn (Purpose)
  • eine Entwicklung des Portfolios entstehender und neuer Geschäftsmodelle sowie
  • der Wandel zu Ressourcen-Plattformen mit agilen Teams als Organisationsform

Die in der Praxis erfolgreicher Unternehmen entstandenen Neuerungen beeinflussen sowohl die klassischen betriebswirtschaftlichen Funktionslehren für die Produktion und das Marketing als auch Querschnittsdisziplinen wie Strategie, Innovation, Organisation und Personal.

 

 

Ein Kennzeichen der entstehenden Purpose Economy ist, dass große Innovationsaufgaben seitens der Stakeholder Vertrauen bezüglich des Sinns der beteiligten Unternehmen erfordern. Im Unterschied zu traditionellen Leitbildern entfaltet sich ein Purpose durch das konkrete Verhalten der Akteure im Tagesgeschäft.

Auf der strategischen Ebene stehen Unternehmen vor der Aufgabe, das Portfolio ihrer bestehenden Geschäftsmodelle gegen Risiken zu verteidigen und gleichzeitig neue Geschäftsmodelle zu erschließen. Das Ziel ist die Schaffung eines nachhaltigen Nutzens.

Neue Organisationsformen konnten sich lange Zeit nicht gegen die traditionellen Konzepte des Industriezeitalters durchsetzen. Hier zeichnet sich eine Veränderung ab. Erfolgreiche Digitalgiganten kombinieren Ressourcen-Plattformen mit agilen Teams und erreichen so Wettbewerbsvorteile. Die Herausforderung für die etablierten Unternehmen liegt in einer situativ angemessenen Bewältigung des Wandels zu einer agilen Plattform-Organisation.

Mit dem vor einigen Jahren entstandenen Begriff 21st Century Management wollen wir zum Ausdruck bringen, dass die skizzierten neuen Managementaufgaben etwa seit dem Beginn des 21. Jahrhunderts eine konkretere Form annehmen.3 In diesem Projekt entwickeln wir unsere Überlegungen zu einem Management 4.0 weiter.4

 

Bosch als Vorreiter

Ein europäisches Vorreiter-Unternehmen des 21st Century Management ist Bosch. Der Vorsitzende der Geschäftsführung Volkmar Denner sieht das Unternehmen mit seiner IoT Cloud auf dem Weg zu einer Internet of Things Company. Das bedeutet, dass eine eigene IoT-Infrastruktur die Basis für unterschiedliche Anwendungsmuster bildet. Außerdem arbeitet Bosch seit langem mit agilen Methoden und erprobt die Skalierung von agilen Innovationsteams. Wichtig ist darüber hinaus, dass Führungskräfte bei Bosch in ihrer Arbeit selbst agile Prinzipien anwenden. Seine Software- und Elektronikkompetenz bündelt das Unternehmen nun in einer neuen Geschäftseinheit.5 Dies sind wichtige Schritte in Richtung auf eine agile Plattform-Organisation.

Aber auch ein solches Vorreiter-Unternehmen muss sich der härter werdenden Konkurrenz durch Microsoft und Amazon Web Services (AWS), den führenden Anbietern von Cloud-Infrastrukturen, stellen. Diese Hyperscaler mit ihren großen Rechenzentren schaffen die Grundlage für eine Optimierung von Standorten und Lieferketten, wie z.B. bei VW.6 Der Wettlauf um die führende Rolle bei der Digitalisierung der Industrie ist also noch nicht entschieden.

 

Fazit

  • Amerikanische und chinesische Unternehmen haben das integrierte Management auf der normativen, strategischen und organisatorischen Ebene weiterentwickelt
  • Auf der normativen Ebene trägt der im Tagesgeschäft gelebte gemeinsame Sinn (Purpose) dazu bei, Vertrauen bei Stakeholdern zu schaffen
  • Ein Portfolio neuer und bestehender Geschäftsmodelle hilft auf der strategischen Ebene, Risiken zu bewältigen und einen nachhaltigen Nutzen zu schaffen
  • Der Wandel zu Ressourcen-Plattformen mit agilen Teams ermöglicht auf der organisatorischen Ebene die Realisierung eines 21st Century Managements
  • Wir unterstützen Unternehmen dabei, den für ihre spezifische Situation richtigen Ansatz zu finden

 

Literatur

[1] Stratmann, K., Witsch, K.: Die Wasserstoff-Welt der Zukunft. In: Handelsblatt, 08. Juli 2020, S. 8-9

[2] Bleicher, K.: Das Konzept Integriertes Management, Frankfurt 1991

[3] Lindgren, M.: 21st Century Management – Leadership and Innovation in the Thought Economy, Basingstoke 2012

[4] Kaufmann, T., Servatius, H.G.: Das Internet der Dinge und Künstliche Intelligenz als Game Changer – Wege zu einem Management 4.0 und einer digitalen Architektur, Wiesbaden 2020

[5] Buchenau, M., Tyborski, R.: Bosch programmiert das Auto der Zukunft. In: Handelsblatt, 22. Juli 2020, S. 18-19

[6] Müller, E.: Aus allen Wolken. In: Manager Magazin, August 2020, S. 96-99

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