Erfolgreiche Nachhaltigkeitsinnovationen mit verbesserten Stakeholder-Beziehungen | Competivation

Die Probleme bei der Mobilitätswende könnten zu einer Bedrohung für Schlüsselbranchen wie die Automobilindustrie werden. Der Weg zu erfolgreichen Nachhaltigkeitsinnovationen führt über verbesserte Stakeholder-Beziehungen.

 

Stolpersteine bei der Energie- und Mobilitätswende

Bei wichtigen Nachhaltigkeitsthemen wie Solarenergie und Elektromobilität ist die Bilanz des Zusammenspiels zwischen der deutschen Innovationspolitik und dem Innovationsmanagement deutscher Unternehmen besorgniserregend.1 So führt die Umlage nach dem Erneuerbare-Energien-Gesetz (EEG) im Zeitraum von 2000-2025 zu Subventionen in Höhe von über 400 Milliarden Euro. Im gleichen Zeitraum sind die meisten deutschen Anbieter von Solartechnik von der Landkarte verschwunden. Bei Lithium-Ionen-Batterien geraten deutsche Automobil-Unternehmen in eine gefährliche Abhängigkeit von ausländischen Herstellern. Obwohl die Lithium-Gewinnung mit erheblichen Umweltproblemen verbunden ist, hat die deutsche Industrie bislang die Chance nicht genutzt, die Wettbewerber mit besseren Batterietechnologien zu überholen. Viele Autofahrer sind allerdings auch noch nicht auf Elektromobilität umgestiegen, weil sie mit der vorhandenen Ladeinfrastruktur unzufrieden sind.

Diese Beispiele zu Nachhaltigkeitsinnovationen im Energie- und Mobilitätssektor verdeutlichen ein Game-Changer-Thema vom Typ drei, bei dem Defizite bei den Beziehungen zu Stakeholdern Durchbrüche erschweren.2

 

Erweiterung des klassischen Innovationsmanagement

Das klassische Innovationsmanagement ist auf den wirtschaftlichen Erfolg mit inkrementellen und radikalen Neuerungen gerichtet. Diese „Profit-Orientierung“ erlebt in Zeiten des Klimawandels eine Erweiterung, die immer mehr an Bedeutung gewinnt. Der Treiber der Erweiterung sind Nachhaltigkeitsinnovationen, die zusätzlich zum wirtschaftlichen Erfolg auf einen ökologischen und gesellschaftlichen Nutzen gerichtet sind. Neben die Gewinnmaximierung tritt die Suche nach einem höheren Zweck, oder neudeutsch „Purpose“, der in einem Unternehmensleitbild verankert ist.3

 

In diesem Zusammenhang ist es interessant, dass internationale Konzerne wie die BASF, Bosch und SAP in der Value Balancing Alliance an einem Ansatz arbeiten, der versucht, bei der Bilanzierung Auswirkungen auf die Umwelt, Gesellschaft und Wirtschaft besser zu erfassen.4 Bislang fehlen für die Corporate Social Responsibility (CSR-) Aktivitäten von Unternehmen einheitliche Standards.

Die Umsetzung von Nachhaltigkeitsinnovationen stellt Unternehmen aber vor neue Herausforderungen. Ähnlich wie das Innovationsmanagement erfordert auch das Nachhaltigkeitsmanagement einen integrierten Ansatz. Das nächste große Thema sind dediziert nachhaltigkeitsorientierte Innovationssysteme (DIS).5 Unsere Initiative „Next Level of Innovation“ zielt darauf ab, den Wandel in Richtung auf eine stärkere Nachhaltigkeitsorientierung von Innovationspolitik und Innovationsmanagement zu unterstützen.6 Eine theoretische Grundlage hierfür liefert die evolutionäre Ökonomie, die lange im Schatten der neoklassischen Mainstream-Ökonomie stand.

 

Defizite bei den Beziehungen zu Stakeholdern

Bei Pionieren des Nachhaltigkeitsmanagements, wie z.B. Henkel, ist eine nachhaltigkeitsorientierte Führung und Organisation tief in der Kultur des Unternehmens verankert. Am Anfang der Entwicklungsgeschichte stehen häufig Nachhaltigkeitsinnovationen und das Thema Nachhaltigkeit durchdringt die gesamte Wertschöpfung. Folgerichtig existiert eine kontinuierlich weiterentwickelte Nachhaltigkeitsstrategie, die in Form messbarer Ergebnisse operationalisiert wird.7 Auf dem Weg zu einer nachhaltigen Wertsteigerung haben viele Unternehmen aber Probleme bei der Gestaltung der immer komplexer werdenden Beziehungen zu Stakeholdern in Wirtschaft, Wissenschaft, Gesellschaft, Politik und Justiz. Daher kommt einer Verbesserung des Stakeholder Relationship Management die Rolle eines Game Changers bei Nachhaltigkeitssystemen zu.8

 

Ein typisches Muster des Misslingens geht vom Thema „Not in my backyard“ aus. Während ein Großteil der Bevölkerung erneuerbare Energien begrüßt, wehren sich unmittelbar Betroffene gegen die Ansiedlung von Windenergieanlagen oder Stromleitungen. Der Nimby-Effekt ruft die Politik auf den Plan, die versucht einen Interessenausgleich herzustellen. Gelingt dies nicht, sind die Leidtragenden die Unternehmen, deren Verbreitung von Nachhaltigkeitsinnovationen blockiert wird.

Die Schwierigkeit für Unternehmen liegt unter anderen darin, dass bei neuen Themen wie der fünften Generation des Mobilfunks (5G) oder Künstliche Intelligenz (KI) der Verlauf der „Erregungskurve“ bei Bürgern, die sich gegen innovative Technologien wehren und die Reaktionen der Politik nicht einfach zu prognostizieren sind.

 

Drei Phasen gemeinsamer Lernprozesse

Es stellt sich daher die Frage, wie Unternehmen, die an Nachhaltigkeitsinnovationen arbeiten, ihre Beziehungen zu Stakeholdern systematisch verbessern können. Im Rahmen unserer Projekte haben wir gute Erfahrungen mit gemeinsamen Lernprozessen gemacht, die in drei Phasen ablaufen. In der ersten Phase einer solchen Learning Journey geht es darum, frühzeitig die komplexen Muster von Innovationsbarrieren besser zu verstehen. Danach schaffen die Akteure geeignete Kommunikationsformate, die auf einen Interessenausgleich gerichtet sind. Dies mündet in Phase drei in die Gestaltung leistungsfähiger Innovationsökosysteme ein, in denen Barrieren abgebaut und Potenziale ausgeschöpft werden. Auf diese Weise gelingt eine nachhaltige Wertsteigerung in Innovationsfeldern.

 

Das Leitbild des Sicherheitsanbieters Giesecke+Devrient lautet: Creating Confidence. Ralf Wintergerst, der CEO des Unternehmens, fordert für den digitalen Wandel mehr Vernetzung zwischen Politik und Wirtschaft.9 Dies gilt auch für Nachhaltigkeitsinnovationen, bei denen die Akteure in Co-Creation-Prozessen ein gemeinsames Lernen orchestrieren müssen.

Häufig unterschätzt wird bislang die Bedeutung der ersten Phase, in der es darum geht, mögliche Innovationsbarrieren besser zu verstehen. So ist es im Rückblick erstaunlich, wie lange Auflagen für Smart Meter Gateways des Bundesamtes für Sicherheit in der Informationstechnik (BSI) die breite Einführung neuer Gesellschaftsmodelle in Deutschland verzögert. Ein lokales Beispiel ist das von Tesla geplante neue Werk in Grünheide bei Berlin. Auf Antrag der Grünen Liga Brandenburg stoppte das Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg das Abholzen einer knapp 92 Hektar großen Waldfläche. Der Rodungsstopp gilt so lange, bis über die Eilanträge abschließend entschieden ist.10 Auf diese Weise macht der US-Elektroauto-Hersteller erste Erfahrungen mit dem deutschen Naturschutz. Kritiker sprechen von ökonomischem Analphabetismus und fordern eine Änderung des Verbandsklagerechts.11

Die spannende Frage ist, mit welchen vorhandenen oder neuen Kommunikationsformaten es gelingen kann, die Stakeholder-Beziehungen bei Nachhaltigkeitsinnovationen zu verbessern. Ein Problem ist dabei die zunehmende Polarisierung der Positionen, die es immer schwieriger macht, Zielkonflikte zwischen den Dimensionen einer ökonomischen, ökologischen und sozialen Nachhaltigkeit zu bewältigen. Eine theoretische Grundlage hierfür liefert die Verknüpfung der Theorie komplexer Systeme mit der Erforschung von „wicked“ (boshaften) Problemen.12 Derartige Probleme sind unter anderem dadurch gekennzeichnet, dass es verschiedene Stakeholder gibt, bei deren Werten und Prioritäten gravierende Unterschiede bestehen.13

Bei der Gestaltung leistungsfähiger Innovationsökosysteme besteht die Chance für Europa darin, das Modell einer sozialen und ökologischen Marktwirtschaft weiterzuentwickeln und sich so von anderen Politikmodellen zu differenzieren. Ein Innovationsfeld, bei dem Unternehmen und Politik seit Jahren versuchen, einen Durchbruch zu erzielen, ist die Wasserstoffwirtschaft.14 Es bleibt abzuwarten, ob und wann dieser gelingt. Die Stellungnahme des Verbands der Automobilindustrie (VDA) zur nationalen Wasserstoffstrategie (NWS) der Bundesregierung und zur nationalen Umsetzung der Renewable Energy Directive (REDII) zeigt, dass sich die Politik und ein wichtiger Verband in einen konstruktiven Dialogprozess befinden, der hoffentlich zu weiteren konkreten Maßnahmen führt.

 

Organisatorische Implikationen

Das Innovationsmanagement und das Nachhaltigkeitsmanagement sind heute in der Regel in unterschiedlichen Organisationseinheiten angesiedelt. Beide Einheiten haben komplexe, koordinierende Aufgaben mit großer strategischer Bedeutung für die Unternehmensentwicklung. Außerdem spielen beide Einheiten eine wichtige Rolle bei der Kommunikation mit dem Kapitalmarkt, der Politik und der Öffentlichkeit.

Im Rahmen eines engagierten Wandels zu nachhaltigkeitsorientierten Innovationssystemen konvergieren diese Aufgaben und die Abstimmung zwischen dem Innovations- und dem Nachhaltigkeitsmanagement wird immer wichtiger.

 

Ähnlich wie beim digitalen Wandel stoßen traditionelle Organisationskonzepte bei einer Bewältigung dieser Konvergenz an ihre Grenzen. Eine mögliche Lösung sind evolutionäre Organisationsformen, die darauf gerichtet sind, gemeinsame Lernprozesse mit Kunden und Stakeholdern zu fördern. In unserem Buch „Das Internet der Dinge und Künstliche Intelligenz als Game Changer“ behandeln wir dieses Thema als Baustein eines Management 4.0.15 Die Gestaltung und Befähigung solcher evolutionären Organisationen betrachten wir als wichtiges Feld für die Managementforschung.

 

Literatur

[1] Dohmen, F. et al.: Grüner Blackout. In: Der Spiegel, 4. Mai 2019, S. 12-21

[2] Servatius, H.G.: Game-Changer-Themen meistern. In: Competivation Blog, 07. Januar 2020

[3] Reiman, J.: The Story of Purpose – The Path to Creating a Brighter Brand, a Greater Company and a Lasting Legacy, Hoboken 2013

[4] Fockenbrock, D.: Konzerne gründen Wertallianz. In: Handelsblatt, 19. August 2019

[5] Urmetzer, S., Pyka, A.: Innovation Systems for Sustainability. In: Filho, W.L. et al. (Hrsg.): Encyclopedia of the UN Sustainable Development Goals – Decent Work and Economic Growth, Cham 2019

[6] Competivation: Nachhaltigkeitsinnovationen

[7] Servatius, H.G.: Wettbewerbsvorteile durch die Gestaltung eines Nachhaltigkeitssystems. In: Thomaschewski, D., Völker, R. (Hrsg.), Nachhaltige Unternehmensentwicklung – Herausforderungen für die Unternehmensführung des 21. Jahrhunderts, Stuttgart 2016, S. 27-32

[8] Baugh, A.: Stakeholder Engagement – The Game Changer for Program Management, Boca Raton 2015

[9] Wintergerst, R.: Digitale Probleme meistern. In: Handelsblatt, 13. Februar 2020, S. 48

[10] Neuerer, D.: Gericht bremst Tesla-Projekt aus. In: Handelsblatt, 17. Februar 2020, S. 5

[11] Sigmund, T.: Willkommen in Absurdistan. In: Handelsblatt, 18. Februar 2020, S. 16

[12] Waddock, S. et al.: The Complexity of Wicked Problems in Large Scale Change. In: Journal of Organizational Change Management, 2015, S. 993-1012

[13] Head. B.W., Alford, J.: Wicked Problems – Implications for Public Policy and Management. In: Administration and Society, 2015, S. 711-739

[14] Knitterscheidt, K. et al.: Ein Molekül macht Karriere. In: Handelsblatt, 7./8./9. Februar 2020, S. 40-45

[15] Kaufmann, T., Servatius, H.G.: Das Internet der Dinge und Künstliche Intelligenz als Game Changer – Wege zu einem Management 4.0 und einer digitalen Architektur, Wiesbaden 2020

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