Komplexitätsbewältigung | Competivation
Gestaltung von innovativen Stakeholder-Ökosystemen

Gestaltung von innovativen Stakeholder-Ökosystemen

Der weltweite Wettbewerb bei wichtigen Zukunftsthemen wie der Wasserstoffwirtschaft findet zunehmend zwischen Stakeholder-Ökosystemen statt. Das Systemic Design ist ein relativ neuer methodischer Ansatz für die erfolgreiche Zusammenarbeit von Stakeholdern aus verschiedenen Sektoren.

 

In diesem Blogpost beschäftigen wir uns mit der Frage, wie Deutschland in der Stakeholder Economy seine Zukunft als Industrienation sichern kann.

 

Erfolgreich mit einer dezentralen Wirtschaftsstruktur?

Mit einem verschwindend geringen Anteil an den wertvollsten börsennotierten Unternehmen der Welt und der relativ großen Zahl innovativer Familienunternehmen steht Deutschland aufgrund seiner dezentralen Wirtschaftsstruktur bei der Erschließung wichtiger Zukunftsthemen vor einer besonderen Herausforderung.1 Die Frage ist, wie es mit Hilfe einer intelligenten Zusammenarbeit von Stakeholdern aus Wirtschaft, Wissenschaft, Politik und Gesellschaft gelingt, die großen Herausforderungen bei der Digitalisierung, dem Klimawandel und der Krisenbewältigung zu meistern.

Eines der Felder, bei dem die Gestaltung von innovativen Stakeholder-Ökosysteme eine entscheidende Rolle spielt, ist die Wasserstoffwirtschaft.

 

Zusammenarbeit der Stakeholder einer Wasserstoffwirtschaft

Aufgrund der veränderten Rahmenbedingungen ist die Bedeutung einer leistungsfähigen Wasserstoffwirtschaft für die Erreichung der Klimaschutzziele, die Diversifizierung von Energieimporten und die Gewährleistung der Versorgungssicherheit weiter gestiegen. Darauf hat der Nationale Wasserstoffrat in seinem Eckpunkte-Papier zur Überarbeitung der deutschen Wasserstoffstrategie hingewiesen und ein Maßnahmenbündel beschrieben. Dieses besteht aus den Punkten:2

  • Schaffung eines Zertifizierungs- und Handelssystems
  • Auf- und Ausbau der Wasserstoffinfrastruktur
  • Hochlauf der Verfügbarkeit von klimaneutralem Wasserstoff und seinen Derivaten
  • Schaffung eines Förderrahmens zum Aufbau von Absatzmärkten sowie
  • Forschung und Entwicklung mit Fokus auf großzahlige Demonstrationsprojekte.

Die Umsetzung dieser Maßnahmen erfordert jedoch eine verbesserte Zusammenarbeit der Stakeholder. Dabei stehen Deutschland und Europa in einem harten internationalen Wettbewerb. In den USA setzt man auf ein Infrastrukturpaket in Höhe von 9,5 Milliarden Dollar, umfangreiche Steuerrabatte und eine anwendungsorientierte Innovationsförderung. In Europa streiten die EU-Kommission und das -Parlament über die Frage, wann Wasserstoff als grün eingestuft werden darf.

Die entstehende Wertschöpfung für klimaneutralen Wasserstoff ist komplex und fragmentiert. Sie besteht aus den Stufen:

  • Erzeugung von erneuerbaren Energien
  • Wasserstoff-Produktion
  • Wasserstoff-Distribution und -Speicherung sowie
  • Wasserstoff-Anwendungen im Transportsektor und in der Industrie.

Trotz der gegenwärtig noch zu hohen Kosten erwarten Experten der Boston Consulting Group für die H2-Infrastruktur 2050 ein Markpotenzial von insgesamt rund 200 Milliarden Dollar. Der größte Anteil von 80-90 Milliarden Dollar entfällt dabei auf die verschiedenen Anwendungen.3 Zur Erschließung dieses Marktpotenzials kooperieren verstärkt Unternehmen aus verschiedenen Branchen und Staaten. Sogenannte Business Ecosystems mit klar erkennbaren Orchestrierern sind aber erst in Ansätzen vorhanden.

 

Stakeholder-Ökosysteme als Weiterentwicklung von Business Ecosystems

Unter dem Begriff Stakeholder-Ökosystem verstehen wir das komplexe Zusammenwirken von Akteuren aus Wirtschaft, Wissenschaft, Politik und Gesellschaft in Handlungsfeldern wie der nachhaltigen Produktion und Anwendung von Wasserstoff. Stakeholder-Ökosysteme sind ein zentraler Baustein der fünften Entwicklungsstufe eines verbindenden strategischen Managements.4 Eine solche Strategie 5.0 verknüpft die früheren Entwicklungsstufen einer Markt-, Innovations-, Nachhaltigkeits- und Resilienzorientierung. Ein wichtiger Erfolgsfaktor sind dabei spezifische konnektive Fähigkeiten, die Stakeholder verbinden.

Wir sehen in Stakeholder-Ökosystemen eine Weiterentwicklung des Anfang der 1990er Jahre von James Moore beschriebenen Konzepts der Business Ecosystems,5 in denen ein zentraler wirtschaftlicher Akteur eine orchestrierende Rolle übernimmt.6 Bei der begrifflichen Analogie zu biologischen Ökosystemen ist jedoch zu bedenken, dass in diesen die Evolution selbstorganisiert abläuft und ein zentraler Orchestrierer fehlt. Es stellen sich daher die Fragen, ob eine solche Rolle in Stakeholder-Ökosystemen erforderlich ist und wie sie gestaltet sein könnte.

 

Neue Herausforderungen in der Stakeholder Economy

Bei der Gestaltung von Stakeholder-Ökosystemen gibt es zwei große Herausforderungen:

  1. Die Schaffung eines erfolgreichen Wirtschaftsökosystems und die Orchestrierung der beteiligten Unternehmen sowie
  2. die Bewältigung der Komplexität beim Zusammenwirken von Akteuren aus Wirtschaft, Wissenschaft, Politik und Gesellschaft.

Analysen des BCG Henderson Instituts zeigen, dass nur 15 Prozent der untersuchten Business Ecosystems dauerhaft erfolgreich sind. Dabei entstehen 85 Prozent der Fehler beim Design eines solchen Systems und nur 15 Prozent bei dessen Umsetzung. Die häufigste Fehlerursache ist ein schlecht gewähltes Governance-Modell z.B. bei der Wahl des richtigen Grades an Offenheit.7

Bislang existiert keine vergleichbare Analyse von Fehlern und Barrieren für Stakeholder-Ökosysteme. Die praktische Erfahrung legt jedoch die Vermutung nahe, dass auch hier die Erfolgsquote gering ist. Eine verbreitete Fehlerursache sind unterschiedliche Ziele und Defizite bei der Zusammenarbeit der Stakeholder.

Die beiden genannten Herausforderungen sind parallel zu bewältigen. Wie die folgende Abbildung verdeutlicht, kann es dabei zu gesellschaftlich und politisch sowie wirtschaftlich induzierten Fehlern und Barrieren kommen. Für beide Fälle gibt es eine Reihe praktischer Beispiele.

 

Lernprozess Innovationsstrategie

 

Als wir 1994 nach einem Beratungsprojekt für ein großes deutsches Automobilunternehmen in einem Buch die Chancen eines gemeinsamen ökologischen Umsteuerns von Wirtschaft, Wissenschaft, Politik und Gesellschaft aufgezeigt haben,8 blieb dieser Weckruf lange ungehört, bis Tesla die Branche revolutionierte.

Ein Beispiel für wirtschaftlich induzierte Fehler ist auch das Scheitern der deutschen Solarenergie-Branche. Mit Hilfe einer massiven öffentlichen Förderung hat es in der Entstehungsphase zwar Erfolge der beteiligten Unternehmen gegeben, die dann aber nicht dem Angriff asiatischer Stakeholder-Ökosysteme standgehalten haben.

Beispiele für gesellschaftlich und politisch induzierte Fehler sind in Deutschland zahlreich. Von der frühen Phase der Biotechnologie bis zum flächendeckenden Einsatz von Smart Metern als wichtigem Element intelligenter Energiesysteme sind diese Felder über einen längeren Zeitraum an einem im Vergleich zu anderen Ländern höheren Risikobewusstsein gescheitert. Die wirtschaftlich und gesellschaftlich wohl größten Auswirkungen für Deutschland wird das aus Gründen des Klimaschutzes von der Politik verordnete Ende des Antriebs von Automobilen mit Verbrennungsmotor haben. Ob diese Entscheidung richtig oder falsch war, hängt stark davon ab, wie man die Nachhaltigkeitsdimensionen Umwelt, Wirtschaft und Soziales priorisiert.

Ein Beispiel für das Zusammenwirken von politisch und wirtschaftlich induzierten Fehlern mit noch offenem Ausgang ist der Übergang zur Elektromobilität. Ein Negativ-Szenario mit einem Scheitern dieses Stakeholder-Ökosystems hätte für die deutsche Wirtschaft fatale Folgen. Besorgniserregend sind hier die trotz massiver Subventionen der Antriebstechnologie vorhandenen Schwierigkeiten beim Aufbau einer kundenfreundlichen Ladeinfrastruktur und das fehlende Angebot von preiswerten Fahrzeugen.

Eine wichtige Rolle bei der Überwindung derartiger Fehler könnten die Wirtschaftsverbände spielen. So fordert Hildegard Müller, die Präsidentin des Verbands der deutschen Automobilindustrie (VDA), angesichts des knallharten internationalen Standortwettbewerbs eine Politik, die die Stärken unserer Industrienation fördert, neue Märkte eröffnet, auf Innovationen setzt und so Wohlstand und Wachstum sichert.9

Ebenfalls noch offen ist der Ausgang in anderen wichtigen Zukunftsfeldern wie der Anwendung von Künstlicher Intelligenz und der Sicherung der Wettbewerbsfähigkeit in energieintensiven Branchen. Diese Beispiele zeigen, wie wichtig es wäre, die Kompetenz bei der gemeinsamen Gestaltung von Stakeholder-Ökosystemen zu erhöhen.

Dass es dabei stark auf individuelle Initiative ankommt, zeigt eine der jüngeren Erfolgsgeschichten: Die Entwicklung eines erfolgreichen Corona-Impfstoffs durch das in Mainz gegründete und von erfahrenen Unternehmern mit der notwendigen Finanzkraft ausgestattete Start-up-Unternehmen BioNTech, dessen Wurzeln in der Grundlagenforschung liegen. Zu diesem Erfolg hat dann sicherlich auch die Allianz mit dem großen Pharma-Konzern Pfizer beigetragen.

 

Suche nach einem geeigneten Ansatz

In den letzten Jahren haben wir nach einem geeigneten Ansatz gesucht, mit dessen Hilfe man die Akteure in Stakeholder-Ökosysteme bei der Komplexitätsbewältigung unterstützen kann. Der Ausgangspunkt dieser Suche ist die Erkenntnis gewesen, dass weder die klassischen Stakeholder-Dialoge noch Autogipfel mit dem Kanzler ausreichen, um die skizzierten Herausforderungen zu bewältigen. Auch die bundeseigene Agentur für Sprunginnovationen (SPRIND) hat bislang die in sie gesetzten Erwartungen nicht erfüllt.10

Diese Suche hat uns zu dem von verschiedenen akademischen Gruppen in Oslo, Toronto und Turin entwickelten Konzept des Systemic Designs geführt. Den Ausgangspunkt hierfür bildete ein von Birger Sevaldson 2012 an der Oslo School of Architecture and Design initiiertes Expertentreffen, aus dem das Forschungsnetzwerk Systemic Design Association (SDA) hervorgegangen ist.

 

Möglicher Nutzen des Systemic Designs

Das Systemic Design verbindet Systemdenken mit einem Lösungsdesign bei komplexen Herausforderungen.11 Bei der Anwendung als Gestaltungsansatz für multisektorale Stakeholder-Ökosysteme haben sich ein Mehrphasen-Prozess und ein Methoden-Baukasten bewährt. Dabei liegt der mögliche Nutzen vor allem darin, dass Akteure aus Wirtschaft, Wissenschaft, Politik und Gesellschaft über ein gemeinsames Vorgehensmodell verfügen, was die Zusammenarbeit erleichtert. Obwohl sich der Ansatz weltweit zunehmender Beliebtheit erfreut, ist er bei deutschen Managern und Politikern noch relativ unbekannt. Diese Situation erinnert an das bereits Ende der 1950er Jahre an der Stanford University entwickelte Design Thinking, dessen Verbreitung in Deutschland auch erst viel später erfolgt ist.

 

Lernprozess Innovationsstrategie

 

Der Bedeutungszuwachs des Systemic Design wird von den großen Themen Innovation, Nachhaltigkeit und Resilienz getrieben. Die Komplexität bei der Gestaltung von Stakeholder-Ökosystemen liegt in der Überwindung von politisch-gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Barrieren. Eine wichtige Voraussetzung ist, dass die Stakeholder ihre Silostrukturen verlassen und sich auf eine Zusammenarbeit einlassen. Moderatoren solcher Prozesse sollten neben der Methodenkompetenz über Anschlussfähigkeit bei den jeweiligen Fachthemen verfügen. In der Vergangenheit hat ein hierzu geeigneter Ansatz lange Zeit gefehlt. Außerdem ist es nicht einfach gewesen, radikale Technologiegegner in Stakeholder-Prozesse einzubeziehen. Dies wird am Beispiel der Biotechnologie deutlich.

 

Innovationshemmnisse und fehlender Ansatz bei Biotechnologie-Stakeholdern

Bereits Ende der 1980er Jahre habe ich mich im Rahmen eines vom damaligen Bundesministerium für Forschung und Technologie (BMFT) geförderten Beratungsprojekts mit der Frage beschäftigt, wie es gelingt, Innovationshemmnisse bei der Anwendung der Biotechnologie im Gesundheitssektor abzubauen. Die Aufgabe unserer Studie bestand darin, das relevante Stakeholder-Ökosystem und die komplexen Zusammenhänge zwischen Innovationsprozess, Innovationspolitik und fehlender öffentlicher Akzeptanz zu analysieren.12 Leider ist es der Politik nicht gelungen, unsere Empfehlung, intersektorale Programme mit gemeinsamen Lernprozessen zu verbinden, konsequent umzusetzen.

Die Erkenntnisse aus diesem und einer Reihe anderer Projekte sind dann in meine 1991 erschienene Habilitationsschrift eingeflossen.13 Darin behandele ich den notwendigen Paradigmenwechsel von einem eher mechanistischen strategischen Management zu einer komplexitätsbewussten evolutionären Führung. Möglicherweise wäre es in den folgenden Jahren nicht zu einem Rückgang biotechnischer Innovationen bei deutschen Pharma-Unternehmen gekommen, wenn es schon einen Ansatz wie das Systemic Design gegeben hätte.

 

Mehrphasen-Prozess und Methoden-Baukasten

Ein mögliches praktisches Vorgehen bei Systemic Design-Projekten beschreiben Peter Jones und Kristel Van Ael, die an Hochschulen von Toronto und Antwerpen lehren. Sie gliedern den Systemic Design-Prozess in sieben Phasen und ordnen diesen Phasen fünf verschiedene Workshop-Stile zu. Ihr neues Buch behandelt dreißig Methoden, die Projektteams in den Phasen einsetzen können.14

Eine praktische Herausforderung liegt bei der Anwendung der Methoden, die in einem Projekt zum Einsatz kommen sollen. In Anlehnung an die Arbeitsteilung bei Scrum-Projekten bietet es sich an, einen Themen-Verantwortlichen, einen Systemic Design-Master und ein Stakeholder-Team zu benennen. Dabei hat der Systemic Design-Master die Aufgabe, aus dem umfangreichen Methoden-Baukasten die passenden Werkzeuge auszuwählen und das Team zu schulen.

In der Abbildung sind die Phasen und Workshop-stile dargestellt. Im Folgenden erläutern wir diese kurz.

 

Lernprozess Innovationsstrategie

 

Das Ziel in der ersten Phase ist es, das System in einen Rahmen einzubetten. Dies erfolgt in Framing-Workshops, in denen das Projektteam – bildlich gesprochen – einen Reiseplan erarbeitet und die folgenden Fragen beantwortet:

  • Was sind die Systemgrenzen und wer sind wichtige Akteure?
  • Warum sind Veränderungen erforderlich, welche Innovationsmöglichkeiten gibt es und von wem gehen die aus?

So entsteht eine gemeinsame Sichtweise der zu bewältigenden Aufgabe.

In den Phasen zwei und drei geht es darum, in das System hineinzuhören, um es besser zu verstehen. Hierzu eignen sich Analyse- und Sensemaking-Workshops. Wichtige Fragen sind:

  • Wie lässt sich das Verhalten der Stakeholder beschreiben und wie erleben sie das System?
  • Wie sind wichtige Strukturen und Prozesse entstanden und welche Interessen verfolgen die Stakeholder?
  • Wie wirken diese Faktoren zusammen?

Dabei ist mit Sensemaking gemeint, wodurch das System einen Sinn ergibt.

Das Ziel von Phase vier ist es dann, sich eine erwünschte Zukunft vorzustellen. Zu einer solchen Neuausrichtung eignen sich Reframing-Workshops. Die zu beantwortenden Fragen sind:

  • Worin besteht das Wertversprechen eines neugestalteten Systems für die Stakeholder kurz-, mittel- und langfristig?
  • Welche Barrieren sind dabei zu überwinden und wie könnte ein neues Gesamtbild aussehen?

Die Präsentation dieses Zwischenergebnis erfolgt am besten in Form einer visualisierten Geschichte.

Hierauf aufbauend besteht das Ziel der Phasen fünf und sechs darin, den Möglichkeitsraum genauer zu erkunden und den Veränderungsprozess zu planen. Diese gemeinsame Gestaltungsaufgabe erfolgt in Co-Design-Workshops. Wichtige Fragen sind:

  • Was sind mögliche Zukunftsszenarien, Interventionsstrategien und deren Ergebnisse?
  • Wie sieht eine Blaupause für den Wandel mit einem entsprechenden Prozess aus?
  • Wie bereit sind die Stakeholder für einen solchen Wandel und gibt es hierfür ein Governance-Modell?

Die Erfahrung aus komplexen Veränderungsprojekten zeigt, dass dabei immer mit Widerständen zu rechnen ist.

Ziel der siebten Phase ist es schließlich, ein konkretes Vorgehen festzulegen. Dies erfolgt in Roadmapping-Workshops. Fragen hierbei sind:

  • Wie gelingt es, die Stakeholder zu ersten gemeinsamen Schritten zu bewegen und von da aus die angestrebten Ergebnisse zu skalieren?
  • Wie könnte sich das Modell der Zusammenarbeit weiterentwickeln?

Insgesamt erfordert der Systemic Design-Ansatz eine hohe Methodenkompetenz und die Fähigkeit zur Zusammenarbeit über Sektorgrenzen hinweg.

 

Methodische Light-Version und Gliederung in Aufgabenpakete

Bei der Anwendung von Systemic Design-Methoden besteht die Herausforderung darin, die meist an schnellen Ergebnissen interessierten Praktiker nicht zu überfordern. Methoden sind Hilfsmittel und sollten nicht zum Selbstzweck werden. Für die Workshop-Moderatoren bedeutet dies, dass sie die richtige Mischung aus Fach- und Methodenkompetenz finden müssen. Mit dem Methoden-Baukasten von Jones und van Ael steht hierfür ein breites Angebot zur Verfügung. In Projekten mit Managern und Politikern ist aber zu berücksichtigen, dass diese im Gebrauch der Methoden meist nicht geschult sind. Daher kann eine Light-Version des Systemic Designs sinnvoll sein, bei der die Anforderungen an die Methodenkompetenz geringer sind.

Außerdem hat sich bei der Gestaltung von Stakeholder-Ökosystemen eine Gliederung in Aufgabenpakete bewährt, die jeweils einzelne Akteursgruppen bearbeiten.

 

Lernprozess Innovationsstrategie

 

Dabei stehen die folgenden vier Fragen im Mittelpunkt:

  1. Wie sieht in einem Innovationsfeld, wie z.B. der Wasserstoffwirtschaft, die Strategie für ein Wirtschaftsökosystem aus?
  2. Wie lassen sich z.B. durch eine gezielte Kommunikation mit den relevanten Ministerien die politischen Rahmenbedingungen verbessern?
  3. Welche Formen der öffentlichen Innovationsförderung z.B. von Forschungseinrichtungen sind erfolgversprechend und
  4. Wie können z.B. angesichts der Risiken undichter Wasserstoff-Leitungen Innovationswiderstände in der Gesellschaft abgebaut werden?

Auf diese Weise verringert sich die Komplexität und man muss nicht immer alle Stakeholder gemeinsam an einen Tisch bringen.

 

Verbindung verschiedener Denkschulen und Kulturen

In unserer praktischen Arbeit integrieren wir die Gestaltung von Stakeholder-Ökosystemen in die Strategie- und Innovationsprozesse der relevanten Organisationen. Die Umsetzung wird durch ein agiles Performance Management unterstützt. Hierbei hat sich die Objectives and Key Results (OKR-) Methode bewährt.15 Diese Verbindung verschiedener Denkschulen und die erforderlichen konnektiven Fähigkeiten sind wichtige Kennzeichen der fünften Entwicklungsstufe des strategischen Managements.

Ein Beispiel liefert das Innovationsfeld Biokonvergenz, in dem Künstliche Intelligenz, Nano- und Biotechnologie verschmelzen. Belén Garijo, die Vorsitzende der Geschäftsführung von Merck glaubt, dass die Europäische Union bei dieser Innovationswelle die Chance habe, eine Führungsposition zu übernehmen. Dabei sei die Fähigkeit wichtig, Experten und Organisationen aus unterschiedlichen Bereichen und Kulturen auf ein gemeinsames Ziel auszurichten. Ein Vorteil wären gemeinsame Werte und kulturelle Vielfalt. Akzeptanz in der Gesellschaft könne man mit Hilfe klarer ethischer Rahmenbedingungen erreichen.16

 

Fazit

  • Die Fähigkeit zur Gestaltung erfolgreicher Stakeholder-Ökosysteme entscheidet mit darüber, welche Länder den Wettbewerb bei wichtigen Zukunftsthemen gewinnen
  • In Deutschland gilt es viele Beispiele dafür, dass die Zusammenarbeit von Akteuren aus Wirtschaft, Wissenschaft, Politik und Gesellschaft bei Zukunftsthemen in der Vergangenheit nicht optimal funktioniert hat
  • Einen wichtigen Beitrag zur Komplexitätsbewältigung bei der Zusammenarbeit der Akteure können verbindende Methoden und Kompetenzen leisten
  • Ein hierzu entwickelter, aber in Deutschland noch wenig genutzter Ansatz ist das Systemic Design. Unsere bisherigen Erfahrungen bei der Anwendung in Stakeholder-Ökosystemen zeigen, dass hierbei eine methodische Light-Version und eine Gliederung in Aufgabenpakete besser umzusetzen sind

 

Literatur

[1] Sommer, U.: Zu schwach für die erste Liga. In: Handelsblatt, 27. Dezember 2022, S. 8-9

[2] Nationaler Wasserstoffrat (Hrsg.): Eckpunktepapier zur Überarbeitung der Nationalen Wasserstoffstrategie, ohne Datum, https://www.wasserstoffrat.de/fileadmin/wasserstoffrat/media/Dokumente/2022/2022-06-30_NWR-Eckpunktepapier_UEberarbeitung_NWS.pdf (abgerufen am 10.01.2023)

[3] Ludwig, M., et al.: The Green Tech Opportunity in Hydrogen, 12. April 2021, https://www.bcg.com/publications/2021/capturing-value-in-the-low-carbon-hydrogen-market (abgerufen am 10.01.2023)

[4] Servatius, H.G.: Strategie 5.0 zur Bewältigung der neuen Herausforderungen. In: Competivation Blog, 28.06.2022

[5] Moore, J.F.: The Death of Competition – Leadership and Strategy in the Age of Business Ecosystems, Chichester 1996

[6] Reeves, M., Pidun, U. (Hrsg.): Business Ecosystems, Berlin 2022

[7] Pidun, U., Reeves, M., Schüssler, M.: Why Do Most Business Ecosystems Fail? In: Reeves/Pidun (Hrsg.), a.a.O., S. 35-46

[8] Berger, R., Servatius, H.G., Krätzer, A.: Die Zukunft des Autos hat erst begonnen – Ökologisches Umsteuern als Chance, München 1994

[9] Müller, H.: Mehr Kraft für den Standort D. In: Handelsblatt, 30./31. Dezember 2022, 1. Januar 2023, S. 22

[10] Gillmann, B.: Deutschlands Chef-Innovator auf der Suche nach Disruption. In: Handelsblatt, 27. Dezember 2022, S. 12-13

[11] Jones, P., Kijima, K. (Hrsg.): Systemic Design – Theory, Methods, and Practice, Tokio 2018

[12] BMFT (Hrsg.): Abbau von Innovationshemmnissen im staatlich beeinflussten Bereich im Technologiefeld Biotechnologie, Köln 1989

[13] Servatius, H.G., Vom strategischen Management zur evolutionären Führung – Auf dem Wege zu einem ganzheitlichen Denken und Handeln, Stuttgart 1991, S.305 ff.

[14] Jones, P., Van Ael, K.: Design Journeys through Complex Systems – Practice Tools for Systemic Design, Amsterdam 2022

[15] Kaufmann, T., Servatius, H.G.: Das Internet der Dinge und Künstliche Intelligenz als Game Changer – Wege zu einem Management 4.0 und einer digitalen Architektur, Wiesbaden 2020, S. 56 ff.

[16] Garijo, B.: Mit Biokonvergenz in die Zukunft. In: Handelsblatt, 6./7./8. Januar 2023, S. 18

Konnektivität bei Nachhaltigkeitsinnovationen

Konnektivität bei Nachhaltigkeitsinnovationen

In den verschiedenen Entwicklungsphasen der Managementlehre sind spezifische Konnektoren entstanden, die die Aufgaben von Führungskräften verbinden. Die Komplexitätsbewältigung bei Nachhaltigkeitsinnovationen erfordert neue Formen der Konnektivität.

 

In diesem Blogpost erläutern wir die zunehmende Bedeutung eines gemeinsamen Designs von Stakeholder-Systemen für sektorübergreifende Innovationsprogramme von Wissenschaft, Politik, Wirtschaft und Gesellschaft.

 

Green Transition der BASF

Der Chemiekonzern BASF plant einen Systemwechsel, bei dem das Unternehmen fossile Rohstoffe durch biobasierte ablösen möchte. Außerdem soll die Prozessenergie aus grünem Strom statt aus Gas kommen. Weitere Schwerpunkte sind die Entwicklung von CO2-freien Verfahren sowie der weitere Ausbau einer Kreislaufwirtschaft und der Digitalisierung. Das Ziel ist, bis 2050 die CO2-Emissionen auf null zu reduzieren.1 Für diesen Umbau der BASF passt der Begriff Green Transition. Allerdings muss sich hierzu in Deutschland die Versorgungslage mit erneuerbaren Energien verbessern.

Das Beispiel zeigt, dass die Unternehmensführung bei Nachhaltigkeitsinnovationen eine Reihe neuer Herausforderungen zu bewältigen hat. Ein Blick auf die Entwicklung der Managementlehre macht deutlich, welche verbindenden Kräfte in den verschiedenen Phasen entstanden sind. Diese Bindungskräfte bezeichnen wir als Konnektoren.

 

Konnektoren in verschiedenen Entwicklungsphasen der Managementlehre

Die Entwicklung der Managementlehre wurde durch neue Herausforderungen im Umfeld von Unternehmen geprägt. Diese Entwicklung gliedern wir in die folgenden Phasen:

  1. Die klassischen Management-Funktionslehren
  2. die Unterscheidung zwischen einer normativen, strategischen und operativen Managementebene
  3. die Entstehung der Querschnittsdisziplinen Innovations- und Nachhaltigkeitsmanagement sowie
  4. die Erweiterung der Shareholder- zu einer langfristig orientierten Multi-Stakeholder-Perspektive

Am Beginn der modernen Managementwissenschaft standen betriebswirtschaftliche Funktionslehren wie Beschaffung, Produktion, Vertrieb und Finanzen. Zur Bewältigung der damit verbundenen Komplexität bedurfte es spezifischer Konnektoren wie der Personalführung, verschiedener Organisationsformen, des Produkt- und Projektmanagements sowie einer gemeinsamen Kultur, die die Funktionsbereiche von Unternehmen verbinden.2

Als Ergänzung zu diesen Management-Funktionslehren entstanden in einer zweiten Entwicklungsphase die Ebenen eines normativen, strategischen3 und operativen Managements, die durch das Konzept eines integrierten Managements verbunden sind.4 Weitere Konnektoren im Rahmen dieser Entwicklungsphase sind eine Vision und ein Leitbild (Mission) sowie die operative Umsetzung von Strategien und das Performance Management mit Zielen, Leistungsmessgrößen und Ergebnissen.5

 

Lernprozess Innovationsstrategie

 

Eine dritte Entwicklungsphase begann mit der Entstehung der Querschnittsdisziplinen des Innovations-6 und des Nachhaltigkeitsmanagements,7 die klassische Aufgaben durchdringen.8 Der Begriff Nachhaltigkeitsinnovation und das Kunstwort Sustainovation beschreiben die Schnittmengen zwischen diesen Disziplinen.9 Wichtige Konnektoren in dieser dritten Phase sind unter anderem neue Führungsrollen und die Fähigkeit zur Verbindungsarbeit.

 

Neue Führungsrollen und die Fähigkeit zur Verbindungsarbeit

Angesichts der Digitalisierung und des Klimawandels ist neben dem strategischen und dem operativen Management die Bedeutung des Innovations- und des Nachhaltigkeitsmanagements gestiegen. Im Zuge dieser Entwicklung sind neue Führungsrollen wie die eines Chief Innovation Officers (CINO), eines Chief Digital Officers (CDO) und eines Chief Sustainability Officers (CSO) entstanden. Aufgrund der Entwicklungsdynamik verwundert es nicht, dass Unternehmen die verbindenden Rollen dieser Führungskräfte unterschiedlich interpretieren.10 Zwischen dem strategischen und dem operativen Managements sowie dem Innovations- und dem Nachhaltigkeitsmanagement gibt es verschiedene Schnittmengen. wie z.B. das strategische Nachhaltigkeitsmanagement (SNM), die Aufgaben mit einem hohen Koordinationsbedarf beschreiben.

 

 

Innovations- und Nachhaltigkeitsmanager benötigen als Systemgestalter, die verschiedene Systembausteine integrieren und mit anderen internen und externen Akteuren interagieren, eine spezifische Fähigkeit zur Verbindungsarbeit (Nexus Work).11 Zu der Rolle eines internen Brückenschlägers kommt die eines sektorübergreifenden Mittlers zwischen Wirtschaft, Wissenschaft, Politik und Gesellschaft. Das traditionelle Studium der Ingenieur- und Managementwissenschaft vermittelt die hierzu erforderlichen Fähigkeiten nur unzureichend.

Der Personal- und Führungskräfteentwicklung stellt sich daher die Aufgabe, diese verbindenden Fähigkeiten in einer praxisorientierten Weise zu trainieren.12 Unser Kursangebot zum Innovations- und Nachhaltigkeitsmanagement nutzt hierbei den Megatrend Konnektivität als Grundlage.13 Von besonderer Bedeutung ist die Verbindung von Anwendungen mit Technologien ausgehend von einem Connecting the Boxes Mindset.

 

Verbindung von Anwendungen mit Technologien und eine neue Organisationsform

Die Innovationsgeschichte kennt viele Verbindungen zwischen der Kombination vorhandener Technologien und einer neuen Anwendung. Das klassische Beispiel einer solchen rekombinanten Anwendungsinnovation ist die Einführung der Massenproduktion für Fords Modell T im Jahr 1908. Eine wichtige Rolle spielte dabei das Technology Brokering in Form einer Vermittlung von Wissen zwischen etablierten Branchen und der neuen Automobilindustrie. Diese Form von Cross Industry Innovation ist auch für das Thema Nachhaltigkeit von großer Bedeutung. Ein aktuelles Beispiel ist die Übertragung der in Erdgasaufbereitungsanlagen entstandenen Carbon Capture and Storage (CCS-) Technologie auf die Zementherstellung.

 

Lernprozess Innovationsstrategie

 

Daneben gibt es auch rekombinante technologische Innovationen mit einer Verbindung von neuen Technologien und einer vorhandenen Anwendung. Viele Neuerungen ausgehend von digitalen Querschnittstechnologien wie dem Internet der Dinge (IoT) und der Künstlichen Intelligenz (KI) basieren auf diesem Prinzip. Eine neue Form der Konnektivität entsteht durch die Verbindung von neuen digitalen Technologien und Umwelttechnik (Digital GreenTech) mit einer vorhandenen Anwendung. Ein Beispiel ist der Einsatz von KI im Wertstoffkreislauf der Papierindustrie.

Eine wichtige Erkenntnis ist, dass die Unsicherheit von Innovationen bei vorhandenen Anwendungen oder vorhandenen Technologien geringer ist als beim Typus der Systeminnovation, die durch neue Technologien und Anwendungen gekennzeichnet ist. Dabei beschreibt der Begriff Unsicherheit ein Risiko mit unbekannter Eintrittswahrscheinlichkeit und schwer abschätzbaren Folgen.

Die Umsetzung dieser Konnektivität von Anwendungen und Technologien erfolgt in führenden Digitalunternehmen mit Hilfe einer neuen Organisationsform. Eine solche Organisation verbindet agile Teams mit einer zentralen Ressourcen-Plattform und einem Partner-Netzwerk.14 Das zentrale Element dieser Organisation ist ein KI-basiertes Operating Model, das schnelle Lernprozesse, disruptive Geschäftsmodelle und eine erfolgreiche Skalierung ermöglicht. Von großer Bedeutung ist dabei die vertrauensvolle Zusammenarbeit mit Stakeholdern.

 

Gemeinsames Design von Stakeholder-Systemen und sektorübergreifende Innovationsprogramme

Die Wurzeln der vierten Entwicklungsphase des Managements liegen in einer Erweiterung der einige Jahrzehnte dominierenden Shareholder-Perspektive15 zu einem am langfristigen finanziellen Erfolg orientierten und auch sozial und ökologisch verantwortlichen Multi-Stakeholder Management.16 Zu diesen Bezugsgruppen des Unternehmens zählen

  • Anteilseigner (Shareholder) und Kunden
  • die Wissenschaft und Wertschöpfungspartner (z.B. Start-ups)
  • Politik, Justiz, Verwaltung und Verbände sowie
  • Mitarbeiter, Arbeitnehmervertreter, Umweltbewegungen, Medien und die Gesellschaft insgesamt.

Bei Nachhaltigkeitsinnovationen ist die Bewältigung der Stakeholder-Komplexität von entscheidender Bedeutung.17 Wichtige neue Konnektoren sind daher ein gemeinsames Design von Stakeholder-Systemen und sektorübergreifende Innovationsprogramme.

 

 

Der Leitgedanke eines solchen Stakeholder Systems Co-Design ist es, neue, flexible Pakte zwischen Wissenschaft, Politik, Wirtschaft und Gesellschaft zu schließen, wie es der Covestro-Chef Markus Steilemann vorschlägt.18 Dabei sei ein optimistisches und konstruktives Miteinander gefragt.

Beim Thema Stakeholder-Systeme wird deutlich, dass sich mit einer neuen Entwicklungsphase des Managements auch die Konnektoren der früheren Entwicklungsphasen weiterentwickeln. So erfordert ein gutes Management der Bezugsgruppen eine stärker verbindende Personalführung.19 Aus dem traditionellen Leitbild wird ein gemeinsamer Sinn oder Purpose, der Mitarbeiter, Kunden und Anteilseigner zusammenführt.20

Die spannende Frage ist, wie sektorübergreifende Programme für Nachhaltigkeitsinnovationen, wie z.B. das Thema grüner Wasserstoff, konkret ausgestaltet sein sollen. Ein mögliches, viel zitiertes Vorbild ist das Mondflug-Programm der USA aus den 1960er Jahren und das hieraus abgeleitete Modell einer Mission Economy.21 Dabei ist jedoch zu bedenken, dass sich die Rahmenbedingungen für das damalige Programm grundlegend von den gegenwärtigen Herausforderungen des Klimawandels unterscheiden. Zur Bewältigung der hierbei herrschenden Stakeholder-Komplexität gibt es bis heute keine Blaupause für Organisationen und Staaten. Dies ist eine große Chance für Unternehmen wie die BASF, die mit ihrer Green Transition neue Standards setzen möchten.

Der Übergang zu einer „grüneren Wirtschaft“ erfordert neben einheitlichen Berichtpflichten und passgenauen Bewertungskriterien22 möglicherweise auch entsprechende finanzielle Anreize für die Führungskräfte. Studien zeigen, dass das Thema Nachhaltigkeit in den Vergütungssystemen vieler Unternehmen bislang eher eine Nebenrolle spielt.23

Um zusammen mit Stakeholdern ambitionierte Nachhaltigkeitsziele zu erreichen, ist es wichtig, eine gemeinsame methodische Basis zu haben. Eine solche Methode ist das systemische Design. Entscheidend bei dessen Anwendung ist, dass die Gestaltung des Stakeholder-Systems nicht an die Kommunikationsabteilung delegiert, sondern zentraler Bestandteil einer neuen Führungsagenda wird.

 

Systemisches Design und eine neue Führungsagenda

Parallel zur Managementlehre haben sich seit den 1950er Jahren die Systemtheorien24 und das Design Thinking25 entwickelt und wechselseitig befruchtet, z.B. bei der Entstehung von agilen Konzepten wie Scrum.26 Dabei liegt das Nutzenversprechen der Systemtheorien und des Design Thinking in der Schaffung eines gemeinsamen methodischen Rahmens und Mindsets für die interdisziplinäre Zusammenarbeit bei der Bewältigung komplexer Probleme.

Aus diesen klassischen Konnektoren ist das systemische Design entstanden, das die Systemtheorien mit dem Design Thinking verbindet.27 Diese relativ neue Methodik hat sich bei der Anwendung in sektorübergreifenden Innovationsprogrammen bewährt. Die Akteure aus Wissenschaft, Politik, Wirtschaft und Gesellschaft erhalten hiermit eine Gestaltungsgrundlage, die die Verständigung zwischen unterschiedlichen Bezugsgruppen fördert. Der Ansatz sollte daher zum zentralen Bestandteil einer programmbegleitenden Executive Education werden.

Im Mittelpunkt der sich abzeichnenden neuen Agenda für die Führung steht eine Weiterentwicklung des traditionellen strategischen Managements mit seiner einseitigen Shareholder-Value Orientierung. Dieses mehr als ein halbes Jahrhundert vorherrschende Management-Paradigma bedarf der Ergänzung um Strategien für Nachhaltigkeit und Innovation. Die Umsetzung dieser Strategien erfordert die aktive Mitwirkung der Führungsspitze beim Co-Design von Stakeholder-Systemen. Ein externes Mentoring kann einen wichtigen Beitrag leisten, um Nachwuchs-Führungskräfte auf diese Aufgabe vorzubereiten. Angesichts der neuen Herausforderungen bei der Nachhaltigkeitsberichterstattung ändert sich parallel dazu auch die Agenda des Verantwortlichen für Finanzen in Richtung Sustainable Finance.

Für die Führung in Politik und Wirtschaft hat der Gründer des Weltwirtschaftsforums Klaus Schwab die Vision einer Governance 4.0 skizziert.28 Ein Kennzeichen guter Governance im 21. Jahrhundert ist für ihn, dass Führungskräfte eine nachhaltige Wertsteigerung für alle relevanten Stakeholder anstreben. Diese Grundhaltung ist ein zentraler Ausgangspunkt für die Erfüllung von ESG-Kriterien aus Umweltschutz, sozialen Aspekten und Stakeholder-Management, die auch bei M&A-Aktivitäten immer wichtiger werden.29

 

Fazit

  • In den Entwicklungsphasen der Managementlehre sind spezifische verbindende Kräfte entstanden, die die Komplexitätsbewältigung von Unternehmen unterstützen
  • Die zunehmende Bedeutung des Innovations- und des Nachhaltigkeitsmanagements hat weitere Konnektoren hervorgebracht. Hierzu zählen neue Führungsrollen, die Fähigkeit zur Verbindungsarbeit, das Wechselspiel von neuen Technologien und Anwendungen und schließlich eine neue Organisationsform, die agile Teams und eine zentrale Ressourcen-Plattform mit dem Partnernetzwerk verknüpft
  • Nachhaltigkeitsinnovationen erfordern die aktive Gestaltung des Stakeholder-Systems eines Unternehmens und gemeinsame Programme von Wirtschaft, Wissenschaft, Politik und Gesellschaft. Eine methodische Hilfestellung leistet dabei die neue Methode des systemischen Designs
  • Innovation, Nachhaltigkeit und die Gestaltung des Stakeholder-Systems gehören zu den zentralen Punkten einer neuen Führungsagenda, die gegenwärtig entsteht

 

Literatur

[1] Fröndhoff, B., Hofmann, S., Schütze, A., BASF startet Umbau. In: Handelsblatt, 10./11./12. Dezember 2021, S. 3, 6-7

[2] Servatius, H.G., Komplexitätsbewältigung als Treiber eines Connective Managements. In: Competivation Blog, 31.03.2021

[3] Ansoff, H.I., Corporate Strategy – An Analytic Approach to Business Policy for Growth and Expansion, New York 1965

[4] Bleicher, K., Das Konzept Integriertes Management, Frankfurt 1991

[5] Servatius, H.G., Ebenenmodell für ein Connective Management. In: Competivation Blog, 16.03.2021

[6] Burns, T., Stalker, G.M., The Management of Innovation, London 1961

[7] Elkington, J., Cannibals with Forks – Triple Bottom Line of 21st Century Business, Oxford 1997

[8] Servatius, H.G., Innovations- und Nachhaltigkeitssysteme verbinden klassische Managementaufgaben. In: Competivation Blog, 09.09.2021

[9] Hargadon, A., Sustainable Innovation – Build Your Company’s Capacity to Change the World, Stanford 2015

[10] Servatius, H.G., Piller, F.T.(Hrsg.), Der Innovationsmanager – Wertsteigerung durch ein ganzheitliches Innovationsmanagement, Düsseldorf 2014

[11] Hargadon, a.a.O, S. 80 ff.

[12] Servatius, H.G., Mentoring-Programme zur Entwicklung konnektiver Fähigkeiten. In: Competivation Blog, 10.05.2021

[13] Servatius, H.G., Der Megatrend Konnektivität und seine Treiber. In: Competivation Blog, 26.10.2021

[14] Servatius, H.G., Die Ressourcen-Plattform mit agilen Teams als neue Organisationsform. In: Competivation Blog, 12.01.2021

[15] Rappaport, A., Creating Shareholder Value – The New Standard for Business Performance, London 1986

[16] O’Leary, M., Valdmanis, W., Accountable – The Rise of Citizen Capitalism, New York 2020, S. 148 ff.

[17] Servatius, H.G., Erfolgreiche Nachhaltigkeitsinnovationen mit verbesserten Stakeholder-Beziehungen. In: Competivation Blog, 20.02.2020

[18] Blume, J., Fröndhoff, B., „Alle Ampeln auf grüne Welle stellen“. In: Handelsblatt, 10./11./12. Dezember 2021, S. 24

[19] Servatius, H.G., Personalführung im Zeitalter eines Connective Managements. In: Competivation Blog, 19.01.2021

[20] Servatius, H.G., Nachhaltigkeitsinnovationen als Werttreiber in der Purpose Economy. In: Competivation Blog, 15.10.2020

[21] Mazzucato, M., Mission Economy – A Moonshot Guide to Changing Capitalism, Dublin 2021

[22] Servatius, H.G., Nachhaltige Entwicklung von Unternehmen mit einer Sustainability Map. In: Competivation Blog, 30.11.2021

[23] Palan, D., Grüne Heuchelei. In: Manager Magazin, Januar 2022, S. 116-119

[24] von Bertalanffy, L., General Systems Theory – Foundations, Development, Applications, New York 1968

[25] Arnold, J.E., Creative Engineering – Promoting Engineering by Thinking Differently, Stanford 1959

[26] Sutherland, J.J., The Scrum Fieldbook, New York 2019

[27] Jones, P., Kijima, K. (Hrsg.), Systemic Design – Theory, Methods, and Practice, Tokio 2018

[28] Schwab, K., Die Vision einer Governance 4.0. In: Handelsblatt, 21./22./23. Januar 2022, S. 64

[29] Seibt, C.H., Dealmaker mit gutem Gewissen. In: Manager Magazin, Februar 2022, S. 46

Komplexitätsbewältigung als Treiber eines Connective Managements

Komplexitätsbewältigung als Treiber eines Connective Managements

Die Entwicklung des Managements ist durch Herausforderungen im Unternehmensumfeld geprägt. Der zentrale Treiber eines neuen Connective Managements liegt in dessen Potenzial zur Komplexitätsbewältigung.

 

In diesem Blogpost gehen wir der Frage nach, wie etablierte Unternehmen ihre Fähigkeit zum digitalen Wandel verbessern können.

 

Die Corona-Pandemie als Lehrstück

Eine wichtige Lehre aus der Corona-Pandemie ist, dass viele Staaten der westlichen Welt nur bedingt in der Lage sind, eine derartige Krise zu bewältigen. Einige Länder, wie z.B. Taiwan und auch Finnland, denen es gelungen ist, tragfähige Verbindungen zwischen den Akteuren aus Politik, Wissenschaft, Wirtschaft und Gesellschaft herzustellen, meistern die mit der Pandemie verbundene Komplexität offenbar besser.1

Was sind nun mögliche Implikationen dieser Erkenntnis für eine Weiterentwicklung von Managementkonzepten? Bei der Beantwortung dieser Frage hilft ein kurzer Rückblick.

 

Zunehmende Bedeutung von Technologie und Umfelddynamik

Das aus der strategischen Planung hervorgegangene strategische Management erreichte seine größte Bedeutung in einer Zeit, in der das Unternehmensumfeld relativ statisch war. Als Reaktion auf den zunehmenden Einfluss neuer Technologien entstand in den 1980er Jahren das strategische Technologie-Management. Gleichzeitig stieg die Dynamik des Unternehmensumfelds und Innovationen wurden zu einem immer wichtiger werdenden Mittel der wettbewerblichen Differenzierung. Dabei hat das Innovationmanagement Erkenntnisse aus der Entrepreneurship-Forschung und dem F&E-Management integriert. Allmählich mehren sich jedoch die Anzeichen, dass das Innovationsmanagement, welches in den letzten Jahrzehnten einen erheblichen Bedeutungszuwachs erlebt hat, beim digitalen Wandel etablierter Unternehmen an seine Grenzen stößt. Eine mögliche Erklärung hierfür ist, dass es immer schwieriger zu werden scheint, mit den traditionellen Managementkonzepten die Komplexität großer neuer Herausforderungen zu bewältigen.

Lernprozess Innovationsstrategie

Interessanterweise basieren neuere Ansätze des Innovationsmanagements, wie die agile Methode Scrum, auf theoretischen Erkenntnissen der Komplexitätsforschung.2 Das Management-Paradigma, das von der strategischen Planung zum Innovationsmanagement geführt hat, befindet sich in einer Phase des Übergangs zu Konzepten, die eine bessere Komplexitätsbewältigung ermöglichen. Diese Fähigkeit zur Bewältigung von Komplexität basiert auf Verbindungen zwischen Systemen und Akteuren. Unsere These ist daher, dass neue Herausforderungen einen Paradigmawechsel im Management erfordern. Das Planungsparadigma wandelt sich gegenwärtig zum Konnektivitätsparadigma. Erfolgreiche Digital-Champions praktizieren dieses neue Paradigma bereits und setzen so die etablierten Unternehmen unter Druck.

 

Bewältigung von Komplexität als schwer zu lösendes Problem

Die Probleme des strategischen Managements bei der Bewältigung von Komplexität sind seit langem bekannt. Der Hochschullehrer und Berater Fredmund Malik war einer der ersten, der den Paradigmawechsel zu einem evolutionären Management beschrieben hat.3 Dabei setzt er auf Methoden aus der Management-Kybernetik. Ein neuerer Versuch zur Bewältigung von Komplexität besteht in der Übertragung von naturwissenschaftlichen Erkenntnissen der Theorie komplexer adaptiver Systeme auf das Management.4 Eine solche Übertragung ist inspirierend, hat aber nur zu relativ allgemeinen Handlungsempfehlungen geführt. Ralph Stacey von der Universität Hertfordshire in der Nähe von London verfolgt daher seit langem eine andere Perspektive, in deren Mittelpunkt komplexe responsive Beziehungsprozesse zwischen relevanten Akteuren stehen.5 Auf dieser theoretischen Grundlage baut das Connective Management auf.

Lernprozess Innovationsstrategie

Eine verbreitete Erklärung für die Probleme etablierter Unternehmen beim digitalen Wandel sind Know-how-Defizite in der Anwendung digitaler Technologien.6 Daher ist ein gezieltes Upskilling von Führungskräften und Mitarbeitern sicherlich sinnvoll. Dennoch liegen die Problemursachen tiefer. Die Wurzeln der kulturellen Barrieren zwischen Digitaleinheiten und der etablierten Organisation sind häufig unterschiedliche Wertvorstellungen bezüglich einer guten und zeitgemäßen Führung.

 

Defizite bei einem verbindenden Management

Eine aktuelle Studie des US-Tech-Unternehmens Dynatrace kommt zu dem Ergebnis, dass der Wertbeitrag der Informationstechnik zur Wertschöpfung von Großunternehmen unter den Möglichkeiten bleibt, weil die IT-Abteilung und die operativen Einheiten zu wenig zusammenarbeiten. 40 Prozent der Befragten geben an, IT reagiere zu langsam auf neue Business-Anforderungen und 36 Prozent sind der Meinung, unklare Kundenanforderungen würden den Wertbeitrag der IT bremsen.7

Diese Ergebnisse sind ein Beleg für Defizite bei einem verbindenden (connective) Management, dem es gelingt, Silostrukturen zu überwinden.8 Ähnliche Defizite werden auch in anderen Situationen deutlich, z.B. bei der interdisziplinären Zusammenarbeit oder einer Kooperation von Unternehmen mit der öffentlichen Verwaltung. Eine Überwindung derartiger Defizite erfordert spezifische Brückenschläger-Kompetenzen, die die Führung vorleben sollte.

 

Demokratisierung von Geschäftsexperimenten

Der Übergang zu einem Connective Management lässt sich anhand des Vorgehens verdeutlichen, wie Unternehmen Geschäftsexperimente durchführen. Im traditionellen Strategie- und Innovationsmanagement spielen diese eine eher nachgeordnete Rolle. Die Aufgabe von Führungskräften war es, Strategien zu entwickeln und diese in Ziele für die Mitarbeiter zu übersetzen. Das systematische Testen von Hypothesen bei Kunden fand bei der weit verbreiteten Stage GateTM-Methode erst in einer späten Phase des Innovationsprozesses statt.

Diese Situation ändert sich gerade grundlegend. Unternehmen wie die Reiseplattform Booking.com ist es gelungen, den Prozess für Geschäftsexperimente zu demokratisieren.9 Die Führung hat die Rahmenbedingungen in Form einer zentralen Test-Plattform geschaffen, die jedem Mitarbeiter zur Verfügung steht. Über diese Plattform laufen jährlich mehr als 25.000 Geschäftsexperimente. Im Vordergrund stehen dabei schnelle Lernprozesse bei inkrementellen Verbesserungen und einer Weiterentwicklung des Geschäftsmodells.

Ausgehend von diesen Rahmenbedingungen erfolgt die Komplexitätsbewältigung durch Selbstorganisation. Dabei liefert die Test-Plattform eine neuartige Infrastruktur für Verbindungen zwischen Ideenentwicklern und Kunden. Über den Erfolg einer Idee entscheiden nicht mehr primär der Vorgesetzte, der ein Budget bewilligt, sondern das Testergebnis. Ein konnektives Management ist daher tendenziell weniger machtbetont. Für viele Führungskräfte bedeutet dies eine Umstellung.

 

Potenzial zur Komplexitätsbewältigung

Worin liegt also das Potenzial eines Connective Managements bei der Bewältigung von Komplexität? In einer bürokratischen Organisation benötigt die Zusammenarbeit verschiedener Einheiten detaillierte Regeln, deren Einhaltung Zeit und Energie kosten. Ein Connective Management ersetzt diese Regeln bis zu einem gewissen Grad durch Rahmenbedingungen, die die Selbstorganisation fördern. Dies erfordert die Entwicklung neuer Managementfähigkeiten und einen Verzicht auf unnötige Machtdemonstrationen.

Die Corona-Pandemie, in der das repräsentative Eckbüro zumindest auf Zeit durch das Home-Office ersetzt wird, könnte einen entsprechenden Umdenkprozess beschleunigen.

 

Fazit

  • In etablierten Unternehmen stößt das Innovationsmanagement bei der Bewältigung des digitalen Wandels an seine Grenzen
  • Viele Unternehmen sind daher auf der Suche nach geeigneten Konzepten zur Komplexitätsbewältigung
  • Das Connective Management baut auf der Theorie komplexer responsiver Beziehungsprozesse auf
  • Sein Potenzial zur Komplexitätsbewältigung liegt in der Gestaltung verbesserter Rahmenbedingungen für mehr Selbstorganisation z.B. beim Testen
  • Dies erfordert spezifische Managementfähigkeiten, die es zu entwickeln gilt

 

Literatur

[1] Müller, H.: Zu lahm für diese Welt. In: Manager Magazin, Heft 4, 2021, S. 116

[2] Sutherland, J.J.: The Scrum Fieldbook, New York 2019, S. 55 f.

[3] Malik, F.: Strategie des Managements komplexer Systeme – Ein Beitrag zur Management-Kybernetik komplexer Systeme, Bern 1984

[4] Stüttgen, M.: Strategien der Komplexitätsbewältigung in Unternehmen – Ein transdisziplinärer Bezugsrahmen, Bern 1999

[5] Stacey, R.D.: Tools and Techniques of Leadership and Management – Meeting the Challenge of Complexity, New York 2012

[6] von Lindern, J.: Führen wie Obama. In: Handelsblatt, 23. März 2021, S. 42-43

[7] Mersch, T.: Es hakt noch beim digitalen Miteinander. In: Handelsblatt, 23. März 2021, S. 42

[8] Servatius, H.G.: Personalführung im Zeitalter eines Connective Managements. In: Competivation Blog, 19.01.2021

[9] Thomke, S.H.: Experimentation Works – The Surprising Power of Business Experiments, Boston 2020, S. 153 ff.

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