Strategie 5.0 zur Bewältigung der neuen Herausforderungen | Competivation

Das strategische Management hat sich in den letzten Jahrzehnten weiterentwickelt und inzwischen eine fünfte Entwicklungsstufe erreicht. Diese verbindet Erkenntnisse der früheren Stufen. Eine wichtige Aufgabe in offenen Strategie 5.0-Prozessen von Unternehmen ist die gemeinsame Gestaltung von Stakeholder-Ökosystemen.

 

In unserem neuen Blogpost skizzieren wir die fünf Entwicklungsstufen des strategischen Managements

 

Krise als Chance

Wie können die europäischen Staaten und Unternehmen aus der aktuellen Krise gestärkt hervorgehen? Philipp Freise, der Co-Leiter des europäischen Private-Equity-Geschäfts beim Finanzinvestor KKR, vertritt die These, die Krise könne eine Innovationswelle anstoßen und den Wandel in Europa beschleunigen.1

Hierzu erscheint es jedoch erforderlich, dass die Unternehmen ihr strategisches Management weiterentwickeln. Wir stellen zur Diskussion, wie ein solcher nächster Evolutionsschritt aussehen könnte.

 

Wurzeln und Entwicklungsstufen des strategischen Managements

Aufgabe des strategischen Managements ist es, die großen Herausforderungen von Unternehmen zu meistern und Chancen zu nutzen. Da sich das Umfeld in den letzten Jahrzehnten stark verändert hat, musste sich auch das strategische Management anpassen. Wir unterscheiden zwischen den folgenden Entwicklungsstufen:

  • der Markt- und Veränderungsorientierung (Strategie 1.0)
  • einer Technologie- und Innovationsorientierung (Strategie 2.0)
  • der Nachhaltigkeitsorientierung (Strategie 3.0) und
  • einer Resilienzorientierung (Strategie 4.0)

Diese Stufen bauen aufeinander auf. Im Mittelpunkt steht jeweils eine dominierende Herausforderung.

 

Lernprozess Innovationsstrategie

 

Die Wurzeln der ersten Entwicklungsstufe des strategischen Managements liegen im militärischen Sektor, in der Philosophie und Politik, in der Business Policy, beim Thema Corporate Foresight und in der Organisationsentwicklung. Bei der aus der strategischen Planung in den 1970er Jahren entstandenen ersten Stufe des strategischen Managements lag der Fokus auf der Erzielung von Wettbewerbsvorteilen in den Absatz- und Kapitalmärkten.2 Übergeordnetes Ziel dieses marktorientierten strategischen Managements (MSM) war die Steigerung des Unternehmenswertes für die Anteilseigner (Shareholder Value).3 Die Bedeutung, die das strategische Management weiteren Bezugsgruppen (Stakeholdern) beimaß, war eher gering, obwohl Wissenschaftler wie Edward Freeman frühzeitig eine andere Sichtweise vertraten.4

Relativ unabhängig von der strategischen Planung entstand aus dem Organizational Development, das von dem in die USA emigrierten deutschen Psychologie-Professor Kurt Lewin geprägt worden war, das veränderungsorientierte strategische Management. Bei einem solchen strategischen Wandel spielen lose gekoppelte Systembausteine eine wichtige Rolle. Der Veränderungsprozess kann sowohl evolutionär als auch transformativ ablaufen.

Ausgehend von Wurzeln in der Forschung und Entwicklung, dem Unternehmertum, der Finanzierung mit Wagniskapitel und dem Corporate Venture Management verlagerte sich Anfang der 1980er Jahre in einer zweiten Stufe der Fokus auf neue Technologien und Innovationsvorteile. Aus dem strategischen Technologiemanagement entwickelte sich das Fachgebiet Technologie, Innovation und Entrepreneurship.5 Start-ups wie Microsoft, Apple, Amazon und Google erkannten das Game-Changer-Potenzial digitaler Technologien und wurden so zu den wertvollsten Unternehmen der Welt. Für etablierte Organisationen ist der digitale Wandel heute eine der großen Herausforderungen.6 Sie stehen vor der Aufgabe, Defizite beim technologie- und innovationsorienterten strategischen Management (TSM) zu überwinden.

Die Wurzeln des Nachhaltigkeitsmanagements liegen in der Forstwirtschaft, der Umwelttechnik und Umweltpolitik, dem Thema Corporate Social Responsibility und der Umweltbewegung. Die Evolution der Nachhaltigkeitsorientierung von einem Nischenthema zur dritten Entwicklungsstufe des strategischen Managements (NSM) hat sich über einen längeren Zeitraum vollzogen. Der Fokus liegt dabei auf der Harmonisierung ökonomischer, ökologischer und sozialer Ziele. Ein großer Treiber ist der Klimawandel mit seinen Risiken und Chancen für Unternehmen. Viele Führungskräfte erkennen inzwischen die zunehmende Bedeutung von Stakeholdern z.B. aus Politik und Gesellschaft. Gleichzeitig ist das Interesse des Kapitalmarktes an Nachhaltigkeitsinnovationen gestiegen.7

Parallel zu den Entwicklungsstufen des strategischen Managements gab es immer wieder Phasen, die ein operatives Krisenmanagement erforderten. Mit der Corona-Pandemie, dem Krieg in der Ukraine und einem Auseinanderdriften von Gesellschaften hat die Krisenbewältigung eine neue politische Dimension erreicht. In dieser resilienzorientierten vierten Entwicklungsstufe des strategischen Managements (RSM) mit ihren Wurzeln z.B. in der Materialwirtschaft und Psychologie kommt es auf eine Wiedergewinnung der Handlungsfähigkeit an. Die Resilienzforschung liefert hierfür zwar Anregungen, befindet sich aber noch in einer frühen Entwicklungsphase.8 Ein aktuelles Beispiel ist die Bewältigung der Gaskrise mit ihren gravierenden Auswirkungen für Unternehmen und Verbraucher oder die Bekämpfung der Clan-Kriminalität durch eine wehrhafte Demokratie.

 

Verbindendes strategisches Management als fünfte Stufe

Der Zusatz 5.0 wurde bekannt durch den in Japan geprägten Begriff einer Gesellschaft 5.0, der die fünfte Entwicklungsstufe der Menschheitsgeschichte beschreibt.9 Dabei folgt nach dem Informationszeitalter ein Zeitalter der Vernetzung. Unsere Verwendung des Zusatzes 5.0 bezieht sich auf die wesentlich kürzere Entwicklungsgeschichte des strategischen Managements von Unternehmen.

Hier ist die gegenwärtige Situation durch eine Überlagerung der skizzierten Herausforderungen gekennzeichnet. Der Fokus sollte daher auf der Verbindung und Weiterentwicklung der Erkenntnisse aus früheren Stufen liegen. Wir sehen in diesem Megatrend Konnektivität das zentrale Kennzeichen einer fünften Entwicklungsstufe des strategischen Managements. Diese Stufe bezeichnen wir als Strategie 5.0. Bei dem verbindenden strategischen Management (VSM) ergeben sich verschiedene Formen der Konnektivität. So erfordern z.B. Nachhaltigkeitsinnovationen eine ausgeprägte T-N-Konnektivität.

 

Lernprozess Innovationsstrategie

 

Der Weg zu einer Strategie 5.0 ist auch durch die Weiterentwicklung der Strategieprozesse und der Disruptionstheorie gekennzeichnet. Bei den Strategieprozessen beschreibt der Begriff Open Strategy die Öffnung bezüglich der beteiligten Akteure.10 Eine neue Disruptionstheorie liefert den Rahmen für die Disruption durch Stakeholder-Ökosysteme.11 Dabei entstehen aus der Zusammenarbeit mit Partnern innovative Wert-Architekturen.

Ein Beispiel ist die Evolution von Amazon Alexa von einem intelligenten Lautsprecher, der schrittweise seine Skills erweitert und dabei externe Entwickler hinzugewinnt, zu einem zentralen Baustein in den Smart-Home-Komponenten einer Vielzahl von Anbietern. In der fünften Entwicklungsstufe des strategischen Managements erreicht diese neue Disruptionstheorie weitere Stakeholder-Gruppen in Politik und Gesellschaft. Ein Beispiel hierfür ist der Übergang zur Elektromobilität.

Eine wichtige Aufgabe im Rahmen von Strategie 5.0-Prozessen ist die gemeinsame Gestaltung von Stakeholder-Ökosystemen. Das Zusammenwirken von Politik, Wissenschaft, Wirtschaft und Gesellschaft in einem offenen Prozess ist in der Stakeholder-Ökonomie zu einem Erfolgsfaktor mit Disruptionswirkung geworden. Die entsprechenden konnektiven Fähigkeiten haben den Charakter einer strategischen Kernkompetenz.12 Methoden wie das Systemic Design können zu einer Verbesserung des gemeinsamen Verständnisses beitragen.13

 

Lernprozess Innovationsstrategie

 

Ein Beispiel für ein solches disruptives Stakeholder-Ökosystem ist die entstehende Wasserstoffwirtschaft. Dabei ergibt sich die Disruptionswirkung für andere Ökosysteme aus der Wahl der richtigen Partner und Vorteilen bei den politischen Rahmenbedingungen. So bezieht der Kunststoffhersteller Covestro künftig jährlich 100.000 Tonnen grünen Wasserstoff vom australischen Hersteller Fortescue Future Industries (FFI). FFI ist ein Pionier auf dem Markt und nutzt die zu günstigen Preisen verfügbare erneuerbare Energie in Australien.14 Beim Thema Stahlherstellung mit Wasserstoff kritisieren Experten hingegen das Fehlen eines klaren Plans für den Aufbau der erforderlichen neuen Energieinfrastruktur in Mitteleuropa.15 Gleichzeitig strebt China an, eine weltweite Vorreiterrolle beim grünen Wasserstoff zu übernehmen.16

Es stellt sich nun die Frage, was die praktischen Implikationen dieser neuen Entwicklungsstufe des strategischen Managements sind. Wir gehen hierzu auf die folgenden drei Aspekte ein: Schaffen von Next Practices, sektorübergreifende Lernprozesse und ein verbindendes Führungsklima.

 

Schaffen von Next Practices

Die Suche nach Best Practices führt in der Regel zu den digitalen Champions und Nachhaltigkeitspionieren, die eher für Erfolge in den Stufen zwei und drei stehen. Echte Best-Practice-Beispiele für die Stufe fünf gibt es bislang erst wenige. Unternehmen sollten daher beginnen, eine erfolgreiche Next Practice selbst zu schaffen.

 

Sektorübergreifende Lernprozesse

Die Gestaltung von Stakeholder-Ökosystemen ist eine Gemeinschaftsaufgabe von Politik, Wissenschaft, Wirtschaft und Gesellschaft. Die Verantwortlichen stehen vor der Aufgabe, gemeinsam agile intersektorale Programme für Themen wie Datensouveränität, Digital GreenTech und eine grüne Wasserstoffwirtschaft umzusetzen. Aus den Lernprozessen in diesen Programmen können sich dann Next Practices ergeben.

Ein Beispiel ist die Initiative Catena-X, bei der ein von BMW uns SAP initiiertes Konsortium ein Innovationsnetzwerk zur nachhaltigen Digitalisierung der Automobilwertschöpfung aufbaut.17 Ein wichtiges Ziel besteht in der Verringerung der Abhängigkeit von den großen IT-Konzernen aus den USA, die das Geschäft mit Cloud-Diensten dominieren. Zentrales Element ist ein Connector, der durch Standardisierung den Datenaustausch zwischen den Akteuren erleichtert. Catena-X basiert auf den Grundprinzipien von Gaia-X, dem europäischen Projekt zum Aufbau einer eigenen Cloud-Infrastruktur. Man hat jedoch aus dessen zu langsamen, bürokratischen Vorgehen gelernt und möchte eher wie ein Schnellboot operieren.

 

Verbindendes Führungsklima

Der Erfolg derartiger Programme hängt von der Entstehung eines verbindenden Führungsklimas ab. Entscheidende Impulse können dabei von Vorbildern und ihren Erfahrungen ausgehen. Für deren Verbreitung kommt der Personalentwicklung eine wichtige Rolle zu.

In meiner praktischen Tätigkeit als Senior Advisor, Führungskräfte-Coach und Hochschullehrer unterstütze ich Projekte zur Anwendung des Themas Strategie 5.0. Eine Grundlage hierfür bildet unser neuer Managementkurs.

 

Fazit

  • Unternehmen müssen gegenwärtig eine Reihe neuer strategischer Herausforderungen gleichzeitig bewältigen
  • Diese Situation erfordert eine Weiterentwicklung des strategischen Managements. Diese baut auf den vorhandenen vier Entwicklungsstufen auf und verbindet sie
  • Wir bezeichnen die nächste Entwicklungsstufe eines verbindenden strategischen Managements (VSM) als Strategie 5.0
  • Eine wichtige Aufgabe im Rahmen von Strategie 5.0-Prozessen ist die gemeinsame Gestaltung von Stakeholder-Systemen mit Disruptionswirkung. Dies erfordert konnektive Fähigkeiten.
  • Unternehmen sollten beginnen, beim Thema Strategie 5.0 erfolgreiche Next Practices zu schaffen

 

Literatur

[1] Freise, P., Mehr Stärke für die Zukunft. In: Handelsblatt, 15. Juni 2022, S. 48

[2] Porter, M.E. Competitive Advantage – Creating and Sustaining Superior Performance, New York 1985

[3] Rappaport, A., Creating Shareholder Value – The New Standard for Business Performance, New York 1986

[4] Freeman, R.E.: Strategic Management – A Stakeholder Approach, Cambridge 2010

[5] Servatius, H.G., Methodik des strategischen Technologiemanagements – Grundlage für erfolgreiche Innovationen, Berlin 1985

[6] Kaufmann, T., Servatius, H.G., Das Internet der Dinge und Künstliche Intelligenz als Game Changer – Wege zu einem Management 4.0 und einer digitalen Architektur, Wiesbaden 2020

[7] Hargadon, P., Sustainable Innovation – Build Your Company’s Capacity to Change the World, Stanford 2015

[8] Brunnermeier, M.K., Die resiliente Gesellschaft – Wie wir künftige Krisen besser meistern können, Berlin 2021

[9] Hitachi-UTokyo Laboratory (Hrsg.), Society 5.0 – A People-centric Super-smart Society, Singapur 2020

[10] Stadler, C., Hautz, J., Matzer, K., von der Eichen, F., Open Strategy – Mastering Disruption from Outside the C-Suite, Cambridge 2021

[11] Adner, R., Winning the Right Game – How to Disrupt, Defend and Deliver in a Changing World, Cambridge 2021

[12] Servatius, H.G., Mentoring-Programme für die Entwicklung konnektiver Fähigkeiten. In: Competivation Blog, 10.05.2021

[13] Jones, P., Van Ael, K., Design Journeys Through Complex Systems – Practice Tools for Systemic Design, Amsterdam 2022

[14] Fröndhoff B., Stratmann, K., Wettlauf um Wasserstoff. In: Handelsblatt, 17. Januar 2022, S. 1, 4-5

[15] Imwinkelried, D., Grüner Umbau mit Tücken. In: Handelsblatt, 10. Mai 2022, S. 22

[16] Gusbeth, S., China greift bei grünem Wasserstoff an. In: Handelsblatt, 28. Juni 2022, S. 12-13

[17] Kerkmann, C., Datenstecker für die Autoindustrie. In: Handelsblatt, 21. Juni 2022, S.20

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