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Nachhaltigkeitsorientiertes strategisches Management

Nachhaltigkeitsorientiertes strategisches Management

Die dritte Entwicklungsstufe eines nachhaltigkeitsorientierten strategischen Managements (Strategie 3.0) baut auf der ersten, markt- und finanzorientierten Stufe und der zweiten, technologie- und innovationsorientierten Stufe auf und entwickelt diese weiter. Der angesichts des Klimawandels zunehmenden Bedeutung des Themas Nachhaltigkeit stehen veränderte politische Bedingungen für den Klimaschutz gegenüber. Europa muss die Herausforderung meistern, seine ambitionierte Klimapolitik besser mit einer Erzielung von Wettbewerbsvorteilen für die heimische Wirtschaft zu verbinden.

 

In diesem Blogpost erläutere ich die Grundlagen und Charakteristika eines strategischen Nachhaltigkeitsmanagements und gehe auf das komplexe Verhältnis zwischen Management und Politik ein.

 

Veränderte politische Bedingungen für den Klimaschutz

Die politikwissenschaftliche Schule von Strategieprozessen hat eine lange Entwicklungsgeschichte, die für das Thema Nachhaltigkeit von besonderer Bedeutung ist. Diese Schule betrachtet die Entstehung von Strategien als Verhandlungsprozess, dessen Ergebnis stark von der Macht, Legitimität und Dringlichkeit relevanter Stakeholder abhängt.1

Seit der Wahl zum Europäischen Parlament im Jahr 2019 haben sich die politischen Bedingungen für den Klimaschutz verändert. Ein zentrales Versprechen der EU-Kommission war der „Green Deal“, der den Kontinent für das industrielle Wettrennen mit China und den USA fit machen sollte. Diese Erwartungen haben sich aus einer Reihe von Gründen nur zum Teil erfüllt. In Deutschland steht insbesondere das 2024 in Kraft getretene Gebäudeenergiegesetz (GEG) für eine ideologische Politik, die die Sorgen vieler Menschen verstärkt.2

Bei der diesjährigen Wahl zum europäischen Parlament musste die Fraktion Die Grünen / Europäische Freie Allianz große Verluste hinnehmen. Die Europäische Volkspartei (EVP) wurde wieder zur stärksten Fraktion. Nach ihrer Wiederwahl hat die EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen angekündigt, ihre oberste Priorität gelte der Wettbewerbsfähigkeit der europäischen Wirtschaft. Hierzu will sie einen „Clean Industrial Deal“ vorlegen, der die Rahmenbedingungen für Unternehmen verbessert. Die Klimaschutzgesetzgebung, die ihre erste Amtszeit geprägt hat, solle wirtschaftsfreundlicher gestaltet werden.3 Diese Entwicklung verdeutlicht den Einfluss der Politik auf das Nachhaltigkeitsmanagement.

 

Komplexes Verhältnis zwischen Management und Politik

Das Thema Nachhaltigkeit ist in den letzten Jahrzehnten durch ein komplexes Verhältnis zwischen Management und Politik geprägt. Diese Komplexität resultiert zum einen aus dem breiten Spektrum des Nachhaltigkeitsmanagements von Unternehmen, das von passiv bis aktiv reicht. Darauf reagieren die nachhaltigkeitsorientierten Politikfelder mit unterschiedlichen Ansätzen, die einen fördernden und einen regulierenden Charakter haben können. Hieraus ergeben sich unterschiedliche Verhaltensmuster.

Lernprozess Innovationsstrategie

Die europäische Politik setzt seit einigen Jahren auf eine strenger regulierte Nachhaltigkeitsberichterstattung, um passive Unternehmen zu einer Verhaltensanpassung zu bewegen. Dabei besteht die Gefahr einer zu starken Bürokratisierung, die insbesondere von aktiven Unternehmen als unnötige Barriere wahrgenommen wird.

Gleichzeitig praktiziert die Politik in Industrieländern unterschiedliche Formen der Förderung von Nachhaltigkeit sowohl auf der Angebots- als auch auf der Nachfrageseite. Diese zielen auf Nachhaltigkeitsinnovationen zur Bewältigung des Klimawandels ab. Während die deutsche Politik z.B. bei erneuerbaren Energien vor allem die Nachfrageseite mit Steuergeldern gefördert hat, baut die chinesische Politik systematisch einheimische Weltmarktführer auf, die versuchen, ausländische Konkurrenten zu verdrängen. Dieses Muster hat zu einer zunehmenden Abhängigkeit Europas beigetragen. Da die europäische Politik gleichzeitig das Nachhaltigkeitsbewusstsein fördert, sehen sich die Kunden in einigen Feldern mit einem geringer werdenden europäischen Angebot konfrontiert. Angesichts dieser Situation erscheint eine strategische Neuausrichtung der europäischen Nachhaltigkeitspolitik und des Nachhaltigkeitsmanagements erforderlich.

Bevor wir uns näher mit den Charakteristika einer solchen Neuausrichtung beschäftigen, möchte ich die Grundlagen eines strategischen Nachhaltigkeitsmanagements skizzieren, dass wir als dritte Entwicklungsstufe des strategischen Managements (Strategie 3.0) betrachten.

 

Grundlagen in Technik, Gesellschaft, Politik und Wirtschaft

Diese dritte Stufe hat sich aus einem Thema für Spezialisten entwickelt, dessen Grundlagen in Technik, Gesellschaft, Politik und Wirtschaft entstanden sind. Relativ wenig bekannt ist, dass das Konzept der Nachhaltigkeit in Europa seine Wurzeln in der Forstwirtschaft hat. So schreibt die Kursächsische Forstordnung von 1560 vor, dass Bäume, die abgeholzt werden, nachgepflanzt werden müssen. Im Zuge der industriellen Revolution hat das Prinzip, eine Ressourcenbasis nicht zu erschöpfen, aber einen Bedeutungsverlust erlebt.

Ebenfalls eine lange Entwicklungsgeschichte hat die natur- und ingenieurwissenschaftliche Disziplin der Umwelttechnik. Den Markt für Umwelttechnik (GreenTech) gliedert das deutsche Umweltministerium in die Segmente:4

  •  Umweltfreundliche Erzeugung, Speicherung und Verteilung von Energie
  •  Energieeffizienz
  •  Rohstoff- und Materialeffizienz
  •  nachhaltige Mobilität
  •  Kreislaufwirtschaft
  •  nachhaltige Wasserwirtschaft sowie
  •  nachhaltige Agrar- und Forstwirtschaft.

Diese Segmentierung liefert eine erste Orientierung des sich dynamisch verändernden GreenTech-Marktes.

Den freiwilligen Beitrag der Wirtschaft zu einer nachhaltigen Entwicklung beschreibt der Begriff Corporate Social Responsibility (CSR). Das Konzept ist in den 1920er Jahren in den USA entstanden und hat seit den 1950er Jahren und 1960er Jahren an Bedeutung gewonnen. Die Europäische Union (EU) beschäftigt sich seit 2001 mit dem Thema und hat hierzu 2014 eine Richtlinie erlassen, die 2017 in deutsches Recht umgesetzt worden ist. Bereits 2010 wurde die ISO-Norm 26000 „Guidance Social Responsibility“ verabschiedet, die den Charakter einer Leitlinie hat.5 Die Kritik an Corporate Social Responsibility ist, das CSR-Konzept spiele für viele Unternehmen nur eine untergeordnete Rolle und diene primär der Image-Verbesserung.

Wichtige Impulse für das Thema Nachhaltigkeit sind von Umweltorganisationen wie dem Club of Rome ausgegangen. Im Auftrag dieses 1968 gegründeten Expertennetzwerks entstand 1972 der Bericht „Grenzen des Wachstums“, der im Zuge der Ölkrisen der 1970er Jahre eine große Bedeutung erlangte.6 Die Publikation basiert auf der von dem MIT-Professor Jay Forrester entwickelten System-Dynamics-Methode, mit deren Hilfe komplexe Wirkungszusammenhänge in dynamischen Systemen analysiert werden. Auf eine Mobilisierung der breiten Öffentlichkeit zielen die zum Teil spektakulären Aktivitäten der 1971 in Kanada gegründeten Kampagnen-Organisation Greenpeace ab.

1983 gründeten die Vereinigte Nationen (UN) die World Commission on Environment and Development (WCED). Deren Perspektivbericht „Our Common Future“ (Brundtland Bericht) lieferte 1987 eine wichtige Leitbildbeschreibung zum Thema nachhaltige Entwicklung (Sustainable Development). Im Mittelpunkt steht dabei das Thema der intergenerativen Gerechtigkeit.7 Die UN-Konferenz in Rio de Janeiro führte 1992 erstmals global ein Recht auf nachhaltige Entwicklung ein, für deren Umsetzung allerdings die einzelnen Staaten verantwortlich sind. 2015 formulierte die UN mit den Sustainable Development Goals 17 globale Herausforderungen für Staaten und Unternehmen.

Zu einem zentralen Nachhaltigkeitsthema ist in den letzten Jahrzehnten der Klimawandel geworden. Eine wichtige Orientierung lieferte ein 2007 von Nicholas Stern herausgegebener Bericht, der versucht, die weltweiten wirtschaftlichen Schäden zu berechnen, die entstehen, wenn die Menschheit nichts gegen den Klimawandel unternimmt. Stern beziffert die Schäden bis 2100 auf 5,5 Billionen Euro pro Jahr.8 Diese dramatische Zahl hat zu einer Mobilisierung der Politik und der Formulierung ehrgeiziger Nachhaltigkeitsziele beigetragen, um den Klimawandel zu bewältigen.

Ende der 1990er Jahre ist die Unterscheidung zwischen den drei Nachhaltigkeits-dimensionen Ökonomie, Ökologie und Soziales entstanden, die die traditionelle Fokussierung von Unternehmen auf die wirtschaftliche Dimension erweitert.9 Diese Erweiterung gibt aber keine befriedigende Antwort auf die Frage, wie Zielkonflikte zwischen den Dimensionen zu meistern sind. Inzwischen ist Nachhaltigkeit zu einem Modewort mit unklarer Bedeutung geworden. Dazu trägt die gleichzeitige Verwendung des Begriffs im Sinne der ursprünglichen Bedeutung „dauerhaft“ bei. Außerdem unterscheiden viele Nutzer des Begriffs nicht zwischen ökologisch und nachhaltig.

Diese begriffliche Unklarheit wird durch die ESG-Kriterien weiter verstärkt. Dabei steht die Abkürzung ESG für Ecology, Social and Governance. Die Schnittmenge zwischen den Nachhaltigkeitsdimensionen und dem ESG-Konzept liegt also bei den Dimensionen Ökologie und Soziales. Die wirtschaftliche Dimension wird beim ESG-Konzept hingegen auf den Aspekt Governance verengt. Auch das Thema ESG hat eine längere Entwicklungsgeschichte. Ein wichtiger Impuls ist 2004 von dem Bericht  „Who Cares Wins“ ausgegangen, den Finanzinstitute im Auftrag der UN publiziert haben. Das ESG-Konzept hat in den letzten Jahren eine zunehmende Bedeutung im Finanzmarkt erlangt.10 Bewertungen basieren häufig auf der Analyse von Rating-Agenturen, die allerdings unterschiedliche Kriterien verwenden. Diese methodischen Defizite haben zu einer Reihe von Greenwashing-Skandalen beigetragen, die Anleger verunsichern.

Lernprozess Innovationsstrategie

Aus dem Zusammenwirken dieser Grundlagen ist die dritte Entwicklungsstufe eines nachhaltigkeitsorientierten strategischen Managements entstanden,11 deren Charakteristika ich im Folgenden erläutern möchte. Eine wichtige Erkenntnisquelle sind dabei Pioniere mit einer glaubwürdigen Nachhaltigkeitsstrategie, von denen andere Organisationen lernen können.

 

Fokus auf eine glaubwürdige Nachhaltigkeitsstrategie

Den Ausgangspunkt für unser 1994 erschienenes Buch „Die Zukunft des Autos hat erst begonnen – Ökologisches Umsteuern als Chance“ bildete die Vision von Führungskräften eines großen Automobil-Unternehmens.12 Leider konnten diese ihre innere Überzeugung damals nicht umsetzen, und die Entwicklung nahm einen anderen Verlauf. Toyota führte erfolgreich seinen Hybridantrieb ein und sehr viel später wurde Tesla zu einem Vorreiter bei Batterien und der Digitalisierung. Was andere von diesen Pionieren lernen können ist, dass es auch beim Thema Nachhaltigkeit darauf ankommt, Technologien als Mittel zur Befriedigung von Kundenbedürfnissen zu nutzen. Diese Lead User sind häufig bereit, für glaubwürdige Nachhaltigkeitsversprechen eine Preisprämie zu bezahlen.

Ein Beispiel für ein Unternehmen mit einer erfolgreich umgesetzten, glaubwürdigen Nachhaltigkeitsstrategie ist Werner & Mertz, der Mainzer Hersteller von Reinigungsmitteln und seiner bekannten Marke Frosch.13 In der folgenden Abbildung habe ich vier Gründe für den Erfolg des Unternehmens beim Thema Nachhaltigkeit zusammengefasst.

Lernprozess Innovationsstrategie

Viele Nachhaltigkeitspioniere sind Familienunternehmen, deren Gesellschafter aus innerer Überzeugung von der Notwendigkeit eines glaubwürdigen Nachhaltigkeits-managements aktiv werden. Reinhard Schneider, der Vorsitzende der Geschäftsführung von Werner & Mertz, beschreibt, wie seine Vision, das Unternehmen ökologischer zu gestalten, aus einer wirtschaftlichen Krisensituation entstanden ist.

Bekannt geworden ist die Marke Frosch vor allem durch das mechanische Recycling von Verpackungsmüll als direktester Form einer Kreislaufwirtschaft. Hierzu startete Werner & Mertz 2012 gemeinsam mit Partnern seine Rezyklat-Initiative. Das Unternehmen schreibt hierzu auf seiner Website: „Ein Großteil unserer Verpackungen besteht mittlerweile zu 100% aus Rezyklat, davon zwischen 75-100% aus haushaltsnahen Sammlungen wie dem Gelben Sack – der Rest stammt aus der europäischen Pfandflaschensammlung.“

Von zentraler Bedeutung ist für Reinhard Schneider eine kritische Haltung gegenüber zahlreichen Ablenkungsfallen, mit denen ein Netzwerk von Akteuren Nachhaltigkeit bloß vortäuscht. Ein Beispiel sind die Tricks beim Greenwashing. Hierzu gehört auch die Verwendung des Begriffs „klimaneutral“ für eine Förderung fremder Maßnahmen, die in keinem Zusammenhang zur eigenen Wertschöpfung stehen.

Studien zeigen, dass die Marke Frosch herausragende Vertrauensprämien bei relevanten Stakeholdern erzielt. Insofern zahlen sich Glaubwürdigkeit und ein Handeln aus Überzeugung langfristig aus. Offensichtlich kann Nachhaltigkeit sinnstiftend wirken, was die eigenen Mitarbeitenden und Kunden als Belohnung empfinden.

Derartige Vertrauensprämien lassen sich am besten erzielen, wenn ein Unternehmen sein Nachhaltigkeitsmanagement als verbundenes System betrachtet.

 

Verbundene Handlungsfelder des Nachhaltigkeitssystems eines Unternehmens

Nachhaltigkeitspioniere haben frühzeitig einen integrierten Ansatz verfolgt und erkannt, dass das Nachhaltigkeitssystem eines Unternehmens aus verbundenen Handlungsfeldern besteht.14 In diesem Punkt ähneln sich das Nachhaltigkeits- und das Innovationsmanagement. Auch beim Nachhaltigkeitsmanagement liegt die Herausforderung in der Verbindung dieser Handlungsfelder, die ich kurz erläutern möchte.

Lernprozess Innovationsstrategie

Die Basis für das Schaffen und Verbessern eines solchen integrierten Systems bildet die Umsetzung einer glaubwürdigen Nachhaltigkeitsstrategie. Diese Strategie ist auf die Gestaltung von nachhaltigen Geschäftsmodellen gerichtet. Dabei können Geschäftsmodellmuster Anregungen liefern.

Wichtige Impulse gehen von Unternehmen der Umwelttechnik und zunehmend auch von Digital-Unternehmen aus, die zusammen mit ihren Kunden Nachhaltigkeits-innovationen realisieren. Hierbei kommt es auf das Zusammenwirken von Akteuren aus Politik, Wissenschaft, Wirtschaft und Gesellschaft in Stakeholder-Ökosystemen an. Diese Stakeholder-Ökosysteme stehen in einem härter werdenden internationalen Wettbewerb.

Die Politik beeinflusst die Rahmenbedingungen für eine nachhaltige Wertschöpfung an den jeweiligen Standorten. Dabei nimmt auch beim Thema Nachhaltigkeit die Bedeutung der Künstlichen Intelligenz (KI) zu. Aufgabe des Unternehmens ist es, mit einem vertrauensbildenden Marketing Kunden langfristig zu binden.

Im Hinblick auf die Wertsteigerung von Unternehmen wird eine integrierte Nachhaltigkeitsberichtserstattung immer wichtiger. Die neue Corporate Sustainable Reporting Directive (CSRD) der Europäischen Union (EU) steht im internationalen Wettbewerb mit anderen Reporting-Systemen.

Je nach Ausgangssituation erfolgt der Wandel zu einer nachhaltigkeitsorientierten Personalführung und Kultur unterschiedlich. Erfolgreiche Pionierunternehmen bevorzugen einen evolutionären Wandel in Form gemeinsamer Lernprozesse. Nachhaltigkeitsgegner versuchen eher, mit Hilfe der erwähnten Ablenkungsfallen den Wandel zu blockieren. Ein Gegenmittel ist die Entwicklung von Nachhaltigkeits-kompetenz bei allen Stakeholdern.

Auf dem Weg von einer nicht mehr zeitgemäßen bürokratischen Silo-Organisation zu einem agilen, verbundenen Unternehmen kann von dem Thema Nachhaltigkeit eine sinnstiftende Wirkung in der gesamten Organisation ausgehen. Insofern eröffnet das strategische Nachhaltigkeitsmanagement neue Wege zu Erzielung von Wettbewerbsvorteilen.

Eine Disruptionswirkung geht dabei von innovativen Technologien und nachhaltigen Geschäftsmodellen aus.

 

Mit innovativen Technologien zu nachhaltigen Geschäftsmodellen

Eine Herausforderung für spezialisierte Umwelttechnik-Anbieter liegt in der Verbindung von grünen Technologien mit digitalen Querschnittstechnologien. So prognostiziert die Boston Consulting Group in einer noch vor dem Boom um die generative Künstliche Intelligenz erstellten Studie, dass der Markt für Digital GreenTech von 2020 bis 2027 jährlich um 25 bis 30 Prozent auf 45 bis 55 Milliarden US-Dollar wachsen wird.15 Angesichts der Schwächen etablierter Unternehmen bei der Digitalisierung ist zu erwarten, dass neben Start-ups vor allem die Digitalgiganten besonders stark an diesem Marktwachstum partizipieren werden. Ein Beispiel liefert das autonome Fahren.

Im Wettbewerb um die weltweite Führungsposition liegt gegenwärtig die Alphabet-Tochter Waymo gut im Rennen. So startete Waymo 2020 in einem Randbezirk von Phoenix (USA) einen fahrerlosen Robotaxidienst und ist seit Oktober 2023 im gesamten Stadtgebiet von San Francisco mit Elektrofahrzeugen von Jaguar unterwegs. Die mit erheblichen Investitionen verbundene Vision des Google-Gründers Larry Page könnte sich in absehbarer Zeit auszahlen. Die Frage ist, wann dieses Geschäftsmodell auch finanziell erfolgreich sein wird.16

Erstaunlicherweise haben die verbreiteten Konzepte zur Beschreibung von innovativen Geschäftsmodellen das Thema Nachhaltigkeit lange Zeit ausgeblendet.17 Ein Sustainable Business Model Canvas bildet die Kommunikationsgrundlage für die Nachhaltigkeitsthemen eines Unternehmens. Neben den Wirkungen auf die Umwelt und Gesellschaft sind darin weitere nachhaltigkeitsrelevante Bausteine enthalten.

Besonders relevant erscheinen z.B. bei der Energie- und Mobilitätswende die Bausteine18

  •  politische und rechtliche Rahmenbedingungen und
  •  Interaktion mit Stakeholdern.

Eine gemeinsame Kommunikationsgrundlage kann einen wichtigen Beitrag zur Zusammenarbeit der Akteure leisten. Dies gilt insbesondere auch für die öffentliche Förderung von entstehenden Volumengeschäften.

 

Marktführerschaft in Volumengeschäften durch öffentliche Förderung

In der ersten Entwicklungsstufe eines markt- und finanzorientierten strategischen Managements lag ein Fokus auf der Nutzung von Erfahrungskurveneffekten zur Erreichung der Marktführerschaft in Volumengeschäften.19 Dieses strategische Verhaltensmuster erlebt beim Nachhaltigkeitsmanagement eine Neuinterpretation. Eine wichtige Rolle spielt dabei die Politik, die die Forschung und Entwicklung bei Erfolg versprechenden Technologien fördert, Anwendungen mit öffentlichen Mitteln unterstützt und Unternehmen subventioniert. Ein klassisches Lehrstück, aus dem Deutschland lernen kann, wie es besser geht, liefert die Solarindustrie.

So ist aufgrund des Erneuerbare-Energien-Gesetzes (EEG) die Anwendung der relevanten Produkte in Deutschland mit einem dreistelligen Milliardenbetrag gefördert worden. Davon haben auch deutsche Hersteller profitiert, und eine Zeitlang war die deutsche Solarindustrie weltweit führend. Diese Erfolgsphase dauerte aber nur so lange, bis subventionierte asiatische Wettbewerber die deutschen Anbieter in einem harten Preiswettbewerb allmählich verdrängt haben. Heute kommen rund 86 Prozent der in Deutschland eingesetzten Solaranlagen von chinesischen Herstellern.

Mit dem Rekordausbau der Photovoltaik steigt die Gefahr von instabilen Netzsituationen. Schlimmstenfalls kann es zu lokalen Stromausfällen kommen. Deshalb sollten Neuanlagen endlich mit intelligenten Mess-Systemen ausgestattet werden.20 Der Einsatz dieser Smart Meter in Verbindung mit dynamischen Stromtarifen hat sich in Deutschland immer wieder verzögert. Das Beispiel zeigt, dass eine bessere Abstimmung zwischen politischen Rahmenbedingungen und miteinander in Verbindung stehenden Geschäftsmodellen dringend notwendig wäre. Hierauf haben wir bereits in unserem 2010 erschienenen Buch Smart Energy hingewiesen.21

Eine etwas andere Situation liegt bei der Elektromobilität vor. Die Pionierrolle ist hier von dem US-Unternehmen Tesla ausgegangen. Die europäische Politik hat die Autohersteller zwar mit harten Zielvorgaben unter Druck gesetzt. Der Großteil der Batterien kommt aber von asiatischen Herstellern. Damit ist eine erhebliche Abhängigkeit entstanden. Die heimische Automobilindustrie wünscht sich für die Herstellung von Batteriezellen zwar europäische Lösungen. Gegenwärtig verzögert sich aber der Bau einiger Werke.22

Die Beispiele zeigen, dass es in Europa bei der Zusammenarbeit von Politik, Wissenschaft, Wirtschaft und Gesellschaft erhebliche Defizite gibt. Die weltweite Marktführerschaft in GreenTech-Volumengeschäften lässt sich aber nur mit leistungsfähigen Stakeholder-Ökosystemen erreichen. Dies gilt ebenfalls für die Erschließung neuer grüner Wachstumsfelder.

 

Erschließung neuer grüner Wachstumsfelder

Das Venture-Capital-Unternehmen Kleiner Perkins sieht bei dem Ziel Null Treibhausgasemissionen bis 2050 die folgenden sechs Prioritäten: 23

  •  Elektromobilität
  •  erneuerbare Energien
  •  grüne Landwirtschaft
  •  Regenwald und Ozeane
  •  energieintensive Produktion sowie
  •  die Entnahme von CO2 aus der Atmosphäre und Speicherung.

Das wirtschaftliche Potenzial der Carbon Dioxide Removal (CDR) ist erheblich, wurde aber lange Zeit unterschätzt. Mittlerweile gibt es einen breiten Konsens, dass CDR ein zur CO2-Reduktion komplementärer Ansatz ist. Für die deutsche Industrie interessant sind die Möglichkeiten, die sich hier für den Maschinen- und Anlagenbau, aber auch für Start-ups bieten.24

Auch dieses Beispiel zeigt, dass jedes einzelne der grünen Wachstumsfelder und der GreenTech-Sektor insgesamt besser koordinierte Programme im Rahmen einer europäische Nachhaltigkeitsstrategie erfordern. Es wird interessant sein zu beobachten, inwieweit die neue EU-Kommission der Forderung nach einer Ergänzung ihres „Green Deals“ um eine industriepolitische Dimension nachkommt. Diese Forderung resultiert unter anderem aus der Sorge der Wirtschaft, die neuen Ansätze zur Nachhaltigkeitsberichterstattung würden Unternehmen überfordern.

Diese Sorge betrifft die Kernfrage, die sich eine Reihe von Branchen stellen, nämlich, wie sie die Herausforderung bewältigen können, die aus den Zielkonflikten zwischen wirtschaftlichen, ökologischen und sozialen Nachhaltigkeitsdimensionen resultieren und wie der evolutionäre Wandel zu nachhaltigen Unternehmen gelingt.

 

Evolutionärer Wandel zu nachhaltigen Unternehmen

In den meisten Branchen ist der Wandel zu nachhaltigen Unternehmen ein komplexer, langfristiger Prozess, der abgestimmte Aktivitäten in einer Reihe verbundener Handlungsfelder erfordert. Daher ist die häufig politisch motivierte Vorstellung von einer kurzfristigen „grünen Transformation“ unrealistisch. Obwohl diese Transformationsversuche meist scheitern, erfreut sich das Schlagwort Transformation immer noch einer großen Verbreitung.25

Eine wichtige Grundlage für den erfolgreichen Wandel in Richtung Nachhaltigkeit sind realistische und verlässliche politische Strategien für Technologien und Branchen. Diese können einen zeitlichen Rahmen enthalten, der aber nicht den Charakter von starren Zielvorgaben haben sollte. Das Beispiel des europäischen Übergangs zur Elektromobilität zeigt, wie schwierig es sein kann, solche Ziele zu erreichen.

In diesem zeitlichen Rahmen muss es europäischen Unternehmen möglich sein, den evolutionären Wandel von vorhandenen zu nachhaltigen Geschäftsmodellen finanziell zu meistern. Bei dieser Portfoliobetrachtung kann die Standortstruktur eine wichtige Rolle spielen. So ist möglicherweise an einem vorhandenen Standort ein neues, ökologisch besseres Geschäftsmodell auf absehbare Zeit nicht wirtschaftlich, der Erhalt von Arbeitsplätzen leistet aber einen wichtigen Beitrag zur sozialen Nachhaltigkeit. In dieser Situation befindet sich gegenwärtig die Stahl-Tochter des traditionsreichen Unternehmens Thyssen-Krupp. Der mit öffentlichen Mitteln geförderte Übergang zur Produktion von „grünem Stahl“ in Duisburg liefert ein mögliches Modell für die Stahlproduktion der Zukunft. Gleichzeitig ist die Sicherung von Arbeitsplätzen im westlichen Ruhrgebiet von großer regionalpolitischer Bedeutung. Das Beispiel zeigt, wie schwierig es ist, ein Unternehmen erfolgreich zu sanieren, nach neuen Investoren zu suchen und gleichzeitig den ökologischen Wandel voranzutreiben.26

Neben diesen spezifischen Herausforderungen bedeutet die neue Corporate Sustainability Reporting Directive (CSRD) der Europäischen Union (EU) für alle größeren Unternehmen einen erheblichen Mehraufwand. Dabei besteht die Gefahr, dass sich die Priorität beim Wandel in Richtung auf die Nachhaltigkeits-berichterstattung verlagert und Innovationen vernachlässigt werden. Es erscheint daher notwendig, den Reporting-Ansatz einer kritischen Kosten-Nutzen-Analyse zu unterziehen und gegebenenfalls weiterzuentwickeln.

 

Zusammenfassung der Charakteristika einer Strategie 3.0

Wir haben gezeigt, dass die dritte Entwicklungsstufe eines nachhaltigkeitsorientierten strategischen Managements (Strategie 3.0) von einem glaubwürdigen Verhalten von Unternehmen ausgeht. Dabei liegt die Herausforderung in einer Verbindung der relevanten Handlungsfelder. Auf diese Weise kann es gelingen, mit innovativen Technologien nachhaltige Geschäftsmodelle zu gestalten.

Dies ist wichtig, oft jedoch nicht ausreichend. Hinzu kommen muss eine gezielte öffentliche Förderung, um die Marktführerschaft in Volumengeschäften zu erringen und zu verteidigen. Der europäischen Wirtschaft ist das in der Vergangenheit häufig nicht gut gelungen. Zur Erschließung neuer grüner Wachstumsfelder bedarf es daher besser koordinierter europäischer Programme. Der Wandel zu nachhaltigen Unternehmen erfolgt evolutionär. Er erfordert die Fähigkeit zu gemeinsamen Lernprozessen und einem stärker dialogbasierten Handeln der Akteure von der Gestaltung der politischen Rahmenbedingungen bis zur Umsetzung der Strategien.

In der folgenden Tabelle sind diese Charakteristika eines strategischen Nachhaltigkeitsmanagements zusammengefasst. Erfolgsentscheidend für Europa ist, dass Politik, Wissenschaft, Wirtschaft und Gesellschaft besser zusammenarbeiten.

Sowohl das Nachhaltigkeitsmanagement als auch das Innovationsmanagement verbinden als Querschnittsdisziplinen die klassischen betriebswirtschaftlichen Funktionslehren.27 Dies erfordert ebenso wie die Interaktion mit Stakeholdern konnektive Fähigkeiten. Daher sollte die Aus- und Weiterbildung der Entwicklung dieser Fähigkeiten einen hohen Stellenwert einräumen. Besonders geeignet sind hierfür interdisziplinäre Programme und Projekte. Ausgehend von dieser Erkenntnis gestalten wir gegenwärtig einen neuen Master-Studiengang für Nachhaltigkeits-management. Darüber hinaus erscheint im Rahmen einer internationalen Nachhaltigkeitspolitik auch eine bessere Kooperation der relevanten Politikfelder notwendig.

 

Fazit

  • Die Europäische Union möchte mit ihrem „Clean Industrial Deal“ die Rahmenbedingungen für Unternehmen beim Thema Nachhaltigkeit verbessern.
  • Ausgehend von verschiedenen Grundlagen knüpft ein nachhaltigkeits-orientiertes strategisches Management an die politikwissenschaftliche Schule von Strategieprozessen an.
  • Die Pioniere betrachten die Handlungsfelder des Nachhaltigkeits-managements ihres Unternehmens als verbundenes System.
  • Eine Herausforderung für europäische Unternehmen liegt in der Gestaltung von Geschäftsmodellen, die Umwelttechnik und digitale Technologien verbinden. Bei der Erzielung der Marktführerschaft in Volumengeschäften spielt die öffentliche Förderung eine wichtige Rolle.
  • Im Hinblick auf die Erschließung von neuen grünen Wachstumsfeldern sollte Europa aus Fehlern in der Vergangenheit lernen und die Zusammenarbeit von Stakeholder-Ökosystemen verbessern. Hierzu bedarf es der Fähigkeit zu koordinierten Programmen.
  • Beim Wandel zu nachhaltigen Unternehmen gilt es, eine angemessene Balance zwischen Innovation und Berichterstattung zu finden.

 

Literatur

[1] Mintzberg, H., Ahlstrand, B., Lampel, J., Strategie Safari – Eine Reise durch die Wildnis des strategischen Managements, Ueberreuter 1999

[2] Gusbeth, S. et al., Bye-bye, Klimaschutz? In: Handelsblatt, 14./15./16. Juni 2024, S.44-50

[3] Scheer, O., Volkery, C., Von der Leyens Neustart, In: Handelsblatt, 19./20./21. Juli 2024, S.1,12-13

[4] Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit (Hrsg.), GreenTech made in Germany 2.0 – Umwelttechnologie-Atlas für Deutschland, 2. Aufl., Vahlen 2009

[5] Schneider, A., Schmidpeter, R. (Hrsg.), Corporate Social Responsibility – Verantwortungsvolle Unternehmensführung in Theorie und Praxis, 2. Aufl., Springer Gabler 2015

[6] Meadows, D., Die Grenzen des Wachstums – Bericht des Club of Rome zur Lage der Menschheit, Deutsche Verlags-Anstalt 1972

[7] The World Commission on Environment and Development, Our Common Future, Oxford University Press 1987

[8] Stern, N., The Economics of Climate Change – The Stern Review, Cambridge University Press 2007

[9] Elkington, J., Cannibals with Forks – Triple Bottom Line of 21st Century Business, Capstone Publishing 1997

[10] Hill, J., Environmental, Social, and Governance (ESG) Investing – A Balanced Analysis of the Theory and Practice of a Sustainable Portfolio, Academic Press 2020

[11] Servatius, H.G., Strategie 5.0 zur Bewältigung der neuen Herausforderungen. In: Competivation Blog, 28.06.2022

[12] Berger, R., Servatius, H.G., Krätzer, A., Die Zukunft des Autos hat erst begonnen – Ökologisches Umsteuern als Chance, Pieper 1994

[13] Schneider, R., Die Ablenkungsfalle – Die versteckten Tricks der Ökologie-Bremser, Oekom 2023

[14] Servatius, H.G., Wettbewerbsvorteile durch die Gestaltung eines Nachhaltigkeitssystems. In: Tomaschewski, D., Völker, R. (Hrsg.), Nachhaltige Unternehmensentwicklung, Kohlhammer 2016, S. 27-32

[15] Vikash, J., et al., The Next „Digital“ – Unlocking $50 Billion GreenTech Opportunity, April 2022

[16] Rest, J., Vorsprung durch Technik. In: Manager Magazin, Juli 2024, S. 32-38

[17] Osterwalder, A., Pigneur, Y., Business Model Generation – A Handbook for Visionaries, Game Changers, and Challengers, Wiley 2010

[18] Servatius, H.G., Mit einer Strategie 5.0 zu Erfolgen bei Digital GreenTech. In: Fesidis, B., Röß, S.A., Rummel, S. (Hrsg.), Mit Digitalisierung und Nachhaltigkeit zum klimaneutralen Unternehmen – Strategische Frameworks und Best-Practice-Beispiele, SpringerGabler 2023, S. 71-93

[19] Servatius, H.G., Evolution des strategischen Managements. In: Competivation Blog, 28.06.2024

[20] Stratmann, K., Angst vor dem Solar-Infarkt. In: Handelsblatt, 30.Juli 2024, S. 1, 4-5

[21] Servatius, H.G., Schneidewind, U., Rohlfing, D. (Hrsg.), Smart Energy – Wandel zu einem nachhaltigen Energiesystem, Springer 2012

[22] Backovic, L., Fasse, M., Hubik, F., Sorge um Europas Batterieproduktion. In: Handelsblatt, 27.Juni 2024, S. 22-23

[23] Doerr, J., Speed & Scale – An Action Plan for Solving Our Climate Crisis Now, Portfolio Penguin 2021

[24] Stratmann, K., Milliardengeschäft CO2-Entnahme. In: Handelsblatt, 26.Juni 2024, S. 10-11

[25] Servatius H.G., Dreifache strategische Neuausrichtung. In: Competivation Blog, 17.06.2024

[26] Wermke, I., „Ohne Hoffnungswerte und ohne Schönfärberei“. In: Handelsblatt, 12. August 2024, S. 19

[27] Servatius, H.G., Innovations- und Nachhaltigkeitssysteme verbinden klassische Managementaufgaben. In: Competivation Blog, 09.09.2021

 

Nachhaltigkeitsorientiertes strategisches Management

Nachhaltige Entwicklung von Unternehmen mit einer Sustainability Map

Angesichts der Vielzahl unterschiedlicher Ansätze zur Nachhaltigkeitsbewertung suchen Unternehmen nach einem geeigneten konzeptionellen Rahmen für ihre nachhaltige Entwicklung. In der Praxis bewährt hat sich dabei eine Sustainability Map.

In unserem neuen Blogpost erläutern wir ein Vorgehen für die nachhaltige Entwicklung in sechs Schritten.

 

Ansätze zur Nachhaltigkeitsbewertung

In der Vergangenheit ist eine Vielzahl unterschiedlicher Ansätze zur Nachhaltigkeitsbewertung entstanden. Eine erste Gruppe von Kriterienkatalogen stammt von überstaatlichen oder staatlichen Institutionen. Hierzu zählen z.B. die Sustainable Development Goals (SDG) der Vereinten Nationen. Daneben gibt es eine zweite Gruppe, die von internationalen Organisationen oder Normungsinstituten entwickelt worden ist. Ein Beispiel ist die Zertifizierung nach ISO 14001 für das Umweltmanagement. Eine dritte Gruppe sind Ansätze von Rating-Unternehmen. Ein Beispiel ist das Environment, Social und Governance (ESG-)Rating von MSCI. Die vierte Gruppe sind Reporting-orientierte Ansätze, wie z.B. die Global Reporting Initiative (GRI).1

Von besonderer Relevanz für europäische Unternehmen ist die neue Nachhaltigkeitstaxonomie der EU. Dazu gehört ein Taxonomie-Kompass mit den folgenden sechs Umweltzielen:2

  1. Klimaschutz
  2. Anpassung an den Klimawandel
  3. nachhaltige Nutzung und Schutz von Wasser- und Meeresressourcen
  4. Übergang zu einer Kreislaufwirtschaft
  5. Vermeidung und Verminderung der Umweltverschmutzung sowie
  6. Schutz und Wiederherstellung der Biodiversität und der Ökosysteme.

Außerdem soll die Berichtspflicht für Nachhaltigkeit ab 2024 von gegenwärtig circa 600 Unternehmen in Deutschland auf 15.000 ausgeweitet werden. Grundlage dafür ist die Corporate Sustainability Reporting Directive (CSRD) der EU.

Für die betroffenen Unternehmen ist dies einerseits mit einem erheblichen Mehraufwand verbunden, es bieten sich andererseits aber auch Chancen. Viele Manager handeln heute jedoch noch eher reaktiv und nicht proaktiv.

 

Vor- und Nachteile unterschiedlicher Vorgehensweisen

Unterschiedliche Vorgehensweisen bei der Nachhaltigkeitsbewertung haben spezifische Vor- und Nachteile. So ist ein Nachteil der Nachhaltigkeitsbewertung ausgehend von externen Kriterienkatalogen die verwirrende Vielfalt der unterschiedlichen Ansätze. Außerdem besteht eine Schwierigkeit in der Anpassung an die spezifische Situation des Unternehmens. Ein Vorteil liegt darin, dass diese Kataloge Anregungen für eigene Ansätze liefern können. Darüber hinaus haben die Vorgaben z.B. der EU und von wichtigen Rating-Agenturen eine gewisse Verbindlichkeit und Relevanz.

 

Lernprozess Innovationsstrategie

 

Der Vorteil von Ansätzen, die vom eigenen Geschäftsmodell des Unternehmens und der eigenen Strategie ausgehen, liegt darin, dass diese eine passgenauere Lösung als Basis für eine erfolgreiche nachhaltige Entwicklung des Unternehmens liefern. Ein Nachteil ist allerdings, dass hierzu möglicherweise eine höhere Aktivierungsenergie erforderlich ist. Außerdem fehlt in vielen Unternehmen bislang noch ein konzeptioneller Rahmen für das praktische Vorgehen. Wir haben diese Situation zum Anlass genommen, einen solchen konzeptionellen Rahmen zu entwickeln. Ein bewährter Ausgangspunkt ist ein Beschreibungsrahmen für nachhaltige Geschäftsmodelle.

 

Der Sustainable Business Model Canvas als Rahmen für Nachhaltigkeitsthemen

Viele Unternehmen arbeiten seit langem mit einem Business Model Canvas zur Beschreibung ihres vorhandenen Geschäftsmodells und der Entwicklung neuer Geschäftsmodell-Bausteine.3 Diese sogenannten Canvas- oder Leinwand-Konzepte berücksichtigen zwar Nachhaltigkeitsthemen nicht, bilden aber eine gute Grundlage für einen Sustainable Business Model Canvas, den Unternehmen an ihre spezifische Situation anpassen können.4 Neben den bekannten Bausteinen enthält dieses Konzept einige Ergänzungen wie z.B. nachhaltige Energien und Ressourcen und eine nachhaltigkeitsorientierte Interaktion mit Stakeholdern. Außerdem wurden im Nachhaltigkeits-Canvas als neue Bausteine die Beiträge des Unternehmens für eine natürliche Umwelt und den sozialen Zusammenhalt hinzugefügt.

 

 

Der Nutzen dieses Konzepts liegt darin, dass Unternehmen einen Rahmen für die systematische Sammlung ihrer relevanten Nachhaltigkeitsthemen bekommen. Damit ist ein Sustainable Business Model Canvas wesentlich differenzierter als z.B. die Nachhaltigkeitstaxonomie der EU.

Von diesem Ausgangspunkt geht dann die nachhaltige (Weiter-)Entwicklung des Unternehmens aus. Mögliche Wege zur nachhaltigen Entwicklung des Geschäftsmodells eines Unternehmens beschreibt die Nachhaltigkeitsstrategie. Dabei unterscheiden wir zwischen den Ebenen

  • einer Identifikation von Nachhaltigkeits- bzw. ESG-Risiken z.B. aufgrund von Treibhausgas-Emissionen
  • der Effizienzsteigerung bei Nachhaltigkeitsthemen z.B. durch erneuerbare Energie sowie
  • inkrementellen oder radikalen Nachhaltigkeitsinnovationen z.B. mit neuen Batterietechnologien.

Die Umsetzung der Nachhaltigkeitsstrategie kann mit Änderungen des Geschäftsmodells verbunden sein

 

Lernprozess Innovationsstrategie

 

Im Folgenden skizzieren wir, wie Unternehmen und ihre Stakeholder die nachhaltige Entwicklung als gemeinsamen Lernprozess gestalten können.

 

Nachhaltige Entwicklung als gemeinsamer Lernprozess

Die nachhaltige Entwicklung eines Unternehmens lässt sich in sechs Schritte eines iterativen Prozesses gliedern. Dieser Sustainable Development Cycle ähnelt Lernprozessen, wie sie aus dem Qualitätsmanagement5 und dem strategischen Management6 bekannt sind. Von entscheidender Bedeutung ist dabei eine Verbesserung der Fähigkeiten des Unternehmens. Dies erfordert eine intensive Zusammenarbeit der Organisationseinheiten und eine gute Interaktion mit relevanten Stakeholdern.

 

 

Im ersten Schritt erfolgt eine Analyse und Bewertung der relevanten Nachhaltigkeitsthemen mit Hilfe der neuen Sustainability Map. In dieser Nachhaltigkeitslandkarte sind die Positionen aller relevanten Themen in einer Matrix dargestellt. Neben dieser statischen Betrachtung verdeutlichen Pfeile mögliche Nachhaltigkeitsaktivitäten.

Die Entwicklung einer Nachhaltigkeitsstrategie ist Gegenstand des zweiten Schritts. Dabei kommt es auf eine Verbindung der Handlungsebenen Risikoidentifikation, Effizienzsteigerung und Innovation an.7 Bei der Strategieentwicklung kann die Zusammenarbeit mit Partnern eine wichtige Rolle spielen. Wegen dieser zwei Arten von Verbindungen zwischen Ebenen und mit Partnern sprechen wir von konnektiven Nachhaltigkeitsstrategien. Anregungen kommen dabei von nachhaltigen Geschäftsmodellmustern.8 Hierzu sind in den letzten Jahren verschiedene Mustersammlungen entstanden.9

Aus der Strategie leitet das Unternehmen dann im dritten Schritt Nachhaltigkeitsziele und Schlüsselergebnisse ab. Dabei hat eine Anwendung der bei Intel entstandenen und durch Google bekannt gewordenen Objectives and Key Results (OKR-)Methode den Vorteil, dass transparente Ziele und Ergebnisse die horizontale und vertikale Koordination fördern.10 In seinem neuen Buch Speed & Scale beschreibt John Doerr, der Chairman des Venture-Capital-Unternehmens Kleiner Perkins, die Anwendung der OKR-Methode bei Nachhaltigkeitsthemen und die Zusammenarbeit von Unternehmen mit der Politik.11

Die Umsetzung der geplanten Aktivitäten zur Risikoidentifikation, Effizienzsteigerung und Innovation erfolgt dann im vierten Schritt. Hieran schließen sich regelmäßige Reviews der Ergebnisse an, aus denen sich Richtungsänderungen ergeben können.

Der sechste und letzte Schritt dieses Sustainable Development Cycles ist die Nachhaltigkeitsberichterstattung. Dabei kann man zwischen einer Erfüllung des rechtlichen Rahmens z.B. der neuen EU-Taxonomie sowie den Möglichkeiten zur wettbewerblichen Differenzierung und Wertsteigerung durch freiwillige Aktivitäten unterscheiden. Unternehmen haben die Wahl, ob sie sich mit der Rolle eines reinen Nachhaltigkeitsregelerfüllers zufriedengeben wollen oder sich auf dem Weg zum Nachhaltigkeitschampion ehrgeizigere Ziele setzen.

 

Analyse und Bewertung von Nachhaltigkeitsthemen mit einer Sustainability Map

In seinem Buch Sustainable Innovation schreibt der US-Professor Andrew Hargadon, dass die effektivsten Innovationsstrategien zur Landschaft passen, in der sie verfolgt werden.12 Hierzu benötigen Unternehmen eine Nachhaltigkeitslandkarte. Unsere Sustainability Map erfüllt diese Funktion.

Der Grundgedanke ist, die Positionen und Aktivitäten des Unternehmens bei wichtigen Nachhaltigkeitsthemen in einer Matrix darzustellen. Die beiden Achsen der Matrix sind

  • die Bewertung von relevanten Nachhaltigkeitsthemen und -aktivitäten sowie
  • die Ebenen einer konnektiven Nachhaltigkeitsstrategie.

Die Bewertung unterscheidet zwischen problematisch, mittel und gut. Die Ebenen sind die Risikoidentifikation, eine Effizienzsteigerung sowie eine inkrementelle oder radikale Innovation.

 

 

So ergibt sich aus einer Analyse und Bewertung der Ausgangssituation bei einem Nachhaltigkeitsthema eine Position in der Matrix. Wenn das Unternehmen z.B. bei einem risikobehafteten Thema nichts unternimmt, so wird sich seine Position vermutlich verschlechtern. Aktivitäten zur vertieften Beschäftigung mit dem Thema führen zu einer Verbesserung. Weiter gehende Aktivitäten zur Risikobewältigung können einen Ebenenwechsel zur Effizienzsteigerung oder Innovation ergeben. Auf diese Weise wird aus der strategischen Landkarte der Positionen eine dynamische Karte der Aktivitäten.

Der Nutzen einer solchen Sustainability Map liegt darin, dass sie allen Akteuren eine Orientierungshilfe liefert und einen Kommunikationsrahmen für die Strategiearbeit schafft.

Ein Beispiel ist die Position eines Automobilunternehmens beim Nachhaltigkeitsthema Recycling von Batterien. Ein effizientes Recyclingsystem reduziert das Risiko einer internationalen Abhängigkeit. Nach Meinung von Experten würde man so bis 2050 ein Viertel des Eigenbedarfs an Kobalt und Nickel decken.13 Die Nachhaltigkeitsstrategie kann aber auch deutlich über ein effizientes Batterierecycling hinausgehen, wie BMW mit seinem Konzeptfahrzeug Vision Circular zeigt, das aus recyceltem Altmaterial und biobasierten Rohstoffen besteht.14

 

Differenziertes Bild der Rollen eines Unternehmens

Größere Unternehmen arbeiten oft gleichzeitig an vielen Nachhaltigkeitsthemen. Eine Landkarte der Nachhaltigkeitspositionen zeigt ein differenziertes Bild der unterschiedlichen Rollen bei diesen Themen. So kann das Unternehmen beim ersten Thema auf der Ebene der Risikoidentifikation als Beobachter agieren, beim Thema zwei als Verbesserer auf Effizienzsteigerung setzen und erwägen, beim Thema drei als Innovator eine Vorreiterrolle einzunehmen. Ein solches differenziertes Bild liefert eine wichtige Grundlage für die Entwicklung von Fähigkeiten und die Verteilung der benötigten Finanzmittel.

 

 

Diese Rollenanalyse verbessert nicht nur die Transparenz nach innen, sondern liefert auch die Grundlage für eine glaubwürdige Interaktion mit externen Stakeholdern. Unsere Erfahrung aus Praxisprojekten zeigt, dass die nachhaltige Entwicklung von Unternehmen mit der Sustainability Map einen wichtigen Beitrag zur Schließung der bislang vorhandenen konzeptionellen Lücke leisten kann, aber ein gewisses Maß an methodischen Fähigkeiten erfordert.

 

Fazit

  • Die neue Nachhaltigkeitstaxonomie der EU und die entsprechende Berichtspflicht führen zu einer intensiveren Beschäftigung von Unternehmen mit ihrem Nachhaltigkeitsmanagement
  • Ein Vorgehen ausgehend vom eigenen Geschäftsmodell und der eigenen Strategie hat deutliche Vorteile
  • Der Sustainable Development Cycle liefert einen geeigneten konzeptionellen Rahmen
  • Dabei bildet eine Analyse und Bewertung von relevanten Themen mit Hilfe der Nachhaltigkeitslandkarte einen wichtigen ersten Schritt zu einer qualifizierten Nachhaltigkeitsberichterstattung

 

Literatur

[1] Ahrend, K.M.: Geschäftsmodell Nachhaltigkeit – Ökologische und soziale Innovationen als unternehmerische Chance, Berlin 2016, S. 49 ff.

[2] Rat für nachhaltige Entwicklung: EU-Taxonomie – So steht es auf dem Weg zur nachhaltigen Wirtschaft, 22.10.2021

[3] Osterwalder, A., Pigneur, Y.: Business Model Generation, Hoboken 2010

[4] Servatius, H.G.: Nachhaltige Geschäftsmodelle durch eine verbesserte Stakeholder-Interaktion. In: Competivation Blog, 11.04.2018

[5] Schmitt, R., Pfeifer, T.: Qualitätsmanagement – Strategien, Methoden, Techniken, 4. Aufl., München 2010, S.34 ff.

[6] Kaplan, R.S., Norton, D.P.: The Execution Premium – Linking Strategy to Operations for Competitive Advantage, Boston 2008, S. 7 ff.

[7] Servatius, H.G.: Konnektive Geschäftsmodelle mit Nachhaltigkeitsrisiken und Innovationschancen. In: Competivation Blog, 13.10.2021

[8] Gassmann, O., Frankenberger, K., Czik, M.: Geschäftsmodelle entwickeln – 55 innovative Konzepte mit dem St. Galler Business Model Navigator, München 2013

[9] Ahrend, a.a.O., S. 72 ff.

[10] Doerr, J.: Measure What Matters – OKRs: The Simple Idea That Drives 10x Growth, London 2018

[11] Doerr, J.: Speed & Scale – An Action Plan for Solving our Climate Crisis, London 2021

[12] Hargadon, A.: Sustainable Innovation – Build Your Company’s Capacity to Change the World, Stanford 2015, S. 7

[13] Hubik, F., Menzel, S.: Wie Autokonzerne grün werden. In: Handelsblatt, 12./13./14. November 2021, S. 22

[14] Hubik, F.: Das Auto als Rohstoffquelle. In: Handelsblatt, 13. September 2021, S. 18-19

Erfolgreiche Nachhaltigkeitsinnovationen mit verbesserten Stakeholder-Beziehungen

Erfolgreiche Nachhaltigkeitsinnovationen mit verbesserten Stakeholder-Beziehungen

Die Probleme bei der Mobilitätswende könnten zu einer Bedrohung für Schlüsselbranchen wie die Automobilindustrie werden. Der Weg zu erfolgreichen Nachhaltigkeitsinnovationen führt über verbesserte Stakeholder-Beziehungen.

 

Stolpersteine bei der Energie- und Mobilitätswende

Bei wichtigen Nachhaltigkeitsthemen wie Solarenergie und Elektromobilität ist die Bilanz des Zusammenspiels zwischen der deutschen Innovationspolitik und dem Innovationsmanagement deutscher Unternehmen besorgniserregend.1 So führt die Umlage nach dem Erneuerbare-Energien-Gesetz (EEG) im Zeitraum von 2000-2025 zu Subventionen in Höhe von über 400 Milliarden Euro. Im gleichen Zeitraum sind die meisten deutschen Anbieter von Solartechnik von der Landkarte verschwunden. Bei Lithium-Ionen-Batterien geraten deutsche Automobil-Unternehmen in eine gefährliche Abhängigkeit von ausländischen Herstellern. Obwohl die Lithium-Gewinnung mit erheblichen Umweltproblemen verbunden ist, hat die deutsche Industrie bislang die Chance nicht genutzt, die Wettbewerber mit besseren Batterietechnologien zu überholen. Viele Autofahrer sind allerdings auch noch nicht auf Elektromobilität umgestiegen, weil sie mit der vorhandenen Ladeinfrastruktur unzufrieden sind.

Diese Beispiele zu Nachhaltigkeitsinnovationen im Energie- und Mobilitätssektor verdeutlichen ein Game-Changer-Thema vom Typ drei, bei dem Defizite bei den Beziehungen zu Stakeholdern Durchbrüche erschweren.2

 

Erweiterung des klassischen Innovationsmanagement

Das klassische Innovationsmanagement ist auf den wirtschaftlichen Erfolg mit inkrementellen und radikalen Neuerungen gerichtet. Diese „Profit-Orientierung“ erlebt in Zeiten des Klimawandels eine Erweiterung, die immer mehr an Bedeutung gewinnt. Der Treiber der Erweiterung sind Nachhaltigkeitsinnovationen, die zusätzlich zum wirtschaftlichen Erfolg auf einen ökologischen und gesellschaftlichen Nutzen gerichtet sind. Neben die Gewinnmaximierung tritt die Suche nach einem höheren Zweck, oder neudeutsch „Purpose“, der in einem Unternehmensleitbild verankert ist.3

 

In diesem Zusammenhang ist es interessant, dass internationale Konzerne wie die BASF, Bosch und SAP in der Value Balancing Alliance an einem Ansatz arbeiten, der versucht, bei der Bilanzierung Auswirkungen auf die Umwelt, Gesellschaft und Wirtschaft besser zu erfassen.4 Bislang fehlen für die Corporate Social Responsibility (CSR-) Aktivitäten von Unternehmen einheitliche Standards.

Die Umsetzung von Nachhaltigkeitsinnovationen stellt Unternehmen aber vor neue Herausforderungen. Ähnlich wie das Innovationsmanagement erfordert auch das Nachhaltigkeitsmanagement einen integrierten Ansatz. Das nächste große Thema sind dediziert nachhaltigkeitsorientierte Innovationssysteme (DIS).5 Unsere Initiative „Next Level of Innovation“ zielt darauf ab, den Wandel in Richtung auf eine stärkere Nachhaltigkeitsorientierung von Innovationspolitik und Innovationsmanagement zu unterstützen.6 Eine theoretische Grundlage hierfür liefert die evolutionäre Ökonomie, die lange im Schatten der neoklassischen Mainstream-Ökonomie stand.

 

Defizite bei den Beziehungen zu Stakeholdern

Bei Pionieren des Nachhaltigkeitsmanagements, wie z.B. Henkel, ist eine nachhaltigkeitsorientierte Führung und Organisation tief in der Kultur des Unternehmens verankert. Am Anfang der Entwicklungsgeschichte stehen häufig Nachhaltigkeitsinnovationen und das Thema Nachhaltigkeit durchdringt die gesamte Wertschöpfung. Folgerichtig existiert eine kontinuierlich weiterentwickelte Nachhaltigkeitsstrategie, die in Form messbarer Ergebnisse operationalisiert wird.7 Auf dem Weg zu einer nachhaltigen Wertsteigerung haben viele Unternehmen aber Probleme bei der Gestaltung der immer komplexer werdenden Beziehungen zu Stakeholdern in Wirtschaft, Wissenschaft, Gesellschaft, Politik und Justiz. Daher kommt einer Verbesserung des Stakeholder Relationship Management die Rolle eines Game Changers bei Nachhaltigkeitssystemen zu.8

 

Ein typisches Muster des Misslingens geht vom Thema „Not in my backyard“ aus. Während ein Großteil der Bevölkerung erneuerbare Energien begrüßt, wehren sich unmittelbar Betroffene gegen die Ansiedlung von Windenergieanlagen oder Stromleitungen. Der Nimby-Effekt ruft die Politik auf den Plan, die versucht einen Interessenausgleich herzustellen. Gelingt dies nicht, sind die Leidtragenden die Unternehmen, deren Verbreitung von Nachhaltigkeitsinnovationen blockiert wird.

Die Schwierigkeit für Unternehmen liegt unter anderen darin, dass bei neuen Themen wie der fünften Generation des Mobilfunks (5G) oder Künstliche Intelligenz (KI) der Verlauf der „Erregungskurve“ bei Bürgern, die sich gegen innovative Technologien wehren und die Reaktionen der Politik nicht einfach zu prognostizieren sind.

 

Drei Phasen gemeinsamer Lernprozesse

Es stellt sich daher die Frage, wie Unternehmen, die an Nachhaltigkeitsinnovationen arbeiten, ihre Beziehungen zu Stakeholdern systematisch verbessern können. Im Rahmen unserer Projekte haben wir gute Erfahrungen mit gemeinsamen Lernprozessen gemacht, die in drei Phasen ablaufen. In der ersten Phase einer solchen Learning Journey geht es darum, frühzeitig die komplexen Muster von Innovationsbarrieren besser zu verstehen. Danach schaffen die Akteure geeignete Kommunikationsformate, die auf einen Interessenausgleich gerichtet sind. Dies mündet in Phase drei in die Gestaltung leistungsfähiger Innovationsökosysteme ein, in denen Barrieren abgebaut und Potenziale ausgeschöpft werden. Auf diese Weise gelingt eine nachhaltige Wertsteigerung in Innovationsfeldern.

 

Das Leitbild des Sicherheitsanbieters Giesecke+Devrient lautet: Creating Confidence. Ralf Wintergerst, der CEO des Unternehmens, fordert für den digitalen Wandel mehr Vernetzung zwischen Politik und Wirtschaft.9 Dies gilt auch für Nachhaltigkeitsinnovationen, bei denen die Akteure in Co-Creation-Prozessen ein gemeinsames Lernen orchestrieren müssen.

Häufig unterschätzt wird bislang die Bedeutung der ersten Phase, in der es darum geht, mögliche Innovationsbarrieren besser zu verstehen. So ist es im Rückblick erstaunlich, wie lange Auflagen für Smart Meter Gateways des Bundesamtes für Sicherheit in der Informationstechnik (BSI) die breite Einführung neuer Gesellschaftsmodelle in Deutschland verzögert. Ein lokales Beispiel ist das von Tesla geplante neue Werk in Grünheide bei Berlin. Auf Antrag der Grünen Liga Brandenburg stoppte das Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg das Abholzen einer knapp 92 Hektar großen Waldfläche. Der Rodungsstopp gilt so lange, bis über die Eilanträge abschließend entschieden ist.10 Auf diese Weise macht der US-Elektroauto-Hersteller erste Erfahrungen mit dem deutschen Naturschutz. Kritiker sprechen von ökonomischem Analphabetismus und fordern eine Änderung des Verbandsklagerechts.11

Die spannende Frage ist, mit welchen vorhandenen oder neuen Kommunikationsformaten es gelingen kann, die Stakeholder-Beziehungen bei Nachhaltigkeitsinnovationen zu verbessern. Ein Problem ist dabei die zunehmende Polarisierung der Positionen, die es immer schwieriger macht, Zielkonflikte zwischen den Dimensionen einer ökonomischen, ökologischen und sozialen Nachhaltigkeit zu bewältigen. Eine theoretische Grundlage hierfür liefert die Verknüpfung der Theorie komplexer Systeme mit der Erforschung von „wicked“ (boshaften) Problemen.12 Derartige Probleme sind unter anderem dadurch gekennzeichnet, dass es verschiedene Stakeholder gibt, bei deren Werten und Prioritäten gravierende Unterschiede bestehen.13

Bei der Gestaltung leistungsfähiger Innovationsökosysteme besteht die Chance für Europa darin, das Modell einer sozialen und ökologischen Marktwirtschaft weiterzuentwickeln und sich so von anderen Politikmodellen zu differenzieren. Ein Innovationsfeld, bei dem Unternehmen und Politik seit Jahren versuchen, einen Durchbruch zu erzielen, ist die Wasserstoffwirtschaft.14 Es bleibt abzuwarten, ob und wann dieser gelingt. Die Stellungnahme des Verbands der Automobilindustrie (VDA) zur nationalen Wasserstoffstrategie (NWS) der Bundesregierung und zur nationalen Umsetzung der Renewable Energy Directive (REDII) zeigt, dass sich die Politik und ein wichtiger Verband in einen konstruktiven Dialogprozess befinden, der hoffentlich zu weiteren konkreten Maßnahmen führt.

 

Organisatorische Implikationen

Das Innovationsmanagement und das Nachhaltigkeitsmanagement sind heute in der Regel in unterschiedlichen Organisationseinheiten angesiedelt. Beide Einheiten haben komplexe, koordinierende Aufgaben mit großer strategischer Bedeutung für die Unternehmensentwicklung. Außerdem spielen beide Einheiten eine wichtige Rolle bei der Kommunikation mit dem Kapitalmarkt, der Politik und der Öffentlichkeit.

Im Rahmen eines engagierten Wandels zu nachhaltigkeitsorientierten Innovationssystemen konvergieren diese Aufgaben und die Abstimmung zwischen dem Innovations- und dem Nachhaltigkeitsmanagement wird immer wichtiger.

 

Ähnlich wie beim digitalen Wandel stoßen traditionelle Organisationskonzepte bei einer Bewältigung dieser Konvergenz an ihre Grenzen. Eine mögliche Lösung sind evolutionäre Organisationsformen, die darauf gerichtet sind, gemeinsame Lernprozesse mit Kunden und Stakeholdern zu fördern. In unserem Buch „Das Internet der Dinge und Künstliche Intelligenz als Game Changer“ behandeln wir dieses Thema als Baustein eines Management 4.0.15 Die Gestaltung und Befähigung solcher evolutionären Organisationen betrachten wir als wichtiges Feld für die Managementforschung.

 

Literatur

[1] Dohmen, F. et al.: Grüner Blackout. In: Der Spiegel, 4. Mai 2019, S. 12-21

[2] Servatius, H.G.: Game-Changer-Themen meistern. In: Competivation Blog, 07. Januar 2020

[3] Reiman, J.: The Story of Purpose – The Path to Creating a Brighter Brand, a Greater Company and a Lasting Legacy, Hoboken 2013

[4] Fockenbrock, D.: Konzerne gründen Wertallianz. In: Handelsblatt, 19. August 2019

[5] Urmetzer, S., Pyka, A.: Innovation Systems for Sustainability. In: Filho, W.L. et al. (Hrsg.): Encyclopedia of the UN Sustainable Development Goals – Decent Work and Economic Growth, Cham 2019

[6] Competivation: Nachhaltigkeitsinnovationen

[7] Servatius, H.G.: Wettbewerbsvorteile durch die Gestaltung eines Nachhaltigkeitssystems. In: Thomaschewski, D., Völker, R. (Hrsg.), Nachhaltige Unternehmensentwicklung – Herausforderungen für die Unternehmensführung des 21. Jahrhunderts, Stuttgart 2016, S. 27-32

[8] Baugh, A.: Stakeholder Engagement – The Game Changer for Program Management, Boca Raton 2015

[9] Wintergerst, R.: Digitale Probleme meistern. In: Handelsblatt, 13. Februar 2020, S. 48

[10] Neuerer, D.: Gericht bremst Tesla-Projekt aus. In: Handelsblatt, 17. Februar 2020, S. 5

[11] Sigmund, T.: Willkommen in Absurdistan. In: Handelsblatt, 18. Februar 2020, S. 16

[12] Waddock, S. et al.: The Complexity of Wicked Problems in Large Scale Change. In: Journal of Organizational Change Management, 2015, S. 993-1012

[13] Head. B.W., Alford, J.: Wicked Problems – Implications for Public Policy and Management. In: Administration and Society, 2015, S. 711-739

[14] Knitterscheidt, K. et al.: Ein Molekül macht Karriere. In: Handelsblatt, 7./8./9. Februar 2020, S. 40-45

[15] Kaufmann, T., Servatius, H.G.: Das Internet der Dinge und Künstliche Intelligenz als Game Changer – Wege zu einem Management 4.0 und einer digitalen Architektur, Wiesbaden 2020

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