Konnektive Geschäftsmodelle mit Nachhaltigkeitsrisiken und Innovationschancen | Competivation

Das Greenwashing beim Thema ESG lenkt den Blick auf eine verengte Sichtweise von Nachhaltigkeitsrisiken. Besser wäre es, bei der Bewertung von Geschäftsmodellen die Bewältigung von Nachhaltigkeitsrisiken stärker mit der Nutzung von Innovationschancen zu verbinden.

 

In diesem Blogpost erläutern wir ein Vorgehen für die Realisierung von solchen konnektiven (verbindenden) Geschäftsmodellen

 

Greenwashing beim Thema ESG

Die zunehmende Bedeutung der Umwelt (Environment E), sozialer Standards (Social S) und einer verantwortungsvollen Unternehmensführung (Governance G) für die Kapitalmärkte hat dazu beigetragen, dass immer mehr Trittbrettfahrer die uneinheitlichen ESG-Kriterien zum Greenwashing nutzen. So will die US-Finanzaufsicht SEC klären, ob die Fondstochter DWS der Deutschen Bank ein zu positives Bild ihrer nachhaltigen Anlagen gezeichnet hat.

 

Zwar existiert bereits seit 2019 ein Merkblatt der deutschen Finanzaufsicht Bafin zu Nachhaltigkeitsrisiken. Allerdings erwartet die Bafin auch für das Geschäftsjahr 2020 „keine weitergehende Auseinandersetzung und Berichterstattung des Abschlussprüfers dahingehend, wie die von der Bafin beaufsichtigten Unternehmen mit Nachhaltigkeitsrisiken umgehen“.1 Das bedeutet, dass die Banken zunächst einmal die Möglichkeit haben, sich Gedanken über geeignete Methoden und Prozesse zur Bewältigung von Nachhaltigkeitsrisiken zu machen. Somit ist es nicht völlig unwahrscheinlich, dass die Verantwortlichen die bislang vorherrschende verengte Sichtweise von Nachhaltigkeitsrisiken überwinden und verstärkt über die Frage nachdenken, wie sich diese Risiken in Innovationschancen überführen lassen.

 

Verengte Sichtweise beim Management von Nachhaltigkeitsrisiken

Geschäftsmodell-Risiken beschreiben die Möglichkeit von negativen Entwicklungen für ein Unternehmen.2 Zu einem benannten Risiko gehören seine Eintrittswahrscheinlichkeit und ein Schadensausmaß. Beide Kriterien sind bei Nachhaltigkeitsrisiken schwer zu messen. Es besteht aber in der Regel ein Konsens darüber, dass diese Risiken existieren. Zwischen dem Auftreten z.B. von Umweltrisiken und negativen finanziellen Folgen liegt meist eine längere Zeitspanne, in der die schwer prognostizierbare Interaktion zwischen Stakeholdern großen Einfluss auf das Schadensausmaß für ein Unternehmen hat.

 

Aufgabe des Risikomanagements ist es, Risiken zu identifizieren, zu analysieren und zu bewerten. Auf dieser Grundlage erfolgt dann ein koordinierter Einsatz von Ressourcen zur Beobachtung, Minderung und Bewältigung der Risiken. Aus der Bewältigung von Risiken können sich Chancen ergeben, deren Nutzung zu Wettbewerbsvorteilen führt. 3

 

Die traditionelle Sichtweise von Nachhaltigkeitsrisiken ist verengt, da die meisten Ansätze keine explizite Verbindung zu Innovationschancen herstellen. Dies gilt auch für ESG-Ratings, bei denen ja die Governance-Komponente die Möglichkeit böte, Innovationsansätze z.B. zur Bewältigung von Umweltrisiken zu thematisieren. In den vorhandenen ESG-Konzepten sucht man solche verbindenden Überlegungen jedoch meist vergeblich.

 

Nachhaltigkeitsrisiken in Innovationschancen überführen

Wir haben diese unbefriedigende Situation zum Anlass genommen, eine Geschäftsmodell-Typologie zu entwickeln, die das Ziel verfolgt, Nachhaltigkeitsrisiken in Innovationschancen zu überführen. Dabei wird unterschieden, ob in einem Geschäftsmodell die Nachhaltigkeitsrisiken und Innovationschancen gering oder groß sind. Es ergibt sich eine idealtypische Vierfelder-Matrix, die wir kurz anhand von Beispielen erläutern.

 

Lernprozess Innovationsstrategie

 

In der Matrix links unten sind relativ stabile Geschäftsmodelle mit geringen Nachhaltigkeitsrisiken und geringen Innovationschancen positioniert. Ein Beispiel für ein solches stabiles Geschäftsmodell liefert das Handwerk, wo zwar ein intensiver Kosten- und Qualitätswettbewerb herrscht, die Themen Nachhaltigkeit und Innovation aber eine geringere Bedeutung haben als in anderen Branchen.

 

Daneben gibt es innovationsintensive Geschäftsmodelle mit großen Innovationschancen und geringen Nachhaltigkeitsrisiken. Ein Beispiel ist die Softwarebranche, in der von Digitalgiganten und Start-ups eine erhebliche Disruptionsgefahr für etablierte Unternehmen ausgeht. Mit Hilfe einer innovativen CO2-Analyse-Software z.B. von SAP ist es möglich, die CO2-Emissionen von Unternehmen zu messen und so eine wichtige Lücke in der Nachhaltigkeits-berichterstattung zu schließen.4

 

Im Mittelpunkt der öffentlichen Diskussion stehen gegenwärtig gefährdete Geschäftsmodelle, wie die Kohle- und Ölförderung, die durch große Nachhaltigkeitsrisiken und relativ geringe Innovationschancen gekennzeichnet sind. Kapitalkräftige Akteure, die diese Risiken erkannt haben, planen eine Diversifikation z.B. in erneuerbare Energien.

 

Das spannendste Feld in unserer Typologie sind die konnektiven Geschäftsmodelle mit großen Nachhaltigkeitsrisiken, aber auch großen Innovationschancen. Hierzu gehören z.B. Mobilitätskonzepte auf der Basis neuer Technologien und die Dekarbonisierung der Stahl-, Zement-, und Chemieindustrie. So setzt der Kunststoffhersteller Covestro seinen Umbau in Richtung Kreislaufwirtschaft fort und plant die Herstellung von Dämmstoffen für Gebäudefassaden mit einem um 35 Prozent verringerten Kohlendioxid-Ausstoß.5 Die Erreichung ehrgeiziger Klimaziele wird entscheidend von der erfolgreichen Realisierung dieser verbindenden Geschäftsmodelle abhängen, die Nachhaltigkeitsrisiken in Innovationschancen überführen.

 

Übergang zu einem konnektiven Geschäftsmodell

Ein weiteres Beispiel für den notwendigen Übergang von einem gefährdeten zu einem konnektiven Geschäftsmodell liefert Heidelbergcement, ein Konzern mit 18 Milliarden Euro Umsatz, der beim Treibhausgasausstoß im Dax 40 Platz zwei belegt. Abhilfe schaffen soll nun Nicola Kimm als neuernanntes Vorstandsmitglied für Nachhaltigkeit.6

 

Die Aufgabe ist anspruchsvoll. Neben dem Einsatz von alternativen Brennstoffen in Zementfabriken erprobt Heidelbergcement in Norwegen ein innovatives Verfahren, bei dem das anfallende Kohlendioxid abgeschieden, aufgefangen und in alte Öl- und Gasfelder unter der Nordsee gepresst wird. Der norwegische Staat fördert die neue Anlage mit 250 Millionen Euro. In Deutschland und vielen anderen Ländern ist die unterirdische Speicherung des Treibhausgases bislang politisch aber nicht durchsetzbar. Daher ist noch offen, welches nachhaltige Geschäftsmodell sich in der Zementindustrie mittelfristig durchsetzen wird. Das Beispiel zeigt, wie wichtig die Interaktion mit relevanten Stakeholdern ist.7

 

Bewältigung von Nachhaltigkeitsrisiken mit Innovationen

Die Bewältigung von Nachhaltigkeitsrisiken mit Innovationen erfordert ein systematisches Vorgehen, das das Nachhaltigkeitsmanagement mit dem Innovationsmanagement verbindet.8

 

Den Ausgangspunkt bildet die Identifikation, Analyse und Bewertung der Nachhaltigkeitsrisiken eines Geschäftsmodells z.B. anhand der Kriterien Eintrittswahrscheinlichkeit und Schadenshöhe. Hieran schließt sich eine Ableitung möglicher Ansätze zur Minderung und Bewältigung der Risiken an. Im dritten Schritt geht es dann um die Umsetzung und Erfolgskontrolle geeigneter Maßnahmen.

 

Lernprozess Innovationsstrategie

 

Ein möglicher Ansatz zur Bewältigung von Nachhaltigkeitsrisiken sind Innovationen. Hierbei liegt die Chance für Unternehmen darin, sich als Nachhaltigkeitspionier zu positionieren und so Wettbewerbsvorteile zu erzielen. Der erste Schritt ist daher die Identifikation von Innovationsmöglichkeiten zur Risikobewältigung.

 

Ein Beispiel liefert die Stahlindustrie. Schätzungen gehen davon aus, dass die Senkung der CO2-Emission in der deutschen Stahlproduktion bis 2030 Finanzmittel in Höhe von 13 bis 35 Milliarden Euro erfordert. Ein mögliches Instrument zur Finanzierung sind Klimaschutzverträge (Carbon Contracts for Difference CCFD) zwischen der öffentlichen Hand und den Unternehmen.9 Die nächste Bundesregierung wird sich mit der konkreten Ausgestaltung eines Handlungskonzepts Stahl beschäftigen müssen. Das Beispiel zeigt, dass die Nutzung von Innovationschancen eine verbesserte Zusammenarbeit von Wirtschaft, Wissenschaft, Politik und Gesellschaft erfordert. Public-Private Partnerships sind ein Erfolg versprechendes Konzept für eine solche Zusammenarbeit.

 

Die Aufgabe dieser Public-Private Partnerships ist die Konzeption, Umsetzung und Erfolgskontrolle von nachhaltigkeitsorientierten Innovationsprogrammen. Eine wichtige Aufgabe für eine neue deutsche Bundesregierung wird es sein, die politischen Rahmenbedingungen für derartige Programme zu gestalten.

 

Ein Connective Management schafft Arbeitsplätze und ermöglicht eine nachhaltige Wertsteigerung

Die verbindende Betrachtung von Nachhaltigkeitsrisiken und Innovationschancen ist ein weiteres wichtiges Anwendungsfeld eines Connective Managements.10 Für Unternehmen erfordert dies eine engere Zusammenarbeit der mit den Themen Nachhaltigkeit, Risikomanagement, Innovation und Strategie beschäftigten Organisationseinheiten. Darüber hinaus ist die Kooperation mit Kunden, Wertschöpfungspartnern und dem öffentlichen Sektor erfolgsentscheidend. Wichtige Ziele sind die Schaffung von neuen Arbeitsplätzen und eine nachhaltige Wertsteigerung mit Innovationen.

 

Ein Beispiel hierfür ist die Produktion von Batteriezellen in Europa. So plant die BASF weltweit Investitionen von weiteren 3,5 bis 4,5 Milliarden Euro in den Ausbau der Batteriechemie. Der Spezialist für Kathodentechnologie möchte mit verbesserten Lithium-Ionen-Batterien die Reichweite von Elektroautos verbessern.11 Das Beispiel verdeutlicht, dass die Bewältigung von Nachhaltigkeits- oder ESG-Risiken eine neue Phase erreicht hat. In dieser Phase wird die einseitige Fokussierung auf Risiken durch eine Betrachtung der Chancen von Nachhaltigkeitsinnovationen ergänzt. Das Connective Management liefert hierfür einen geeigneten Ordnungsrahmen.

 

Fazit

  • Das bisherige Vorgehen bei der Bewältigung von Nachhaltigkeits- oder ESG-Risiken steht auf dem Prüfstand
  • Neue Ansätze sollten stärker die Verbindung von Nachhaltigkeitsrisiken mit Innovationschancen berücksichtigen
  • In konnektiven Geschäftsmodellen sind sowohl die Nachhaltigkeitsrisiken als auch die Innovationschancen groß
  • Ein systematisches Vorgehen zur Realisierung von Nachhaltigkeits-innovationen erfordert eine verbesserte Zusammenarbeit von Wirtschaft und Politik
  • Das Connective Management fördert Verbindungen zwischen Managementsystemen, Sektoren und den verantwortlichen Akteuren

 

 

Literatur

[1] Holtermann, F., Osman, Y.: Immer wieder Aufschub in Sachen Nachhaltigkeit. In: Handelsblatt, 23. September 2021, S. 28-29

[2] Servatius, H.G.: Analyse des Geschäftsmodell-Portfolios und Verbesserung des Risikomanagements. In: Competivation Blog, 19.11.2020

[3] Hubbard, D.W.: The Failure of Risk Management – Why it’s Broken and How to Fix it, 2. Aufl., Hoboken 2020

[4] Holzki, L., Kerkhoff, C.: Die Vermessung der Klimasünden. In: Handelsblatt, 27. September 2021, S.18-19

[5] Fröndhoff, B.: Milliarden in Green-Tech. In Handelsblatt, 29. September 2021, S. 16-17

[6] Werres, T.: Risse im Beton. In: Manager Magazin, Oktober 2021, S.68-71

[7] Servatius, H.G.: Nachhaltige Geschäftsmodelle durch eine verbesserte Stakeholder-Interaktion. In: Competivation Blog, 11.04.2018

[8] Hargadon, A.: Sustainable Innovation – Build Your Company’s Capacity to Change the World, Stanford 2015

[9] Stratmann, K.: Letzte Chance für die Stahlindustrie. In: Handelsblatt, 30. September 2021, S. 6-7

[10] Servatius, H.G.: Komplexitätsbewältigung als Treiber eines Connective Managements. In: Competivation Blog, 31.03.2021

[11] Fröndhoff, B., Witsch, K.: Batterie-Boom in Europa. In: Handelsblatt, 1./2./3. Oktober S. 18-19

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