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Nachhaltigkeitsorientiertes strategisches Management

Nachhaltigkeitsorientiertes strategisches Management

Die dritte Entwicklungsstufe eines nachhaltigkeitsorientierten strategischen Managements (Strategie 3.0) baut auf der ersten, markt- und finanzorientierten Stufe und der zweiten, technologie- und innovationsorientierten Stufe auf und entwickelt diese weiter. Der angesichts des Klimawandels zunehmenden Bedeutung des Themas Nachhaltigkeit stehen veränderte politische Bedingungen für den Klimaschutz gegenüber. Europa muss die Herausforderung meistern, seine ambitionierte Klimapolitik besser mit einer Erzielung von Wettbewerbsvorteilen für die heimische Wirtschaft zu verbinden.

 

In diesem Blogpost erläutere ich die Grundlagen und Charakteristika eines strategischen Nachhaltigkeitsmanagements und gehe auf das komplexe Verhältnis zwischen Management und Politik ein.

 

Veränderte politische Bedingungen für den Klimaschutz

Die politikwissenschaftliche Schule von Strategieprozessen hat eine lange Entwicklungsgeschichte, die für das Thema Nachhaltigkeit von besonderer Bedeutung ist. Diese Schule betrachtet die Entstehung von Strategien als Verhandlungsprozess, dessen Ergebnis stark von der Macht, Legitimität und Dringlichkeit relevanter Stakeholder abhängt.1

Seit der Wahl zum Europäischen Parlament im Jahr 2019 haben sich die politischen Bedingungen für den Klimaschutz verändert. Ein zentrales Versprechen der EU-Kommission war der „Green Deal“, der den Kontinent für das industrielle Wettrennen mit China und den USA fit machen sollte. Diese Erwartungen haben sich aus einer Reihe von Gründen nur zum Teil erfüllt. In Deutschland steht insbesondere das 2024 in Kraft getretene Gebäudeenergiegesetz (GEG) für eine ideologische Politik, die die Sorgen vieler Menschen verstärkt.2

Bei der diesjährigen Wahl zum europäischen Parlament musste die Fraktion Die Grünen / Europäische Freie Allianz große Verluste hinnehmen. Die Europäische Volkspartei (EVP) wurde wieder zur stärksten Fraktion. Nach ihrer Wiederwahl hat die EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen angekündigt, ihre oberste Priorität gelte der Wettbewerbsfähigkeit der europäischen Wirtschaft. Hierzu will sie einen „Clean Industrial Deal“ vorlegen, der die Rahmenbedingungen für Unternehmen verbessert. Die Klimaschutzgesetzgebung, die ihre erste Amtszeit geprägt hat, solle wirtschaftsfreundlicher gestaltet werden.3 Diese Entwicklung verdeutlicht den Einfluss der Politik auf das Nachhaltigkeitsmanagement.

 

Komplexes Verhältnis zwischen Management und Politik

Das Thema Nachhaltigkeit ist in den letzten Jahrzehnten durch ein komplexes Verhältnis zwischen Management und Politik geprägt. Diese Komplexität resultiert zum einen aus dem breiten Spektrum des Nachhaltigkeitsmanagements von Unternehmen, das von passiv bis aktiv reicht. Darauf reagieren die nachhaltigkeitsorientierten Politikfelder mit unterschiedlichen Ansätzen, die einen fördernden und einen regulierenden Charakter haben können. Hieraus ergeben sich unterschiedliche Verhaltensmuster.

Lernprozess Innovationsstrategie

Die europäische Politik setzt seit einigen Jahren auf eine strenger regulierte Nachhaltigkeitsberichterstattung, um passive Unternehmen zu einer Verhaltensanpassung zu bewegen. Dabei besteht die Gefahr einer zu starken Bürokratisierung, die insbesondere von aktiven Unternehmen als unnötige Barriere wahrgenommen wird.

Gleichzeitig praktiziert die Politik in Industrieländern unterschiedliche Formen der Förderung von Nachhaltigkeit sowohl auf der Angebots- als auch auf der Nachfrageseite. Diese zielen auf Nachhaltigkeitsinnovationen zur Bewältigung des Klimawandels ab. Während die deutsche Politik z.B. bei erneuerbaren Energien vor allem die Nachfrageseite mit Steuergeldern gefördert hat, baut die chinesische Politik systematisch einheimische Weltmarktführer auf, die versuchen, ausländische Konkurrenten zu verdrängen. Dieses Muster hat zu einer zunehmenden Abhängigkeit Europas beigetragen. Da die europäische Politik gleichzeitig das Nachhaltigkeitsbewusstsein fördert, sehen sich die Kunden in einigen Feldern mit einem geringer werdenden europäischen Angebot konfrontiert. Angesichts dieser Situation erscheint eine strategische Neuausrichtung der europäischen Nachhaltigkeitspolitik und des Nachhaltigkeitsmanagements erforderlich.

Bevor wir uns näher mit den Charakteristika einer solchen Neuausrichtung beschäftigen, möchte ich die Grundlagen eines strategischen Nachhaltigkeitsmanagements skizzieren, dass wir als dritte Entwicklungsstufe des strategischen Managements (Strategie 3.0) betrachten.

 

Grundlagen in Technik, Gesellschaft, Politik und Wirtschaft

Diese dritte Stufe hat sich aus einem Thema für Spezialisten entwickelt, dessen Grundlagen in Technik, Gesellschaft, Politik und Wirtschaft entstanden sind. Relativ wenig bekannt ist, dass das Konzept der Nachhaltigkeit in Europa seine Wurzeln in der Forstwirtschaft hat. So schreibt die Kursächsische Forstordnung von 1560 vor, dass Bäume, die abgeholzt werden, nachgepflanzt werden müssen. Im Zuge der industriellen Revolution hat das Prinzip, eine Ressourcenbasis nicht zu erschöpfen, aber einen Bedeutungsverlust erlebt.

Ebenfalls eine lange Entwicklungsgeschichte hat die natur- und ingenieurwissenschaftliche Disziplin der Umwelttechnik. Den Markt für Umwelttechnik (GreenTech) gliedert das deutsche Umweltministerium in die Segmente:4

  •  Umweltfreundliche Erzeugung, Speicherung und Verteilung von Energie
  •  Energieeffizienz
  •  Rohstoff- und Materialeffizienz
  •  nachhaltige Mobilität
  •  Kreislaufwirtschaft
  •  nachhaltige Wasserwirtschaft sowie
  •  nachhaltige Agrar- und Forstwirtschaft.

Diese Segmentierung liefert eine erste Orientierung des sich dynamisch verändernden GreenTech-Marktes.

Den freiwilligen Beitrag der Wirtschaft zu einer nachhaltigen Entwicklung beschreibt der Begriff Corporate Social Responsibility (CSR). Das Konzept ist in den 1920er Jahren in den USA entstanden und hat seit den 1950er Jahren und 1960er Jahren an Bedeutung gewonnen. Die Europäische Union (EU) beschäftigt sich seit 2001 mit dem Thema und hat hierzu 2014 eine Richtlinie erlassen, die 2017 in deutsches Recht umgesetzt worden ist. Bereits 2010 wurde die ISO-Norm 26000 „Guidance Social Responsibility“ verabschiedet, die den Charakter einer Leitlinie hat.5 Die Kritik an Corporate Social Responsibility ist, das CSR-Konzept spiele für viele Unternehmen nur eine untergeordnete Rolle und diene primär der Image-Verbesserung.

Wichtige Impulse für das Thema Nachhaltigkeit sind von Umweltorganisationen wie dem Club of Rome ausgegangen. Im Auftrag dieses 1968 gegründeten Expertennetzwerks entstand 1972 der Bericht „Grenzen des Wachstums“, der im Zuge der Ölkrisen der 1970er Jahre eine große Bedeutung erlangte.6 Die Publikation basiert auf der von dem MIT-Professor Jay Forrester entwickelten System-Dynamics-Methode, mit deren Hilfe komplexe Wirkungszusammenhänge in dynamischen Systemen analysiert werden. Auf eine Mobilisierung der breiten Öffentlichkeit zielen die zum Teil spektakulären Aktivitäten der 1971 in Kanada gegründeten Kampagnen-Organisation Greenpeace ab.

1983 gründeten die Vereinigte Nationen (UN) die World Commission on Environment and Development (WCED). Deren Perspektivbericht „Our Common Future“ (Brundtland Bericht) lieferte 1987 eine wichtige Leitbildbeschreibung zum Thema nachhaltige Entwicklung (Sustainable Development). Im Mittelpunkt steht dabei das Thema der intergenerativen Gerechtigkeit.7 Die UN-Konferenz in Rio de Janeiro führte 1992 erstmals global ein Recht auf nachhaltige Entwicklung ein, für deren Umsetzung allerdings die einzelnen Staaten verantwortlich sind. 2015 formulierte die UN mit den Sustainable Development Goals 17 globale Herausforderungen für Staaten und Unternehmen.

Zu einem zentralen Nachhaltigkeitsthema ist in den letzten Jahrzehnten der Klimawandel geworden. Eine wichtige Orientierung lieferte ein 2007 von Nicholas Stern herausgegebener Bericht, der versucht, die weltweiten wirtschaftlichen Schäden zu berechnen, die entstehen, wenn die Menschheit nichts gegen den Klimawandel unternimmt. Stern beziffert die Schäden bis 2100 auf 5,5 Billionen Euro pro Jahr.8 Diese dramatische Zahl hat zu einer Mobilisierung der Politik und der Formulierung ehrgeiziger Nachhaltigkeitsziele beigetragen, um den Klimawandel zu bewältigen.

Ende der 1990er Jahre ist die Unterscheidung zwischen den drei Nachhaltigkeits-dimensionen Ökonomie, Ökologie und Soziales entstanden, die die traditionelle Fokussierung von Unternehmen auf die wirtschaftliche Dimension erweitert.9 Diese Erweiterung gibt aber keine befriedigende Antwort auf die Frage, wie Zielkonflikte zwischen den Dimensionen zu meistern sind. Inzwischen ist Nachhaltigkeit zu einem Modewort mit unklarer Bedeutung geworden. Dazu trägt die gleichzeitige Verwendung des Begriffs im Sinne der ursprünglichen Bedeutung „dauerhaft“ bei. Außerdem unterscheiden viele Nutzer des Begriffs nicht zwischen ökologisch und nachhaltig.

Diese begriffliche Unklarheit wird durch die ESG-Kriterien weiter verstärkt. Dabei steht die Abkürzung ESG für Ecology, Social and Governance. Die Schnittmenge zwischen den Nachhaltigkeitsdimensionen und dem ESG-Konzept liegt also bei den Dimensionen Ökologie und Soziales. Die wirtschaftliche Dimension wird beim ESG-Konzept hingegen auf den Aspekt Governance verengt. Auch das Thema ESG hat eine längere Entwicklungsgeschichte. Ein wichtiger Impuls ist 2004 von dem Bericht  „Who Cares Wins“ ausgegangen, den Finanzinstitute im Auftrag der UN publiziert haben. Das ESG-Konzept hat in den letzten Jahren eine zunehmende Bedeutung im Finanzmarkt erlangt.10 Bewertungen basieren häufig auf der Analyse von Rating-Agenturen, die allerdings unterschiedliche Kriterien verwenden. Diese methodischen Defizite haben zu einer Reihe von Greenwashing-Skandalen beigetragen, die Anleger verunsichern.

Lernprozess Innovationsstrategie

Aus dem Zusammenwirken dieser Grundlagen ist die dritte Entwicklungsstufe eines nachhaltigkeitsorientierten strategischen Managements entstanden,11 deren Charakteristika ich im Folgenden erläutern möchte. Eine wichtige Erkenntnisquelle sind dabei Pioniere mit einer glaubwürdigen Nachhaltigkeitsstrategie, von denen andere Organisationen lernen können.

 

Fokus auf eine glaubwürdige Nachhaltigkeitsstrategie

Den Ausgangspunkt für unser 1994 erschienenes Buch „Die Zukunft des Autos hat erst begonnen – Ökologisches Umsteuern als Chance“ bildete die Vision von Führungskräften eines großen Automobil-Unternehmens.12 Leider konnten diese ihre innere Überzeugung damals nicht umsetzen, und die Entwicklung nahm einen anderen Verlauf. Toyota führte erfolgreich seinen Hybridantrieb ein und sehr viel später wurde Tesla zu einem Vorreiter bei Batterien und der Digitalisierung. Was andere von diesen Pionieren lernen können ist, dass es auch beim Thema Nachhaltigkeit darauf ankommt, Technologien als Mittel zur Befriedigung von Kundenbedürfnissen zu nutzen. Diese Lead User sind häufig bereit, für glaubwürdige Nachhaltigkeitsversprechen eine Preisprämie zu bezahlen.

Ein Beispiel für ein Unternehmen mit einer erfolgreich umgesetzten, glaubwürdigen Nachhaltigkeitsstrategie ist Werner & Mertz, der Mainzer Hersteller von Reinigungsmitteln und seiner bekannten Marke Frosch.13 In der folgenden Abbildung habe ich vier Gründe für den Erfolg des Unternehmens beim Thema Nachhaltigkeit zusammengefasst.

Lernprozess Innovationsstrategie

Viele Nachhaltigkeitspioniere sind Familienunternehmen, deren Gesellschafter aus innerer Überzeugung von der Notwendigkeit eines glaubwürdigen Nachhaltigkeits-managements aktiv werden. Reinhard Schneider, der Vorsitzende der Geschäftsführung von Werner & Mertz, beschreibt, wie seine Vision, das Unternehmen ökologischer zu gestalten, aus einer wirtschaftlichen Krisensituation entstanden ist.

Bekannt geworden ist die Marke Frosch vor allem durch das mechanische Recycling von Verpackungsmüll als direktester Form einer Kreislaufwirtschaft. Hierzu startete Werner & Mertz 2012 gemeinsam mit Partnern seine Rezyklat-Initiative. Das Unternehmen schreibt hierzu auf seiner Website: „Ein Großteil unserer Verpackungen besteht mittlerweile zu 100% aus Rezyklat, davon zwischen 75-100% aus haushaltsnahen Sammlungen wie dem Gelben Sack – der Rest stammt aus der europäischen Pfandflaschensammlung.“

Von zentraler Bedeutung ist für Reinhard Schneider eine kritische Haltung gegenüber zahlreichen Ablenkungsfallen, mit denen ein Netzwerk von Akteuren Nachhaltigkeit bloß vortäuscht. Ein Beispiel sind die Tricks beim Greenwashing. Hierzu gehört auch die Verwendung des Begriffs „klimaneutral“ für eine Förderung fremder Maßnahmen, die in keinem Zusammenhang zur eigenen Wertschöpfung stehen.

Studien zeigen, dass die Marke Frosch herausragende Vertrauensprämien bei relevanten Stakeholdern erzielt. Insofern zahlen sich Glaubwürdigkeit und ein Handeln aus Überzeugung langfristig aus. Offensichtlich kann Nachhaltigkeit sinnstiftend wirken, was die eigenen Mitarbeitenden und Kunden als Belohnung empfinden.

Derartige Vertrauensprämien lassen sich am besten erzielen, wenn ein Unternehmen sein Nachhaltigkeitsmanagement als verbundenes System betrachtet.

 

Verbundene Handlungsfelder des Nachhaltigkeitssystems eines Unternehmens

Nachhaltigkeitspioniere haben frühzeitig einen integrierten Ansatz verfolgt und erkannt, dass das Nachhaltigkeitssystem eines Unternehmens aus verbundenen Handlungsfeldern besteht.14 In diesem Punkt ähneln sich das Nachhaltigkeits- und das Innovationsmanagement. Auch beim Nachhaltigkeitsmanagement liegt die Herausforderung in der Verbindung dieser Handlungsfelder, die ich kurz erläutern möchte.

Lernprozess Innovationsstrategie

Die Basis für das Schaffen und Verbessern eines solchen integrierten Systems bildet die Umsetzung einer glaubwürdigen Nachhaltigkeitsstrategie. Diese Strategie ist auf die Gestaltung von nachhaltigen Geschäftsmodellen gerichtet. Dabei können Geschäftsmodellmuster Anregungen liefern.

Wichtige Impulse gehen von Unternehmen der Umwelttechnik und zunehmend auch von Digital-Unternehmen aus, die zusammen mit ihren Kunden Nachhaltigkeits-innovationen realisieren. Hierbei kommt es auf das Zusammenwirken von Akteuren aus Politik, Wissenschaft, Wirtschaft und Gesellschaft in Stakeholder-Ökosystemen an. Diese Stakeholder-Ökosysteme stehen in einem härter werdenden internationalen Wettbewerb.

Die Politik beeinflusst die Rahmenbedingungen für eine nachhaltige Wertschöpfung an den jeweiligen Standorten. Dabei nimmt auch beim Thema Nachhaltigkeit die Bedeutung der Künstlichen Intelligenz (KI) zu. Aufgabe des Unternehmens ist es, mit einem vertrauensbildenden Marketing Kunden langfristig zu binden.

Im Hinblick auf die Wertsteigerung von Unternehmen wird eine integrierte Nachhaltigkeitsberichtserstattung immer wichtiger. Die neue Corporate Sustainable Reporting Directive (CSRD) der Europäischen Union (EU) steht im internationalen Wettbewerb mit anderen Reporting-Systemen.

Je nach Ausgangssituation erfolgt der Wandel zu einer nachhaltigkeitsorientierten Personalführung und Kultur unterschiedlich. Erfolgreiche Pionierunternehmen bevorzugen einen evolutionären Wandel in Form gemeinsamer Lernprozesse. Nachhaltigkeitsgegner versuchen eher, mit Hilfe der erwähnten Ablenkungsfallen den Wandel zu blockieren. Ein Gegenmittel ist die Entwicklung von Nachhaltigkeits-kompetenz bei allen Stakeholdern.

Auf dem Weg von einer nicht mehr zeitgemäßen bürokratischen Silo-Organisation zu einem agilen, verbundenen Unternehmen kann von dem Thema Nachhaltigkeit eine sinnstiftende Wirkung in der gesamten Organisation ausgehen. Insofern eröffnet das strategische Nachhaltigkeitsmanagement neue Wege zu Erzielung von Wettbewerbsvorteilen.

Eine Disruptionswirkung geht dabei von innovativen Technologien und nachhaltigen Geschäftsmodellen aus.

 

Mit innovativen Technologien zu nachhaltigen Geschäftsmodellen

Eine Herausforderung für spezialisierte Umwelttechnik-Anbieter liegt in der Verbindung von grünen Technologien mit digitalen Querschnittstechnologien. So prognostiziert die Boston Consulting Group in einer noch vor dem Boom um die generative Künstliche Intelligenz erstellten Studie, dass der Markt für Digital GreenTech von 2020 bis 2027 jährlich um 25 bis 30 Prozent auf 45 bis 55 Milliarden US-Dollar wachsen wird.15 Angesichts der Schwächen etablierter Unternehmen bei der Digitalisierung ist zu erwarten, dass neben Start-ups vor allem die Digitalgiganten besonders stark an diesem Marktwachstum partizipieren werden. Ein Beispiel liefert das autonome Fahren.

Im Wettbewerb um die weltweite Führungsposition liegt gegenwärtig die Alphabet-Tochter Waymo gut im Rennen. So startete Waymo 2020 in einem Randbezirk von Phoenix (USA) einen fahrerlosen Robotaxidienst und ist seit Oktober 2023 im gesamten Stadtgebiet von San Francisco mit Elektrofahrzeugen von Jaguar unterwegs. Die mit erheblichen Investitionen verbundene Vision des Google-Gründers Larry Page könnte sich in absehbarer Zeit auszahlen. Die Frage ist, wann dieses Geschäftsmodell auch finanziell erfolgreich sein wird.16

Erstaunlicherweise haben die verbreiteten Konzepte zur Beschreibung von innovativen Geschäftsmodellen das Thema Nachhaltigkeit lange Zeit ausgeblendet.17 Ein Sustainable Business Model Canvas bildet die Kommunikationsgrundlage für die Nachhaltigkeitsthemen eines Unternehmens. Neben den Wirkungen auf die Umwelt und Gesellschaft sind darin weitere nachhaltigkeitsrelevante Bausteine enthalten.

Besonders relevant erscheinen z.B. bei der Energie- und Mobilitätswende die Bausteine18

  •  politische und rechtliche Rahmenbedingungen und
  •  Interaktion mit Stakeholdern.

Eine gemeinsame Kommunikationsgrundlage kann einen wichtigen Beitrag zur Zusammenarbeit der Akteure leisten. Dies gilt insbesondere auch für die öffentliche Förderung von entstehenden Volumengeschäften.

 

Marktführerschaft in Volumengeschäften durch öffentliche Förderung

In der ersten Entwicklungsstufe eines markt- und finanzorientierten strategischen Managements lag ein Fokus auf der Nutzung von Erfahrungskurveneffekten zur Erreichung der Marktführerschaft in Volumengeschäften.19 Dieses strategische Verhaltensmuster erlebt beim Nachhaltigkeitsmanagement eine Neuinterpretation. Eine wichtige Rolle spielt dabei die Politik, die die Forschung und Entwicklung bei Erfolg versprechenden Technologien fördert, Anwendungen mit öffentlichen Mitteln unterstützt und Unternehmen subventioniert. Ein klassisches Lehrstück, aus dem Deutschland lernen kann, wie es besser geht, liefert die Solarindustrie.

So ist aufgrund des Erneuerbare-Energien-Gesetzes (EEG) die Anwendung der relevanten Produkte in Deutschland mit einem dreistelligen Milliardenbetrag gefördert worden. Davon haben auch deutsche Hersteller profitiert, und eine Zeitlang war die deutsche Solarindustrie weltweit führend. Diese Erfolgsphase dauerte aber nur so lange, bis subventionierte asiatische Wettbewerber die deutschen Anbieter in einem harten Preiswettbewerb allmählich verdrängt haben. Heute kommen rund 86 Prozent der in Deutschland eingesetzten Solaranlagen von chinesischen Herstellern.

Mit dem Rekordausbau der Photovoltaik steigt die Gefahr von instabilen Netzsituationen. Schlimmstenfalls kann es zu lokalen Stromausfällen kommen. Deshalb sollten Neuanlagen endlich mit intelligenten Mess-Systemen ausgestattet werden.20 Der Einsatz dieser Smart Meter in Verbindung mit dynamischen Stromtarifen hat sich in Deutschland immer wieder verzögert. Das Beispiel zeigt, dass eine bessere Abstimmung zwischen politischen Rahmenbedingungen und miteinander in Verbindung stehenden Geschäftsmodellen dringend notwendig wäre. Hierauf haben wir bereits in unserem 2010 erschienenen Buch Smart Energy hingewiesen.21

Eine etwas andere Situation liegt bei der Elektromobilität vor. Die Pionierrolle ist hier von dem US-Unternehmen Tesla ausgegangen. Die europäische Politik hat die Autohersteller zwar mit harten Zielvorgaben unter Druck gesetzt. Der Großteil der Batterien kommt aber von asiatischen Herstellern. Damit ist eine erhebliche Abhängigkeit entstanden. Die heimische Automobilindustrie wünscht sich für die Herstellung von Batteriezellen zwar europäische Lösungen. Gegenwärtig verzögert sich aber der Bau einiger Werke.22

Die Beispiele zeigen, dass es in Europa bei der Zusammenarbeit von Politik, Wissenschaft, Wirtschaft und Gesellschaft erhebliche Defizite gibt. Die weltweite Marktführerschaft in GreenTech-Volumengeschäften lässt sich aber nur mit leistungsfähigen Stakeholder-Ökosystemen erreichen. Dies gilt ebenfalls für die Erschließung neuer grüner Wachstumsfelder.

 

Erschließung neuer grüner Wachstumsfelder

Das Venture-Capital-Unternehmen Kleiner Perkins sieht bei dem Ziel Null Treibhausgasemissionen bis 2050 die folgenden sechs Prioritäten: 23

  •  Elektromobilität
  •  erneuerbare Energien
  •  grüne Landwirtschaft
  •  Regenwald und Ozeane
  •  energieintensive Produktion sowie
  •  die Entnahme von CO2 aus der Atmosphäre und Speicherung.

Das wirtschaftliche Potenzial der Carbon Dioxide Removal (CDR) ist erheblich, wurde aber lange Zeit unterschätzt. Mittlerweile gibt es einen breiten Konsens, dass CDR ein zur CO2-Reduktion komplementärer Ansatz ist. Für die deutsche Industrie interessant sind die Möglichkeiten, die sich hier für den Maschinen- und Anlagenbau, aber auch für Start-ups bieten.24

Auch dieses Beispiel zeigt, dass jedes einzelne der grünen Wachstumsfelder und der GreenTech-Sektor insgesamt besser koordinierte Programme im Rahmen einer europäische Nachhaltigkeitsstrategie erfordern. Es wird interessant sein zu beobachten, inwieweit die neue EU-Kommission der Forderung nach einer Ergänzung ihres „Green Deals“ um eine industriepolitische Dimension nachkommt. Diese Forderung resultiert unter anderem aus der Sorge der Wirtschaft, die neuen Ansätze zur Nachhaltigkeitsberichterstattung würden Unternehmen überfordern.

Diese Sorge betrifft die Kernfrage, die sich eine Reihe von Branchen stellen, nämlich, wie sie die Herausforderung bewältigen können, die aus den Zielkonflikten zwischen wirtschaftlichen, ökologischen und sozialen Nachhaltigkeitsdimensionen resultieren und wie der evolutionäre Wandel zu nachhaltigen Unternehmen gelingt.

 

Evolutionärer Wandel zu nachhaltigen Unternehmen

In den meisten Branchen ist der Wandel zu nachhaltigen Unternehmen ein komplexer, langfristiger Prozess, der abgestimmte Aktivitäten in einer Reihe verbundener Handlungsfelder erfordert. Daher ist die häufig politisch motivierte Vorstellung von einer kurzfristigen „grünen Transformation“ unrealistisch. Obwohl diese Transformationsversuche meist scheitern, erfreut sich das Schlagwort Transformation immer noch einer großen Verbreitung.25

Eine wichtige Grundlage für den erfolgreichen Wandel in Richtung Nachhaltigkeit sind realistische und verlässliche politische Strategien für Technologien und Branchen. Diese können einen zeitlichen Rahmen enthalten, der aber nicht den Charakter von starren Zielvorgaben haben sollte. Das Beispiel des europäischen Übergangs zur Elektromobilität zeigt, wie schwierig es sein kann, solche Ziele zu erreichen.

In diesem zeitlichen Rahmen muss es europäischen Unternehmen möglich sein, den evolutionären Wandel von vorhandenen zu nachhaltigen Geschäftsmodellen finanziell zu meistern. Bei dieser Portfoliobetrachtung kann die Standortstruktur eine wichtige Rolle spielen. So ist möglicherweise an einem vorhandenen Standort ein neues, ökologisch besseres Geschäftsmodell auf absehbare Zeit nicht wirtschaftlich, der Erhalt von Arbeitsplätzen leistet aber einen wichtigen Beitrag zur sozialen Nachhaltigkeit. In dieser Situation befindet sich gegenwärtig die Stahl-Tochter des traditionsreichen Unternehmens Thyssen-Krupp. Der mit öffentlichen Mitteln geförderte Übergang zur Produktion von „grünem Stahl“ in Duisburg liefert ein mögliches Modell für die Stahlproduktion der Zukunft. Gleichzeitig ist die Sicherung von Arbeitsplätzen im westlichen Ruhrgebiet von großer regionalpolitischer Bedeutung. Das Beispiel zeigt, wie schwierig es ist, ein Unternehmen erfolgreich zu sanieren, nach neuen Investoren zu suchen und gleichzeitig den ökologischen Wandel voranzutreiben.26

Neben diesen spezifischen Herausforderungen bedeutet die neue Corporate Sustainability Reporting Directive (CSRD) der Europäischen Union (EU) für alle größeren Unternehmen einen erheblichen Mehraufwand. Dabei besteht die Gefahr, dass sich die Priorität beim Wandel in Richtung auf die Nachhaltigkeits-berichterstattung verlagert und Innovationen vernachlässigt werden. Es erscheint daher notwendig, den Reporting-Ansatz einer kritischen Kosten-Nutzen-Analyse zu unterziehen und gegebenenfalls weiterzuentwickeln.

 

Zusammenfassung der Charakteristika einer Strategie 3.0

Wir haben gezeigt, dass die dritte Entwicklungsstufe eines nachhaltigkeitsorientierten strategischen Managements (Strategie 3.0) von einem glaubwürdigen Verhalten von Unternehmen ausgeht. Dabei liegt die Herausforderung in einer Verbindung der relevanten Handlungsfelder. Auf diese Weise kann es gelingen, mit innovativen Technologien nachhaltige Geschäftsmodelle zu gestalten.

Dies ist wichtig, oft jedoch nicht ausreichend. Hinzu kommen muss eine gezielte öffentliche Förderung, um die Marktführerschaft in Volumengeschäften zu erringen und zu verteidigen. Der europäischen Wirtschaft ist das in der Vergangenheit häufig nicht gut gelungen. Zur Erschließung neuer grüner Wachstumsfelder bedarf es daher besser koordinierter europäischer Programme. Der Wandel zu nachhaltigen Unternehmen erfolgt evolutionär. Er erfordert die Fähigkeit zu gemeinsamen Lernprozessen und einem stärker dialogbasierten Handeln der Akteure von der Gestaltung der politischen Rahmenbedingungen bis zur Umsetzung der Strategien.

In der folgenden Tabelle sind diese Charakteristika eines strategischen Nachhaltigkeitsmanagements zusammengefasst. Erfolgsentscheidend für Europa ist, dass Politik, Wissenschaft, Wirtschaft und Gesellschaft besser zusammenarbeiten.

Sowohl das Nachhaltigkeitsmanagement als auch das Innovationsmanagement verbinden als Querschnittsdisziplinen die klassischen betriebswirtschaftlichen Funktionslehren.27 Dies erfordert ebenso wie die Interaktion mit Stakeholdern konnektive Fähigkeiten. Daher sollte die Aus- und Weiterbildung der Entwicklung dieser Fähigkeiten einen hohen Stellenwert einräumen. Besonders geeignet sind hierfür interdisziplinäre Programme und Projekte. Ausgehend von dieser Erkenntnis gestalten wir gegenwärtig einen neuen Master-Studiengang für Nachhaltigkeits-management. Darüber hinaus erscheint im Rahmen einer internationalen Nachhaltigkeitspolitik auch eine bessere Kooperation der relevanten Politikfelder notwendig.

 

Fazit

  • Die Europäische Union möchte mit ihrem „Clean Industrial Deal“ die Rahmenbedingungen für Unternehmen beim Thema Nachhaltigkeit verbessern.
  • Ausgehend von verschiedenen Grundlagen knüpft ein nachhaltigkeits-orientiertes strategisches Management an die politikwissenschaftliche Schule von Strategieprozessen an.
  • Die Pioniere betrachten die Handlungsfelder des Nachhaltigkeits-managements ihres Unternehmens als verbundenes System.
  • Eine Herausforderung für europäische Unternehmen liegt in der Gestaltung von Geschäftsmodellen, die Umwelttechnik und digitale Technologien verbinden. Bei der Erzielung der Marktführerschaft in Volumengeschäften spielt die öffentliche Förderung eine wichtige Rolle.
  • Im Hinblick auf die Erschließung von neuen grünen Wachstumsfeldern sollte Europa aus Fehlern in der Vergangenheit lernen und die Zusammenarbeit von Stakeholder-Ökosystemen verbessern. Hierzu bedarf es der Fähigkeit zu koordinierten Programmen.
  • Beim Wandel zu nachhaltigen Unternehmen gilt es, eine angemessene Balance zwischen Innovation und Berichterstattung zu finden.

 

Literatur

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[2] Gusbeth, S. et al., Bye-bye, Klimaschutz? In: Handelsblatt, 14./15./16. Juni 2024, S.44-50

[3] Scheer, O., Volkery, C., Von der Leyens Neustart, In: Handelsblatt, 19./20./21. Juli 2024, S.1,12-13

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[10] Hill, J., Environmental, Social, and Governance (ESG) Investing – A Balanced Analysis of the Theory and Practice of a Sustainable Portfolio, Academic Press 2020

[11] Servatius, H.G., Strategie 5.0 zur Bewältigung der neuen Herausforderungen. In: Competivation Blog, 28.06.2022

[12] Berger, R., Servatius, H.G., Krätzer, A., Die Zukunft des Autos hat erst begonnen – Ökologisches Umsteuern als Chance, Pieper 1994

[13] Schneider, R., Die Ablenkungsfalle – Die versteckten Tricks der Ökologie-Bremser, Oekom 2023

[14] Servatius, H.G., Wettbewerbsvorteile durch die Gestaltung eines Nachhaltigkeitssystems. In: Tomaschewski, D., Völker, R. (Hrsg.), Nachhaltige Unternehmensentwicklung, Kohlhammer 2016, S. 27-32

[15] Vikash, J., et al., The Next „Digital“ – Unlocking $50 Billion GreenTech Opportunity, April 2022

[16] Rest, J., Vorsprung durch Technik. In: Manager Magazin, Juli 2024, S. 32-38

[17] Osterwalder, A., Pigneur, Y., Business Model Generation – A Handbook for Visionaries, Game Changers, and Challengers, Wiley 2010

[18] Servatius, H.G., Mit einer Strategie 5.0 zu Erfolgen bei Digital GreenTech. In: Fesidis, B., Röß, S.A., Rummel, S. (Hrsg.), Mit Digitalisierung und Nachhaltigkeit zum klimaneutralen Unternehmen – Strategische Frameworks und Best-Practice-Beispiele, SpringerGabler 2023, S. 71-93

[19] Servatius, H.G., Evolution des strategischen Managements. In: Competivation Blog, 28.06.2024

[20] Stratmann, K., Angst vor dem Solar-Infarkt. In: Handelsblatt, 30.Juli 2024, S. 1, 4-5

[21] Servatius, H.G., Schneidewind, U., Rohlfing, D. (Hrsg.), Smart Energy – Wandel zu einem nachhaltigen Energiesystem, Springer 2012

[22] Backovic, L., Fasse, M., Hubik, F., Sorge um Europas Batterieproduktion. In: Handelsblatt, 27.Juni 2024, S. 22-23

[23] Doerr, J., Speed & Scale – An Action Plan for Solving Our Climate Crisis Now, Portfolio Penguin 2021

[24] Stratmann, K., Milliardengeschäft CO2-Entnahme. In: Handelsblatt, 26.Juni 2024, S. 10-11

[25] Servatius H.G., Dreifache strategische Neuausrichtung. In: Competivation Blog, 17.06.2024

[26] Wermke, I., „Ohne Hoffnungswerte und ohne Schönfärberei“. In: Handelsblatt, 12. August 2024, S. 19

[27] Servatius, H.G., Innovations- und Nachhaltigkeitssysteme verbinden klassische Managementaufgaben. In: Competivation Blog, 09.09.2021

 

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