Der digitale Wandel hat vielfältige Auswirkungen auf die Gesellschaft. Diese Innovationswirkungen können unterschiedliche Aktivitäten seitens der Politik auslösen. Unternehmen stehen daher vor der Frage, wie sie ihre Innovationsstrategie gemeinsam mit gesellschaftlichen und politischen Stakeholdern gestalten können.
Innovationsfelder mit gesellschaftlicher und politischer Relevanz
Das Geschäftsmodell von Airbnb gerät zunehmend in die Kritik. Städte wie Barcelona, Amsterdam und München arbeiten an Konzepten, um das Wachstum der Plattform zu begrenzen. Sie wollen verhindern, dass knapper Wohnraum entzogen wird und die Mieten weiter steigen.1
Das Beispiel zeigt, wie in einem Innovationsfeld gesellschaftliche Auswirkungen Aktivitäten von Politik und Verwaltung auslösen, die für den Innovator zu einem Problem werden können. Unternehmen sind daher gut beraten, derartige Innovationswirkungen frühzeitig zu erkennen und bei der Gestaltung ihrer Innovationsstrategien zu berücksichtigen.
Dabei ist Airbnb kein Einzelfall. Von der grünen Biotechnologie über smarte Energienetze bis zur Substitution menschlicher Arbeit durch künstliche Intelligenz reicht das Spektrum, bei dem eine strategische Co-Creation mit gesellschaftlichen und politischen Stakeholdern immer wichtiger wird.
Von Stakeholder-Dialogen zur Co-Creation von Innovationsstrategien
Stakeholder-Dialoge sind kein neues Thema. Seit langem versuchen Unternehmen, durch die Kommunikation mit gesellschaftlichen Akteuren einen Konsens bei möglichen Konfliktthemen zu erreichen.2
Relativ wenig verbreitet ist hingegen noch die Gestaltung von Innovationsstrategien gemeinsam mit Stakeholdern aus dem gesellschaftlichen und politischen Umfeld.
Zu den klassischen Akteursgruppen Unternehmen, Kunden sowie Forschungs- und Wertschöpfungspartner kommen diese externen Stakeholder als strategische Partner hinzu. Das Quadruple-Helix-Modell veranschaulicht eine solche gemeinsame Gestaltung oder Stakeholder Co-Creation.3
In einer Reihe von Projekten sammeln wir gegenwärtig Erfahrungen, worauf es bei einem solchen Co-Creation-Prozess ankommt.
Stufen bei der Gestaltung von Innovationsstrategien
Ausgangspunkt ist dabei unser Modell zur Gestaltung von Innovationsstrategien im Rahmen eines vierstufigen Lernprozesses. Diese vier Stufen sind:4
- Corporate Foresight (Vorausschau) auf zukünftige Entwicklungen,
- eine Innovationsportfolio-Analyse und Ableitung von strategischen Richtungen,
- der Ausbau des eigenen Innovationsökosystems und die Stakeholder-Interaktion sowie
- Innovationssprints für digitale Geschäftsmodelle und Produkte
Die spannende Frage ist, wie man in diesem Prozess die spezifischen Herausforderungen einer Co-Creation mit gesellschaftlichen und politischen Stakeholdern bewältigt. Dabei hat sich eine Projektorganisation bewährt, bei der in jeder Prozess-Stufe mindestens ein in Stakholder-Fragen erfahrenes Teammitglied hinzukommt. Diese Stakeholder-Experten bilden ihrerseits ein gut vernetztes Kompetenzteam und stellen so einen reibungslosen Informationsaustausch über die Prozess-Stufen hinweg sicher.
Im Folgenden skizzieren wir die Aufgaben dieser Stakeholder-Experten in den einzelnen Prozess-Stufen. Dabei erhöht sich der Konkretisierungsgrad von der noch relativ unscharfen Vorausschau auf zukünftige Entwicklungen bis zu gemeinsamen Tests von Innovationen in Sprints.
Vorausschau auf gesellschaftlich und politisch relevante Themen
Das Thema Corporate Foresight und sein methodischer Vorläufer, die Früherkennung, haben eine lange Geschichte. So begann die Arbeit des Stanford Research Institutes und der Rand Corporation in den 1940er Jahren im öffentlichen Sektor und nahm von dort seinen Weg in die Wirtschaft. Ein Teilbereich ist dabei die frühzeitige Identifikation gesellschaftlich und politisch relevanter Themen und Stakeholder.
Heute stehen die gesellschaftlichen Wirkungen digitaler Technologien wie der künstlichen Intelligenz im Mittelpunkt der Arbeit von Foresight-Experten.5
Eine wichtige Interpretationshilfe liefert immer noch die Szenario-Analyse, die aber inzwischen agiler gestaltet und mit anderen Methoden kombiniert wird.6
Innovationsportfolio-Analyse des Chancen- und Risikopotenzials von Stakeholdern
Corporate Foresight liefert eine wichtige Grundlage für die Sammlung und Beschreibung von möglichen Innovationsfeldern. Eine Innovationsportfolio-Analyse hilft bei der Abschätzung der eigenen Ressourcenstärke und des Disruptionspotenzials eines Innovationsfeldes.7
Zu diesen beiden Dimensionen kommt als weiterer Analysegegenstand das Chancen- und Risikopotenzial von Themen und Stakeholdern im gesellschaftlich-politischen Umfeld hinzu. Hieraus ergeben sich erste Erkenntnisse für die Ableitung von Verhandlungsstrategien. Insofern erfordert auch die Stakeholder Co-Creation eine sorgfältige strategische Vorbereitung.
Ausbau des Innovationsökosystems und Formen der Zusammenarbeit mit Stakeholdern
Beim Thema Innovationsökosysteme standen lange Zeit die klassischen Wertschöpfungspartner und auch Startups im Mittelpunkt des Interesses.8 In den Zeiten des digitalen Wandels gewinnt eine Disruption durch Plattform-Anbieter an Bedeutung, die gleichzeitig Kooperationspartner sein können.
Weniger Beachtung beim Ausbau des eigenen Innovationsökosystems fand bislang die Zusammenarbeit mit Vertretern aus Gesellschaft und Politik. Daher stellt sich verstärkt die Frage, welche Formen der Zusammenarbeit bei der Interaktion mit diesen Stakeholdern geeignet sind.
Wichtig sind dabei auch die Rückkopplungen zwischen den Stufen des Strategieprozesses. Wenn z.B. wie beim Thema Smart Meter Gateways die hohen Auflagen des Bundesamts für Sicherheit und Informationstechnologie (BSI) zu Verzögerungen bei der Markteinführung führen, so ergibt sich hieraus die Frage, welche Verhandlungsstrategien gegenüber diesem Stakeholder und der Politik zu einem besseren Ergebnis geführt hätten. Heute beklagen die betroffenen Unternehmen, dass Deutschland droht, bei diesem Ausgangspunkt smarter Energienetze, den Anschluss zu verlieren.9
Innovationssprints zum Test von Innovationen bei Stakeholdern
In Innovationssprints mit agilen Methoden wie Design Thinking und Lean Startup finden Tests bislang primär bei Kunden statt, um je nach Ergebnis digitale Geschäftsmodelle und Produkte anzupassen.10
Die Frage ist, ob man die Geschäftsmodelle und Produkte auch bei anderen Stakeholdern testen sollte. Bei kritischen gesellschaftlichen Gruppen ist das durchaus denkbar.
Wie auch in der Zusammenarbeit mit Startups müssten sich Unternehmen dabei an die anderen strategischen Verhaltensmuster der Stakeholder aus Gesellschaft und Politik anpassen.
Möglicherweise würde es so aber gelingen, frühzeitig Richtungsänderungen vorzunehmen und die Fehler zu vermeiden, die Airbnb gemacht hat.
Theorie komplexer Prozesses
Wichtige Impulse kommen dabei von einer Führungskräfteentwicklung, die sich an den Prinzipien der neueren Theorie komplexer Prozesse orientiert.11 Im Unterschied zur Theorie komplexer adaptiver Systeme liegt der Fokus hier bei „complex responsive processes of relating“, also komplexen Prozessen, in denen man sich in interessierter und empfänglicher Weise mit dem anderen in Beziehung setzt.
Dies ist für alle Beteiligten eine Herausforderung, zu deren Bewältigung es gemeinsamer Lernprozesse bedarf.
Literatur
- Schlautmann, C.: Europa gegen Airbnb. In: Handelsblatt, 15. August 2018, S.1, 4-5
- Künkel, P., Gerlach, S., Frieg, V.: Stakeholder-Dialoge erfolgreich gestalten – Kernkompetenzen für erfolgreiche Konsultations- und Kooperationsprozesse, Wiesbaden 2016
- Carayannis, E.G., Campbell, D.F.J.: Mode 3 Knowledge Production in Quadruple Helix Innovation Systems, New York 2012
- Servatius, H.G.: Innovationsstrategien für IoT-Plattformgeschäfte. In: Competivation Blog, 22.06.2018
- Agrawal, A., Gans, J., Goldfarb, A.: Prediction Machines – The Simple Economics of Artificial Intelligence, Boston 2018
- Servatius, H.G.: Szenarien kombiniert mit digitalen Geschäftsmodell-Mustern. In Competivation Blog, 22.05.2017
- Servatius, H.G.: Innovationsportfolio zur Bewältigung von disruptiven Herausforderungen. In: Competivation Blog, 23.02.2016
- Adner, R.: The Wide Lens – A New Strategy for Innovation, New York 2012
- Witsch, K., Stratmann, K.: Im Schneckentempo Richtung Zukunft. In: Handelsblatt, 29. August 2018, S.18-19
- Schrage, M.: The Innovator’s Hypothesis – How Cheap Experiments are Worth More Than Good Ideas, Cambridge 2014
- Flinn, K.: Leadership Development – A Complexity Approach, London 2018