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Corporate Governance für den strategischen Wandel

Corporate Governance für den strategischen Wandel

Angesichts neuer strategischer Herausforderungen stellt sich die Frage nach einer weiterentwickelten Corporate Governance. Ausgehend von den gesetzlichen Rahmenbedingungen erfordert die Beantwortung dieser Frage eine enge Zusammenarbeit von Führung und Aufsichtsrat.

 

In diesem Blogpost beschäftigen wir uns mit den Implikationen für die Governance von Unternehmen, die sich aus einer zunehmenden Dynamik des strategischen Wandels und der wachsenden Bedeutung von Stakeholdern ergeben.

 

Kompetenzen von Business Transformation Managern

Seit einigen Jahren bietet die RWTH Aachen einen Zertifikatskurs für Business Transformation Manager an, den das FIR organsiert.1 In diesem Kurs behandele ich seit seinem Beginn das Thema Transformation Governance. Aufgrund der gravierenden Veränderungen im Umfeld von Unternehmen habe ich in diesem Jahr meinen Kursbeitrag neugestaltet. Im Mittelpunkt steht eine dynamische Corporate Governance, die sich an den Entwicklungsstufen des strategischen Managements orientiert. Wir unterscheiden zwischen:2

  • Einer markt- und entwicklungsorientierten Stufe (Strategie 1.0)
  • einer technologie- und innovationsorientierten Stufe (Strategie 2.0)
  • einer nachhaltigkeitsorientierten Stufe (Strategie 3.0)
  • einer resilienzorientierten Stufe (Strategie 4.0) und
  • der Notwendigkeit einer stärker verbindenden Stufe (Strategie 5.0)

In der nachhaltigkeitsorientierten Stufe drei erscheint beim Thema ESG-Bewertung neben den Kriterien Environment and Social explizit der Begriff Governance. Was genau unter einer verantwortungsvollen Unternehmerführung und -kontrolle zu verstehen ist, wird von den Rating-Agenturen allerdings unterschiedlich interpretiert. Dies hat im Finanzsektor zu einem verstärkten Greenwashing beigetragen.

Die Führung und der Aufsichtsrat eines Unternehmens haben die Aufgabe, dessen Situation richtig einzuschätzen, einen Ordnungsrahmen für den strategischen Wandel zu gestalten und daraus Anforderungen an das Management und die Personalentwicklung abzuleiten. Mit dieser Herausforderung beschäftigt sich mein Kursbeitrag. Aus den Fragen der Teilnehmer hat sich eine spannende Diskussion zu den spezifischen Themen ergeben, die ihre Unternehmen beschäftigen.

 

Transparenz durch ein Strategie-Audit

Nach meiner Erläuterung der Wurzeln und Charakteristika der fünf Entwicklungsstufen des strategischen Managements von den 1970er Jahren bis heute interessierten sich die Teilnehmer für einen konzeptionellen Rahmen zur Analyse der Situation ihres Unternehmens.

In unserer praktischen Projektarbeit machen wir die strategischen Herausforderungen eines Unternehmens mit Hilfe eines Strategie-Audits transparent. Darin betrachten wir die fünf Entwicklungsstufen mit einer SWOT-Analyse. Das Ergebnis stellen wir in einer Matrix der Entwicklungsstufen von Strategie 1.0 bis Strategie 5.0 dar. Die Positionen ergeben sich aus einer Analyse der x- und der y-Achse. Aus der Analyse der Stärken und Schwächen bei den fünf Entwicklungsstufen des strategischen Managements resultiert die Position auf der x-Achse. Die Position auf der y-Achse ergibt sich aus einer Analyse der Möglichkeiten und Bedrohungen im Umfeld des Unternehmens. In der Abbildung ist das Ergebnis für einen traditionellen mittelständischen Automobilzulieferer dargestellt.

 

Lernprozess Innovationsstrategie
 

Dieses Audit-Ergebnis zeigt ein klar erkennbares Muster. Im Verlauf der fünf Entwicklungsstufen haben sich die Bedrohungen gehäuft. Gleichzeitig hat sich die eigene Position verschlechtert. Wir wollen kurz erläutern, wie es zu dieser Entwicklung gekommen ist.

 

Sich häufende Bedrohungen und eigene Schwächen

Das Unternehmen verfügt bei der ersten Entwicklungsstufe (Strategie 1.0) über viel Branchen-Erfahrung sowie methodisches Knowhow mit traditionellen Ansätzen wie der Portfolio-Analyse und dem Balanced Scorecard-Konzept. Man tut sich jedoch bei der Bewältigung des strategischen Wandels schwer. Als Herausforderung empfinden die Führungskräfte neue Wettbewerber mit disruptiven Geschäftsmodellen.

Eine wichtige Bedrohung im Rahmen einer Strategie 2.0 sind digitale Technologien. Der Versuch, diese Technologien mit der Bildung einer Digitaleinheit zu meistern war bislang nur mäßig erfolgreich. Es ist nicht gelungen, die Möglichkeiten agiler Methoden mit dem traditionellen Geschäftsmodell zu verknüpfen. Das Problem ist zwar erkannt, die kulturellen Barrieren erweisen sich jedoch als schwer überwindbar.

Etwas anders gelagert sind die Herausforderungen beim Thema Nachhaltigkeit, also der dritten Entwicklungsstufe des strategischen Managements. Man gehört hier nicht zu den Vorreitern und empfindet die bürokratischen Anforderungen der neuen EU-Taxonomie als starke Belastung.

Überlagert wird dies alles durch die gegenwärtige Energiekrise. Das Unternehmen musste zwar auch in der Vergangenheit schon einige Krisen meistern. Die gegenwärtige Explosion der Strom- und Gaspreise ist jedoch existenzbedrohend.3 Ein resilienzorientiertes strategisches Management der Stufe vier betrachten die Führungskräfte auch nach der Corona-Pandemie noch weitgehend als Neuland.

Das Zusammenwirken all dieser Bedrohungen löst bei dem Unternehmen ein gewisses Gefühl der Ohnmacht aus. Im Hinblick auf eine verbindende Stufe fünf fällt es den Verantwortlichen schwer, die richtige Balance aus Krisenbewältigung und Chancennutzung zu finden. In dieser Situation suchen Führung und Aufsichtsrat gemeinsam nach neuen Formen der Governance zur Bewältigung des strategischen Wandels. Eine wichtige Rolle spielt dabei eine angemessene Reaktion auf disruptive Stakeholder-Ökosysteme ausländischer Wettbewerber, die von ihrer hohen IT-Kompetenz und von niedrigen Energiekosten profitieren.4

Die Führung und der Aufsichtsrat müssen sich angesichts dieser Ergebnisse fragen, welche Versäumnisse bei der Antizipation des strategischen Wandels vorliegen. Wie viele traditionelle Unternehmen hat der Automobilzulieferer den sich seit den 1990er Jahren abzeichnende Paradigmenwechsel im strategischen Management von mechanistisch zu komplexitätsbewusst zu spät erkannt.5 Symptome sind der zögerliche Übergang zur Elektromobilität und der erst relativ spät erfolgte Einsatz agiler Methoden bei der Produktentwicklung. Zu diesen Bedrohungen und sich abzeichnenden Schwächen ist dann die gegenwärtige Multikrise hinzugekommen.

 

Zusammenhang zwischen Strategie, Governance, Führung und Personalentwicklung

Eine wichtige Erkenntnis des von dem Unternehmen hierzu gestarteten Projekts ist, dass Strategie, Governance, Führung und Personalentwicklung zusammenwirken und sich wechselseitig verstärken sollten. Die gegenwärtigen Krisen lassen Versäumnisse der Vergangenheit deutlicher zutage treten. Das Strategie-Audit hat die Transparenz bezüglich der Entwicklungsstufen des strategischen Managements verbessert. Der Führung und dem Aufsichtsrat ist klarer geworden, dass Corporate Governance – also die Gestaltung eines Ordnungsrahmen und die Definition der Rollen der Akteure – ein dynamischer Prozess ist, der einer regelmäßigen Anpassung bedarf. Dies gilt insbesondere im Hinblick auf die veränderten Anforderungen an Führungskräfte. Für den hart umkämpften Management-Nachwuchs gilt es, neue Wege in der Personalentwicklung zu beschreiten und die erforderlichen konnektiven Fähigkeiten (π-shaped Skills) stärker zu fördern.6

 

Lernprozess Innovationsstrategie
 

Eine Frage von zentraler Bedeutung ist, welche strategischen Optionen in dieser Situation Erfolg versprechend sind, um die gegenwärtigen Risiken zu bewältigen, gleichzeitig aber auch die sich bietenden Chancen zu nutzen.

Der neue Weltchef der Personalberatung Egon Zehnder vertritt hierzu die Ansicht, dass wir gerade einen perfekten Stresstest für Führungskräfte erleben. Neben Industrieexpertise brauche man Verantwortliche mit Erfahrung in anderen gesellschaftlichen Bereichen. Für Unternehmen werde es außerdem immer wichtiger, zukünftige Führungskräfte selbst zu entwickeln.7

 

Bewältigung von Risiken und Nutzung von Chancen

Ein von uns zur Bewältigung dieser Herausforderungen veranstalteter Workshop kommt zu dem Ergebnis, dass sich vier relevante strategische Optionen aus dem Erfolg bzw. Misserfolg von zwei Dimensionen ergeben:

  1. Der Bewältigung der gegenwärtigen Multikrise mit Hilfe einer resilienzorientierten Strategie 4.0 und
  2. einer längerfristig orientierten Nutzung von Chancen bei den Themen Digitalisierung und Nachhaltigkeit (Strategie 2.0 und 3.0)

Führung und Aufsichtsrat entscheiden, dass man gemeinsam die vierte Option verfolgen möchte, bei der das Unternehmen anstrebt, die Krisenbewältigung und Chancennutzung mit einer Strategie 5.0 zu verbinden. Angesichts der Unterschiedlichkeit dieser Aufgabe beschließt man, hierzu zwei agile Programme aufzusetzen. Die Umsetzung erfolgt mit Hilfe der Objectives and Key Results (OKR-) Methode, mit der die Digitaleinheit bereits Erfahrung gesammelt hat.

 

Lernprozess Innovationsstrategie
 

Aus dem Strategie-Audit ergeben sich wichtige Impulse, welche Ziele und Schlüsselergebnisse der Automobilzulieferer mit Hilfe eines solchen agilen Performance Management-Konzepts erreichen möchte. Aufgabe der Führung und des Aufsichtsrates ist es, sich mit der notwendigen Weiterentwicklung der Corporate Governance zu beschäftigen.

 

Implikationen für eine dynamische Corporate Governance

Die erste wichtige Implikation ist also, Corporate Governance stärker als dynamische Aufgabe zu interpretieren. Eine gute Orientierungshilfe liefert dabei die Gliederung des strategischen Managements in fünf Entwicklungsstufen, die jeweils mit spezifischen Herausforderungen verbunden sind.

Eine zweite Implikation ergibt sich aus der Erkenntnis, dass ein wichtiger Erfolgsfaktor in diesen Entwicklungsstufen die stärkere Berücksichtigung von Stakeholdern ist, Corporate Governance entwickelt sich also in Richtung auf deine Stakeholder- oder Ecosystem Governance.8 Wir wollen dies am Beispiel des betrachteten Unternehmens verdeutlichen.

 

Lernprozess Innovationsstrategie
 

Kennzeichnend für die erste Entwicklungsstufe des strategischen Managements sind veränderte Kundenerwartungen z.B. bezüglich der IT-Kompetenz des Automobilzulieferers und neue Risiken auf den Beschaffungsmärkten. Diese Risiken betreffen neben den Lieferketten vor allem die Energieversorgung. Neben dieser Marktorientierung ist die zweite Komponente einer Strategie 1.0 die Veränderungsorientierung. Hier befinden sich die Führungskräfte in einem zunehmenden Spannungsverhältnis zwischen den Möglichkeiten der Arbeitsgestaltung im Rahmen des Themas New Work und der aktuellen Krisenbewältigung. Mit dieser Herausforderung sehen sich viele Unternehmen konfrontiert. So kommt eine aktuelle Studie des Personalberater Odgers Berndtson zu dem Ergebnis, dass ein Viertel aller Bereichs- und Abteilungsleiter gegenwärtig bereit wäre, das Unternehmen zu wechseln. Als Begründung nennen sie den zunehmenden Druck, den ihre Sandwich-Position im Mittelmanagement mit sich bringt.9

Die Herausforderung in der technologie- und innovationsorientierten zweiten Entwicklungsstufe ist die Zusammenarbeit mit verschiedenen Partnern bei der Digitalisierung des Geschäftsmodells. Neue Impulse kommen dabei von Hochschulen aus der Region und den aus diesen Hochschulen hervorgegangenen Start-ups. Eine wichtige Frage ist, wie das Unternehmen eine zunehmende Abhängigkeit von Cloud-Anbietern und Artificial Intelligence of Things (AIoT-) Plattformen vermeiden kann. Dies gelingt mit dem systematischen Aufbau von eigener Kompetenz. Auf diese Weise steigert der Automobilzulieferer seine Attraktivität als Arbeitgeber für junge Mitarbeiter. In den letzten Jahren wurde hierzu ein Partnernetzwerk mit anderen Unternehmen aus der Region und den Verantwortlichen für das Regionalmarketing aufgebaut.

Ein weiteres Feld für die Zusammenarbeit mit Partnern ist die Entwicklung eines nachhaltigen Geschäftsmodells im Rahmen der dritten Entwicklungsstufe des strategischen Managements. Das Unternehmen sieht Differenzierungsmöglichkeiten beim Thema Digital GreenTech, also der Verbindung von Umwelttechnik und digitalen Technologien. Eine wichtige Rolle spielt dabei die Mitgliedschaft in Verbänden, die die Zusammenarbeit mit der Politik orchestrieren. Auf diese Weise möchte der Automobilzulieferer neue Arbeitsplätze in der Region schaffen, um den Arbeitsplatzverlust bei Komponenten für traditionelle Antriebe auszugleichen. Von den Führungskräften erfordert dies viel kommunikative Kompetenz, um eine angemessene Balance zwischen Wirtschaftlichkeit, Umweltschutz und sozialen Aspekten zu finden.

Besonders gefordert sind die Führung und der Aufsichtsrat bei der Entwicklung einer stärker resilienzorientierten Strategie 4.0 Dies ist mit einer Neubewertung von geopolitischen Risiken und Chancen verbunden, für die es in der jüngeren Unternehmensgeschichte keine vergleichbaren Vorbilder gibt. Der Automobilzulieferer arbeitet mit externen Experten zusammen, um die eigene Resilienzfähigkeit zu verbessern. Die Experten bringen neue wissenschaftliche Erkenntnisse ein und organisieren einen Erfahrungsaustausch mit anderen Unternehmen und der Politik.

Eine Verbindung und Weiterentwicklung dieser vier Entwicklungsstufen erfolgt im Rahmen der Arbeit an einer Strategie 5.0. Diese liefert die Grundlage für die Gestaltung eines eigenen disruptiven Stakeholder-Ökosystems. Das Unternehmen möchte so Schritt für Schritt seine Rolle als Angreifer zurückgewinnen. Das Mittel zur Erreichung dieses Ziels sind agile intersektorale Programme für die Zusammenarbeit von Wissenschaft, Wirtschaft, Politik und Gesellschaft. Hierbei bringen die Führung und der Aufsichtsrat ihre gesamte Erfahrung und ihr umfangreiches Netzwerk ein.

 

Fazit

  • Aus den fünf Entwicklungsstufen des strategischen Managements ergibt sich die Notwendigkeit einer dynamischen Corporate Governance
  • Ein bewährtes Konzept zum Verständnis der Ausgangssituation von Unternehmen ist ein Audit in Form einer SWOT-Analyse der Bewältigung des strategischen Wandels
  • Hieran schließt sich ein Projekt zur Verbesserung der Zusammenhänge zwischen Strategie, Governance, Führung und Personalentwicklung an
  • Ein wichtiges Kennzeichen einer dynamischen Corporate Governance ist die stärkere Stakeholder-Orientierung, die auf die spezifische Situation des Unternehmens zugeschnitten sein sollte.

 

Literatur

[1] Wolan, M.: Next Generation Digital Transformation – 50 Prinzipien für erfolgreichen Unternehmenswandel im Zeitalter der Künstlichen Intelligenz, Wiesbaden 2020

[2] Servatius, H.G.: Strategie 5.0 zur Bewältigung der neuen Herausforderungen. In: Competivation Blog, 28.06.2022

[3] Greive, M., Olk, J., Specht, F.: Industrie steckt in der Energiefalle. In: Handelsblatt, 1. November 2022, S. 9

[4] Adner, R.: Winning the Right Game – How to Disrupt, Defend, and Deliver in a Changing World, Cambridge 2021

[5] Servatius, H.G.: Komplexitätsbewältigung als Treiber eines Connective Managements. In: Competivation Blog, 31.03.2021

[6] Servatius, H.G.: Mentoring-Programme zur Entwicklung konnektiver Fähigkeiten. In: Competivation Blog, 10.05.2021

[7] Ensser, M.: „Wir erleben gerade den perfekten Stresstest für Führungskräfte“ (Interview). In: Handelsblatt, 1. November 2022, S. 24-25

[8] Hilb, M. (Hrsg.): Governance of Ecosystems – The Role of Governance in Collaborative Value Creation, Bern 2021

Strategie 5.0 zur Bewältigung der neuen Herausforderungen

Strategie 5.0 zur Bewältigung der neuen Herausforderungen

Das strategische Management hat sich in den letzten Jahrzehnten weiterentwickelt und inzwischen eine fünfte Entwicklungsstufe erreicht. Diese verbindet Erkenntnisse der früheren Stufen. Eine wichtige Aufgabe in offenen Strategie 5.0-Prozessen von Unternehmen ist die gemeinsame Gestaltung von Stakeholder-Ökosystemen.

 

In unserem neuen Blogpost skizzieren wir die fünf Entwicklungsstufen des strategischen Managements

 

Krise als Chance

Wie können die europäischen Staaten und Unternehmen aus der aktuellen Krise gestärkt hervorgehen? Philipp Freise, der Co-Leiter des europäischen Private-Equity-Geschäfts beim Finanzinvestor KKR, vertritt die These, die Krise könne eine Innovationswelle anstoßen und den Wandel in Europa beschleunigen.1

Hierzu erscheint es jedoch erforderlich, dass die Unternehmen ihr strategisches Management weiterentwickeln. Wir stellen zur Diskussion, wie ein solcher nächster Evolutionsschritt aussehen könnte.

 

Wurzeln und Entwicklungsstufen des strategischen Managements

Aufgabe des strategischen Managements ist es, die großen Herausforderungen von Unternehmen zu meistern und Chancen zu nutzen. Da sich das Umfeld in den letzten Jahrzehnten stark verändert hat, musste sich auch das strategische Management anpassen. Wir unterscheiden zwischen den folgenden Entwicklungsstufen:

  • der Markt- und Veränderungsorientierung (Strategie 1.0)
  • einer Technologie- und Innovationsorientierung (Strategie 2.0)
  • der Nachhaltigkeitsorientierung (Strategie 3.0) und
  • einer Resilienzorientierung (Strategie 4.0)

Diese Stufen bauen aufeinander auf. Im Mittelpunkt steht jeweils eine dominierende Herausforderung.

 

Lernprozess Innovationsstrategie

 

Die Wurzeln der ersten Entwicklungsstufe des strategischen Managements liegen im militärischen Sektor, in der Philosophie und Politik, in der Business Policy, beim Thema Corporate Foresight und in der Organisationsentwicklung. Bei der aus der strategischen Planung in den 1970er Jahren entstandenen ersten Stufe des strategischen Managements lag der Fokus auf der Erzielung von Wettbewerbsvorteilen in den Absatz- und Kapitalmärkten.2 Übergeordnetes Ziel dieses marktorientierten strategischen Managements (MSM) war die Steigerung des Unternehmenswertes für die Anteilseigner (Shareholder Value).3 Die Bedeutung, die das strategische Management weiteren Bezugsgruppen (Stakeholdern) beimaß, war eher gering, obwohl Wissenschaftler wie Edward Freeman frühzeitig eine andere Sichtweise vertraten.4

Relativ unabhängig von der strategischen Planung entstand aus dem Organizational Development, das von dem in die USA emigrierten deutschen Psychologie-Professor Kurt Lewin geprägt worden war, das veränderungsorientierte strategische Management. Bei einem solchen strategischen Wandel spielen lose gekoppelte Systembausteine eine wichtige Rolle. Der Veränderungsprozess kann sowohl evolutionär als auch transformativ ablaufen.

Ausgehend von Wurzeln in der Forschung und Entwicklung, dem Unternehmertum, der Finanzierung mit Wagniskapitel und dem Corporate Venture Management verlagerte sich Anfang der 1980er Jahre in einer zweiten Stufe der Fokus auf neue Technologien und Innovationsvorteile. Aus dem strategischen Technologiemanagement entwickelte sich das Fachgebiet Technologie, Innovation und Entrepreneurship.5 Start-ups wie Microsoft, Apple, Amazon und Google erkannten das Game-Changer-Potenzial digitaler Technologien und wurden so zu den wertvollsten Unternehmen der Welt. Für etablierte Organisationen ist der digitale Wandel heute eine der großen Herausforderungen.6 Sie stehen vor der Aufgabe, Defizite beim technologie- und innovationsorienterten strategischen Management (TSM) zu überwinden.

Die Wurzeln des Nachhaltigkeitsmanagements liegen in der Forstwirtschaft, der Umwelttechnik und Umweltpolitik, dem Thema Corporate Social Responsibility und der Umweltbewegung. Die Evolution der Nachhaltigkeitsorientierung von einem Nischenthema zur dritten Entwicklungsstufe des strategischen Managements (NSM) hat sich über einen längeren Zeitraum vollzogen. Der Fokus liegt dabei auf der Harmonisierung ökonomischer, ökologischer und sozialer Ziele. Ein großer Treiber ist der Klimawandel mit seinen Risiken und Chancen für Unternehmen. Viele Führungskräfte erkennen inzwischen die zunehmende Bedeutung von Stakeholdern z.B. aus Politik und Gesellschaft. Gleichzeitig ist das Interesse des Kapitalmarktes an Nachhaltigkeitsinnovationen gestiegen.7

Parallel zu den Entwicklungsstufen des strategischen Managements gab es immer wieder Phasen, die ein operatives Krisenmanagement erforderten. Mit der Corona-Pandemie, dem Krieg in der Ukraine und einem Auseinanderdriften von Gesellschaften hat die Krisenbewältigung eine neue politische Dimension erreicht. In dieser resilienzorientierten vierten Entwicklungsstufe des strategischen Managements (RSM) mit ihren Wurzeln z.B. in der Materialwirtschaft und Psychologie kommt es auf eine Wiedergewinnung der Handlungsfähigkeit an. Die Resilienzforschung liefert hierfür zwar Anregungen, befindet sich aber noch in einer frühen Entwicklungsphase.8 Ein aktuelles Beispiel ist die Bewältigung der Gaskrise mit ihren gravierenden Auswirkungen für Unternehmen und Verbraucher oder die Bekämpfung der Clan-Kriminalität durch eine wehrhafte Demokratie.

 

Verbindendes strategisches Management als fünfte Stufe

Der Zusatz 5.0 wurde bekannt durch den in Japan geprägten Begriff einer Gesellschaft 5.0, der die fünfte Entwicklungsstufe der Menschheitsgeschichte beschreibt.9 Dabei folgt nach dem Informationszeitalter ein Zeitalter der Vernetzung. Unsere Verwendung des Zusatzes 5.0 bezieht sich auf die wesentlich kürzere Entwicklungsgeschichte des strategischen Managements von Unternehmen.

Hier ist die gegenwärtige Situation durch eine Überlagerung der skizzierten Herausforderungen gekennzeichnet. Der Fokus sollte daher auf der Verbindung und Weiterentwicklung der Erkenntnisse aus früheren Stufen liegen. Wir sehen in diesem Megatrend Konnektivität das zentrale Kennzeichen einer fünften Entwicklungsstufe des strategischen Managements. Diese Stufe bezeichnen wir als Strategie 5.0. Bei dem verbindenden strategischen Management (VSM) ergeben sich verschiedene Formen der Konnektivität. So erfordern z.B. Nachhaltigkeitsinnovationen eine ausgeprägte T-N-Konnektivität.

 

Lernprozess Innovationsstrategie

 

Der Weg zu einer Strategie 5.0 ist auch durch die Weiterentwicklung der Strategieprozesse und der Disruptionstheorie gekennzeichnet. Bei den Strategieprozessen beschreibt der Begriff Open Strategy die Öffnung bezüglich der beteiligten Akteure.10 Eine neue Disruptionstheorie liefert den Rahmen für die Disruption durch Stakeholder-Ökosysteme.11 Dabei entstehen aus der Zusammenarbeit mit Partnern innovative Wert-Architekturen.

Ein Beispiel ist die Evolution von Amazon Alexa von einem intelligenten Lautsprecher, der schrittweise seine Skills erweitert und dabei externe Entwickler hinzugewinnt, zu einem zentralen Baustein in den Smart-Home-Komponenten einer Vielzahl von Anbietern. In der fünften Entwicklungsstufe des strategischen Managements erreicht diese neue Disruptionstheorie weitere Stakeholder-Gruppen in Politik und Gesellschaft. Ein Beispiel hierfür ist der Übergang zur Elektromobilität.

Eine wichtige Aufgabe im Rahmen von Strategie 5.0-Prozessen ist die gemeinsame Gestaltung von Stakeholder-Ökosystemen. Das Zusammenwirken von Politik, Wissenschaft, Wirtschaft und Gesellschaft in einem offenen Prozess ist in der Stakeholder-Ökonomie zu einem Erfolgsfaktor mit Disruptionswirkung geworden. Die entsprechenden konnektiven Fähigkeiten haben den Charakter einer strategischen Kernkompetenz.12 Methoden wie das Systemic Design können zu einer Verbesserung des gemeinsamen Verständnisses beitragen.13

 

Lernprozess Innovationsstrategie

 

Ein Beispiel für ein solches disruptives Stakeholder-Ökosystem ist die entstehende Wasserstoffwirtschaft. Dabei ergibt sich die Disruptionswirkung für andere Ökosysteme aus der Wahl der richtigen Partner und Vorteilen bei den politischen Rahmenbedingungen. So bezieht der Kunststoffhersteller Covestro künftig jährlich 100.000 Tonnen grünen Wasserstoff vom australischen Hersteller Fortescue Future Industries (FFI). FFI ist ein Pionier auf dem Markt und nutzt die zu günstigen Preisen verfügbare erneuerbare Energie in Australien.14 Beim Thema Stahlherstellung mit Wasserstoff kritisieren Experten hingegen das Fehlen eines klaren Plans für den Aufbau der erforderlichen neuen Energieinfrastruktur in Mitteleuropa.15 Gleichzeitig strebt China an, eine weltweite Vorreiterrolle beim grünen Wasserstoff zu übernehmen.16

Es stellt sich nun die Frage, was die praktischen Implikationen dieser neuen Entwicklungsstufe des strategischen Managements sind. Wir gehen hierzu auf die folgenden drei Aspekte ein: Schaffen von Next Practices, sektorübergreifende Lernprozesse und ein verbindendes Führungsklima.

 

Schaffen von Next Practices

Die Suche nach Best Practices führt in der Regel zu den digitalen Champions und Nachhaltigkeitspionieren, die eher für Erfolge in den Stufen zwei und drei stehen. Echte Best-Practice-Beispiele für die Stufe fünf gibt es bislang erst wenige. Unternehmen sollten daher beginnen, eine erfolgreiche Next Practice selbst zu schaffen.

 

Sektorübergreifende Lernprozesse

Die Gestaltung von Stakeholder-Ökosystemen ist eine Gemeinschaftsaufgabe von Politik, Wissenschaft, Wirtschaft und Gesellschaft. Die Verantwortlichen stehen vor der Aufgabe, gemeinsam agile intersektorale Programme für Themen wie Datensouveränität, Digital GreenTech und eine grüne Wasserstoffwirtschaft umzusetzen. Aus den Lernprozessen in diesen Programmen können sich dann Next Practices ergeben.

Ein Beispiel ist die Initiative Catena-X, bei der ein von BMW uns SAP initiiertes Konsortium ein Innovationsnetzwerk zur nachhaltigen Digitalisierung der Automobilwertschöpfung aufbaut.17 Ein wichtiges Ziel besteht in der Verringerung der Abhängigkeit von den großen IT-Konzernen aus den USA, die das Geschäft mit Cloud-Diensten dominieren. Zentrales Element ist ein Connector, der durch Standardisierung den Datenaustausch zwischen den Akteuren erleichtert. Catena-X basiert auf den Grundprinzipien von Gaia-X, dem europäischen Projekt zum Aufbau einer eigenen Cloud-Infrastruktur. Man hat jedoch aus dessen zu langsamen, bürokratischen Vorgehen gelernt und möchte eher wie ein Schnellboot operieren.

 

Verbindendes Führungsklima

Der Erfolg derartiger Programme hängt von der Entstehung eines verbindenden Führungsklimas ab. Entscheidende Impulse können dabei von Vorbildern und ihren Erfahrungen ausgehen. Für deren Verbreitung kommt der Personalentwicklung eine wichtige Rolle zu.

In meiner praktischen Tätigkeit als Senior Advisor, Führungskräfte-Coach und Hochschullehrer unterstütze ich Projekte zur Anwendung des Themas Strategie 5.0. Eine Grundlage hierfür bildet unser neuer Managementkurs.

 

Fazit

  • Unternehmen müssen gegenwärtig eine Reihe neuer strategischer Herausforderungen gleichzeitig bewältigen
  • Diese Situation erfordert eine Weiterentwicklung des strategischen Managements. Diese baut auf den vorhandenen vier Entwicklungsstufen auf und verbindet sie
  • Wir bezeichnen die nächste Entwicklungsstufe eines verbindenden strategischen Managements (VSM) als Strategie 5.0
  • Eine wichtige Aufgabe im Rahmen von Strategie 5.0-Prozessen ist die gemeinsame Gestaltung von Stakeholder-Systemen mit Disruptionswirkung. Dies erfordert konnektive Fähigkeiten.
  • Unternehmen sollten beginnen, beim Thema Strategie 5.0 erfolgreiche Next Practices zu schaffen

 

Literatur

[1] Freise, P., Mehr Stärke für die Zukunft. In: Handelsblatt, 15. Juni 2022, S. 48

[2] Porter, M.E. Competitive Advantage – Creating and Sustaining Superior Performance, New York 1985

[3] Rappaport, A., Creating Shareholder Value – The New Standard for Business Performance, New York 1986

[4] Freeman, R.E.: Strategic Management – A Stakeholder Approach, Cambridge 2010

[5] Servatius, H.G., Methodik des strategischen Technologiemanagements – Grundlage für erfolgreiche Innovationen, Berlin 1985

[6] Kaufmann, T., Servatius, H.G., Das Internet der Dinge und Künstliche Intelligenz als Game Changer – Wege zu einem Management 4.0 und einer digitalen Architektur, Wiesbaden 2020

[7] Hargadon, P., Sustainable Innovation – Build Your Company’s Capacity to Change the World, Stanford 2015

[8] Brunnermeier, M.K., Die resiliente Gesellschaft – Wie wir künftige Krisen besser meistern können, Berlin 2021

[9] Hitachi-UTokyo Laboratory (Hrsg.), Society 5.0 – A People-centric Super-smart Society, Singapur 2020

[10] Stadler, C., Hautz, J., Matzer, K., von der Eichen, F., Open Strategy – Mastering Disruption from Outside the C-Suite, Cambridge 2021

[11] Adner, R., Winning the Right Game – How to Disrupt, Defend and Deliver in a Changing World, Cambridge 2021

[12] Servatius, H.G., Mentoring-Programme für die Entwicklung konnektiver Fähigkeiten. In: Competivation Blog, 10.05.2021

[13] Jones, P., Van Ael, K., Design Journeys Through Complex Systems – Practice Tools for Systemic Design, Amsterdam 2022

[14] Fröndhoff B., Stratmann, K., Wettlauf um Wasserstoff. In: Handelsblatt, 17. Januar 2022, S. 1, 4-5

[15] Imwinkelried, D., Grüner Umbau mit Tücken. In: Handelsblatt, 10. Mai 2022, S. 22

[16] Gusbeth, S., China greift bei grünem Wasserstoff an. In: Handelsblatt, 28. Juni 2022, S. 12-13

[17] Kerkmann, C., Datenstecker für die Autoindustrie. In: Handelsblatt, 21. Juni 2022, S.20

Auf dem Weg zu einem neuen wirtschaftspolitischen Narrativ

Auf dem Weg zu einem neuen wirtschaftspolitischen Narrativ

Angesichts einer Vielzahl von Herausforderungen suchen die Wähler und Wählerinnen nach einer neuen sinnstiftenden Erzählung der Wirtschaftspolitik. Zwischen den Parteien gibt es einen zunehmenden Wettbewerb um ein erfolgreiches Narrativ. Ein wichtiges Thema bei der gestrigen Landtagswahl in Nordrhein-Westfalen war: Klimaschutz und Industrie in Einklang bringen.

 

In unserem Blogpost stellen wir ein mögliches Narrativ zur Diskussion

 

Von einzelnen Maßnahmen zu einer integrierenden Erzählung

Mit ihrem 2020 erschienenen Buch Neustaat haben CDU/CSU-Politiker und Experten einen beeindruckenden Maßnahmenkatalog für eine Neuorientierung der Wirtschaftspolitik vorgelegt.1 Die 103 Vorschläge bedürfen jedoch der Ergänzung um eine integrierende Erzählung als Klammerfunktion für die einzelnen Maßnahmen.

Unter einem solchen neuen Narrativ der Wirtschaftspolitik verstehen wir eine sinnstiftende Erzählung, die Werte und Emotionen transportiert.2 Das Narrativ ist ein Deutungsangebot der Politik zur Bewältigung von Herausforderungen und Krisen.

Aufgrund der Herausforderungen der Digitalisierung und des Klimawandels sowie der durch die Corona-Pandemie und den Krieg in der Ukraine ausgelösten Krisen arbeiten die politischen Parteien in Europa an einem neuen Narrativ für die Wirtschaftspolitik.

 

Zwei Ebenen des neuen Narrativs

Gegenwärtig zeichnet sich die Entstehung eines solchen neuen Narrativs der Wirtschaftspolitik mit zwei komplementären Ebenen ab. Auf der ersten Ebene steht eine konnektive Wirtschaftspolitik, die verschiedene Politikfelder, wie die Innovations-, Nachhaltigkeits-, Digital- und Geopolitik verbindet. Das damit einhergehende Nutzenversprechen für den Wähler sind Problemlösungen, die traditionelle Ressortgrenzen überwinden.3

Auf der zweiten Ebene erfolgen eine gemeinsame Gestaltung von Innovationsfeldern und der Abbau von Innovationsbarrieren. Dies erfordert eine bessere Zusammenarbeit von Stakeholdern aus Politik, Wissenschaft, Wirtschaft und Gesellschaft. Das Weltwirtschaftsforum hat für dieses gemeinsame Design von Stakeholder-Systemen den Begriff Governance 4.0 geprägt.4

 

Lernprozess Innovationsstrategie

 

Das Narrativ einer verbindenden Wirtschaftspolitik steht in Konkurrenz zu anderen Erzählungen, wie z.B. der von einer Mission Economy. Dieses Konzept der Wirtschaftswissenschaftlerin Mariana Mazzuccato orientiert sich am Erfolg des US-amerikanischen Mondflugprogramms.5 Im Mittelpunkt steht die Vorstellung von einer aktiveren Rolle des Staates im Rahmen der Veränderung des marktwirtschaftlichen Systems. Wie genau die neue Zusammenarbeit von Politik und Wirtschaft in der Mission Economy aussehen soll, bleibt jedoch unklar.

Im Folgenden skizzieren wir die beiden Ebenen einer konnektiven Wirtschaftspolitik, die einen Gegenentwurf zur Mission Economy darstellt.

 

Eine Wirtschaftspolitik, die verschiedene Politikfelder verbindet

Ein Innovationsfeld, bei dem die Notwendigkeit einer verbindenden Wirtschaftspolitik deutlich wird, ist die Künstliche Intelligenz. KI wird die Spielregeln des Wettbewerbs von Unternehmen und Staaten weiter verändern.6 In Deutschland bedarf die 2020 fortgeschriebene KI-Strategie der Bundesregierung einer Überarbeitung und Übersetzung in wirksamere Programme.7 Hierfür sind geeignete Formate zur Einbeziehung der Stakeholder zu finden.

Aufgabe einer verbindenden Wirtschaftspolitik wäre es, die Rahmenbedingungen für einen Aufholprozess Europas und seiner Regionen zu verbessern. Dies erfordert eine KI-Strategie, die verschiedene Politikfelder orchestriert. Aufgabe der Bildungs- und Forschungspolitik wäre es, sowohl die Aus- und Weiterbildung zu erneuern als auch die Forschungsförderung gezielter auf den Technologietransfer auszurichten. Eine Digitalpolitik müsste an der öffentlichen Infrastruktur und Verwaltung ansetzen. In den Bereich der Nachhaltigkeitspolitik fällt die Aufgabe, KI-Anwendungen zur Bewältigung des Klimawandels voranzutreiben und den von KI ausgehenden Abbau von Arbeitsplätzen sozialverträglich zu gestalten. Dies alles erfolgt vor dem Hintergrund veränderter geopolitischer Bedingungen, bei denen Europa vor der Herausforderung steht, seine technologische Souveränität zurückzugewinnen und eigene Wertvorstellungen zu verteidigen.

 

Lernprozess Innovationsstrategie

 

Eine solche Verbindung von Politikfeldern erleichtert die Zusammenarbeit von Stakeholdern aus Politik, Wissenschaft, Wirtschaft und Gesellschaft in Innovationsfeldern wie der Künstlichen Intelligenz.

 

Zusammenarbeit von Stakeholdern in Innovationsfeldern

In Deutschland weitgehend unbemerkt ist Ende der 1950er Jahre an der Stanford University im Silicon Valley die agile Innovationsmethode des Design Thinking entstanden.8 Der Nutzen dieser Methode liegt unter anderem in einer Verbesserung der interdisziplinaren Zusammenarbeit ausgehend von einem gemeinsamen Prozessverständnis. In erfolgreichen Digitalunternehmen und Start-ups ist diese Methode seit langem Standard. Manager etablierter Unternehmen, die Design Thinking einführen wollen, sehen sich jedoch häufig in der Rolle von Missionaren, die auf das traditionelle Mindset ihrer Führungskraft treffen. Die Erfahrungen beim Design Thinking liefern reichlich Material für ein gemeinsames Narrativ von Stakeholdern aus verschiedenen Sektoren.

Ein ähnliches Dilemma wie beim Innovationsmanagement besteht nämlich bei der Zusammenarbeit dieser Bezugsgruppen aus Politik, Wissenschaft, Wirtschaft und Gesellschaft, die gemeinsam Innovationsfelder vorantreiben und Innovationsbarrieren abbauen wollen. Es fehlt an einer gemeinsamen Vorgehensmethode und – vielleicht noch wichtiger – an einer verbindenden Grundhaltung als Voraussetzung für erfolgreiche Kooperationen.

 

Lernprozess Innovationsstrategie

 

Zur Überwindung dieser Defizite müssten sich die Akteure aufeinander zubewegen. Wichtig wäre es auch, bei Programmen gemeinsame Ziele und Ergebnisse zu formulieren.9 In innovativen Unternehmen hat sich hierbei die Objectives and Key Results (OKR-) Methode bewährt. Die Schaffung einer neuen Koordinationseinheit wie der Deutschen Agentur für Transfer und Innovation (DATI) mag ein weiterer Schritt in diese Richtung sein, wenn es gelingt Partikularinteressen zu überwinden.10 Hierbei könnte ein gemeinsames Narrativ eine wichtige Rolle spielen.

 

Ein entstehendes Narrativ als Lernprozess

Die verantwortlichen Akteure sollten das entstehende neue Narrativ einer verbindenden Wirtschaftspolitik als Lernprozess begreifen. Interessante Anregungen können dabei von atypischen Erfolgsgeschichten wie der des Impfstoffpioniers BioNTech kommen.11 Darüber hinaus wäre es notwendig, dieses Narrativ auszugestalten und in gemeinsamen Projekten zu konkretisieren. Diese Initiativen können auf regionaler, nationaler oder EU-Ebene starten. Wichtig wäre, aus den gewonnenen Erfahrungen die richtigen Schlussfolgerungen abzuleiten. Ein solcher Prozess hat eher evolutionären als transformativen Charakter, auch wenn das Ergebnis ein grundlegender Wandel sein kann.12 In unserer praktischen Arbeit unterstützen wir Akteure auf diesem Weg und freuen uns auf Ihr Feedback.

 

Fazit

  • Aktuelle Herausforderungen und Krisen haben die Suche nach einem neuen wirtschaftspolitischen Narrativ verstärkt
  • Ein Gegenentwurf zum Konzept der Mission Economy ist die konnektive Wirtschaftspolitik
  • Im Mittelpunkt steht dabei eine Verbesserung der Verbindungen zwischen Politikfeldern und Stakeholdern
  • Ein Beispiel für die Notwendigkeit einer solchen sinnstiftenden Erzählung liefert das Innovationsfeld Künstliche Intelligenz

 

Literatur

[1] Heilmann, T., Schön, N. (Hrsg.), Neustaat – Politik und Staat müssen sich ändern, 2. Aufl., München 2020

[2] Jarzebski, S.: Erzählte Politik – Politische Narrative im Bundestagswahlkampf, Wiesbaden 2020

[3] Delhaes, D., Die Bundesregierung rangelt bei der Digitalpolitik weiter um Kompetenzen. In: Handelsblatt, 25.03.2022

[4] Schwab, K., Die Vision einer Governance 4.0, In: Handelsblatt, 21./22./23. Januar 2022, S. 64

[5] Mazzucato, M., Mission Economy – A Moonshot Guide to Changing Capitalism, Dublin 2021

[6] Kaufmann, T., Servatius, H.G., Das Internet der Dinge und Künstliche Intelligenz als Game Changer – Wege zu einem Management 4.0 und einer digitalen Architektur, Wiesbaden 2020

[7] Die Bundesregierung (Hrsg.), Nationale Strategie für Künstliche Intelligenz – AI Made in Germany, Fortschreibung 2020

[8] Arnold, J.E., Creative Engineering – Promoting Innovation by Thinking Differently, Stanford 1959

[9] Doerr, J., Speed & Scale – An Action Plan for Solving Our Climate Crisis Now, New York 2021

[10] DIHK (Hrsg.), DIHK-Impulspapier zur Deutschen Agentur für Transfer und Innovation (DATI), 10.03.2022

[11] Miller, J., Sahin, A., Türeci, Ö., Projekt Lightspeed – Der Weg zum BioNTech-Impfstoff und zu einer Medizin von morgen, Hamburg 2021, S. 177 ff.

[12] Servatius, H.G., Warum der digitale Wandel evolutionär verläuft. In: Competivation Blog, 09.11.2021

Erfolgreiches Innovationsmanagement erfordert eine verbindende Führung

Erfolgreiches Innovationsmanagement erfordert eine verbindende Führung

Sowohl die erfolgreichen Tech-Konzerne als auch europäische Hidden Champions praktizieren bei ihrem Innovationsmanagement eine spezifische Form der Führung. Im Mittelpunkt stehen dabei verbindende Fähigkeiten.

 

In unserem neuen Blogpost skizzieren wir die Charakteristika einer solchen verbindenden Führung.

 

Krisenbewältigung und Förderung von Innovationen

Krisenzeiten erfordern besondere Führungsfähigkeiten. Die Boston Consulting Group hat weltweit 9000 Angestellte befragt, wie der ideale Chef von morgen aussieht. Dabei herausgekommen sind 15 Kriterien. An der Spitze der Liste stehen1

  • Anerkennung zeigen
  • die Fähigkeit, Teams gut zusammenzustellen
  • Widerstandsfähigkeit
  • Coaching und Weiterentwicklung von Mitarbeitern
  • empathisches Zuhören sowie
  • Selbstreflektion
  • Experimentierfreude und
  • die Bereitschaft, andere zu befähigen

Diese Eigenschaften sind nicht nur für die Krisenbewältigung, sondern auch für das Innovationsmanagement wichtig. Wir wollen daher versuchen, die Frage zu beantworten, was das Besondere bei einer innovationsfördernden Führung ist.

 

Konzeptionelle Lücke bei der innovationsfördernden Führung

Trotz der Fülle an Literatur zu den Themen Führung und Innovation herrschte in der Schnittmenge dieser beiden Disziplinen lange Zeit eine konzeptionelle Lücke.2 Wir gehen daher von der These aus, dass diese spezifische Form der Führung auf der praktischen Anwendung weiterentwickelter klassischer Führungstheorien basiert. Diese notwendige Weiterentwicklung resultiert aus den besonderen Herausforderungen des Innovationsmanagements.

 

Herausforderungen des Innovationsmanagements

Innovationen entstehen aus der Verbindung von kundenorientiertem und lösungsorientiertem Wissen. Von entscheidender Bedeutung sind daher die Fähigkeiten von Innovationsmanagern zur Verbindung dieser Wissensformen. Auch beim Produktmanagement, einem wichtigen Vorläufer des Innovationsmanagements, haben die konnektiven Fähigkeiten zwischen Technologie und Markt sowie zwischen Führung und Produktteam eine große Bedeutung.

Das Innovationsmanagement ist – ähnlich wie das Nachhaltigkeitsmanagement – eine Querschnittsdisziplin, die auf der Fähigkeit zur Verbindung verschiedener Systembausteine basiert. Innovations- und Nachhaltigkeitsmanager sind daher Systemgestalter mit einer besonderen Kompetenz zum Design konnektiver Systeme und einer Verbindung der relevanten Akteure.3 Unsere Forschung zeigt, dass erfolgreiche Innovations- und Nachhaltigkeitsmanager über diese Kompetenz verfügen.

Die unternehmerische Führung der europäischen Hidden Champions beruht auf diesen verbindenden Fähigkeiten. Erfolgreiche Start-ups und die großen Tech-Konzerne nutzen das Potenzial digitaler Technologien zur Gestaltung innovativer Geschäftsmodelle. Für etablierte Unternehmen stellt sich heute vor allem die Aufgabe, eine erneuernde Führung einzusetzen, um den digitalen Wandel zu meistern und Nachhaltigkeitsinnovationen zu realisieren. Hierbei spielt die Verbindung von Umwelttechnik und Digitalisierung (Digital GreenTech) eine wichtige Rolle.

 

Verbindung von zwei Managementebenen

Bei einer solchen erneuernden Führung kommt es darauf an, zwei Managementebenen zu verbinden.4 Die erste Managementebene ist die zentrale Ebene des gesamten Geschäftsmodell-Portfolios. Wichtige Aufgaben dabei sind die Krisenbewältigung, der digitale Wandel der vorhandenen Geschäftsmodelle, der Aufbau der hierzu erforderlichen digitalen Architektur, die nachhaltige Entwicklung der Geschäftsmodelle und die Gestaltung der Zusammenarbeit mit wichtigen Stakeholdern.

 

Lernprozess Innovationsstrategie

 

Die zweite Managementebene ist die dezentrale Ebene, auf der die verschiedenen Ansätze zur Geschäftsmodell-Innovation ablaufen. Wichtige Aufgaben hier sind die Entwicklung kreativer Geschäftsideen und deren erfolgreiche Umsetzung durch agile Innovationsteams. Häufig verfolgt dies in Form einer interdisziplinaren Zusammenarbeit in eigenen Innovationslaboren sowie mit Start-ups und Hochschulen. Die große Herausforderung für die Organisationsgestaltung liegt in einer Verbindung der unterschiedlichen strategischen Verhaltensmuster der Ebenen. Dies erfordert spezifische Führungskompetenzen.

 

Erneuerung mit Connective Leadership

Eine von Jean Lipman-Blumen erforschte theoretische Grundlage für eine solche erneuernde Führung bildet das Connective-Leadership-Konzept.5 Die Leitidee hierbei ist, dass Führungskräfte ihre traditionellen Führungsmuster erweitern müssen. Connective Leadership unterscheidet zwischen drei grundlegenden Mustern mit jeweils drei Verhaltenspräferenzen beim Erreichen von Zielen.6 Bei der traditionellen Führung dominiert häufig das direkte Muster in der Ausprägung einer macht- und wettbewerbsorientieren Führung. Eine verbindende Führung ist stärker instrumentell und beziehungsorientiert. Auf diese Weise gelingt es der Führungskraft, ein vertrauensvolles persönliches Klima zwischen den Akteuren und eine kooperative Zusammenarbeit zwischen Organisationseinheiten zu etablieren.

Einen allgemeinen Rahmen für diese verbindenden Fähigkeiten liefert das Modell der T-shaped Skills.7 Dabei beschreibt der vertikale T-Balken eine Spezialisierung und der horizontale T-Balken die Fähigkeit zur Generalisierung. Eine Weiterentwicklung ist das Pi-Modell nach dem griechischen Buchstaben π.8 Bei diesem Modell liegt die Betonung auf der Verbindung verschiedener Spezialisten und ihrer unterschiedlichen Verhaltensmuster. Hierin besteht eine Kernkompetenz für die erfolgreiche Zusammenarbeit einer etablierten Organisation mit agilen Teams.

Eine neue Aufgabe für die Führungskraftentwicklung ist es daher, die Anwendung dieser verbindenden Fähigkeiten zu fördern.9 Ähnlich wie bei interkultureller Kompetenz hilft es, wenn man beide Seiten aus eigener Erfahrung kennt und wertschätzt. In unserer praktischen Arbeit erproben wir Mentoring-Konzepte zum Training dieser spezifischen Fähigkeiten. Diese Erfahrung fließt auch in meine Hochschullehre ein.

 

Fazit

  • Aus den Herausforderungen des Innovationsmanagements ergeben sich die besonderen Kennzeichen einer innovationsfördernden Führung
  • Eine theoretische Grundlage hierfür liefert das Connective-Leadership-Konzept mit seiner Forderung nach einer Erweiterung traditioneller Führungsmuster
  • Im Mittelpunkt stehen dabei die verbindenden Fähigkeiten z.B. zwischen einer zentralen Managementebene und der dezentralen Ebene agiler Innovationsteams
  • Die Führungskraftentwicklung hat die Aufgabe, diese verbindenden Fähigkeiten zu fördern

 

Literatur

[1] Backovic, L., Einmal Traumchef, bitte! In: Handelsblatt, 8., 9., 10. April 2022, S. 52-53

[2] Hill, L., et al., Collective Genius – The Art and Practice of Leading Innovation, Boston 2014

[3] Servatius, H.G., Piller, F.T. (Hrsg.), Der Innovationsmanager – Wertsteigerung durch ein ganzheitliches Innovationsmanagement, Düsseldorf 2014

[4] Kaufmann, T., Servatius, H.G., Das Internet der Dinge und Künstliche Intelligenz als Game Changer, Wiesbaden 2020, S. 56 ff.

[5] Lipman-Blumen, J., Connective Leadership – Managing in a Changing World, Oxford 2000

[6] Servatius, H.G., Personalführung im Zeitalter eines Connective Managements. In: Competivation Blog, 19.01.2021

[7] Guest, D., The Hunt is on for the Renaissance Man of Computing. In: The Independent, 17. September 1991

[8] Michaels, D., Going Pi-Shaped – How to Prepare for the Work of the Future. In: Forbes, 27. September 2019

[9] Servatius, H.G., Mentoring-Programme für die Entwicklung konnektiver Fähigkeiten. In: Competivation Blog, 10.05.2021

Konnektivität bei Nachhaltigkeitsinnovationen

Konnektivität bei Nachhaltigkeitsinnovationen

In den verschiedenen Entwicklungsphasen der Managementlehre sind spezifische Konnektoren entstanden, die die Aufgaben von Führungskräften verbinden. Die Komplexitätsbewältigung bei Nachhaltigkeitsinnovationen erfordert neue Formen der Konnektivität.

 

In diesem Blogpost erläutern wir die zunehmende Bedeutung eines gemeinsamen Designs von Stakeholder-Systemen für sektorübergreifende Innovationsprogramme von Wissenschaft, Politik, Wirtschaft und Gesellschaft.

 

Green Transition der BASF

Der Chemiekonzern BASF plant einen Systemwechsel, bei dem das Unternehmen fossile Rohstoffe durch biobasierte ablösen möchte. Außerdem soll die Prozessenergie aus grünem Strom statt aus Gas kommen. Weitere Schwerpunkte sind die Entwicklung von CO2-freien Verfahren sowie der weitere Ausbau einer Kreislaufwirtschaft und der Digitalisierung. Das Ziel ist, bis 2050 die CO2-Emissionen auf null zu reduzieren.1 Für diesen Umbau der BASF passt der Begriff Green Transition. Allerdings muss sich hierzu in Deutschland die Versorgungslage mit erneuerbaren Energien verbessern.

Das Beispiel zeigt, dass die Unternehmensführung bei Nachhaltigkeitsinnovationen eine Reihe neuer Herausforderungen zu bewältigen hat. Ein Blick auf die Entwicklung der Managementlehre macht deutlich, welche verbindenden Kräfte in den verschiedenen Phasen entstanden sind. Diese Bindungskräfte bezeichnen wir als Konnektoren.

 

Konnektoren in verschiedenen Entwicklungsphasen der Managementlehre

Die Entwicklung der Managementlehre wurde durch neue Herausforderungen im Umfeld von Unternehmen geprägt. Diese Entwicklung gliedern wir in die folgenden Phasen:

  1. Die klassischen Management-Funktionslehren
  2. die Unterscheidung zwischen einer normativen, strategischen und operativen Managementebene
  3. die Entstehung der Querschnittsdisziplinen Innovations- und Nachhaltigkeitsmanagement sowie
  4. die Erweiterung der Shareholder- zu einer langfristig orientierten Multi-Stakeholder-Perspektive

Am Beginn der modernen Managementwissenschaft standen betriebswirtschaftliche Funktionslehren wie Beschaffung, Produktion, Vertrieb und Finanzen. Zur Bewältigung der damit verbundenen Komplexität bedurfte es spezifischer Konnektoren wie der Personalführung, verschiedener Organisationsformen, des Produkt- und Projektmanagements sowie einer gemeinsamen Kultur, die die Funktionsbereiche von Unternehmen verbinden.2

Als Ergänzung zu diesen Management-Funktionslehren entstanden in einer zweiten Entwicklungsphase die Ebenen eines normativen, strategischen3 und operativen Managements, die durch das Konzept eines integrierten Managements verbunden sind.4 Weitere Konnektoren im Rahmen dieser Entwicklungsphase sind eine Vision und ein Leitbild (Mission) sowie die operative Umsetzung von Strategien und das Performance Management mit Zielen, Leistungsmessgrößen und Ergebnissen.5

 

Lernprozess Innovationsstrategie

 

Eine dritte Entwicklungsphase begann mit der Entstehung der Querschnittsdisziplinen des Innovations-6 und des Nachhaltigkeitsmanagements,7 die klassische Aufgaben durchdringen.8 Der Begriff Nachhaltigkeitsinnovation und das Kunstwort Sustainovation beschreiben die Schnittmengen zwischen diesen Disziplinen.9 Wichtige Konnektoren in dieser dritten Phase sind unter anderem neue Führungsrollen und die Fähigkeit zur Verbindungsarbeit.

 

Neue Führungsrollen und die Fähigkeit zur Verbindungsarbeit

Angesichts der Digitalisierung und des Klimawandels ist neben dem strategischen und dem operativen Management die Bedeutung des Innovations- und des Nachhaltigkeitsmanagements gestiegen. Im Zuge dieser Entwicklung sind neue Führungsrollen wie die eines Chief Innovation Officers (CINO), eines Chief Digital Officers (CDO) und eines Chief Sustainability Officers (CSO) entstanden. Aufgrund der Entwicklungsdynamik verwundert es nicht, dass Unternehmen die verbindenden Rollen dieser Führungskräfte unterschiedlich interpretieren.10 Zwischen dem strategischen und dem operativen Managements sowie dem Innovations- und dem Nachhaltigkeitsmanagement gibt es verschiedene Schnittmengen. wie z.B. das strategische Nachhaltigkeitsmanagement (SNM), die Aufgaben mit einem hohen Koordinationsbedarf beschreiben.

 

 

Innovations- und Nachhaltigkeitsmanager benötigen als Systemgestalter, die verschiedene Systembausteine integrieren und mit anderen internen und externen Akteuren interagieren, eine spezifische Fähigkeit zur Verbindungsarbeit (Nexus Work).11 Zu der Rolle eines internen Brückenschlägers kommt die eines sektorübergreifenden Mittlers zwischen Wirtschaft, Wissenschaft, Politik und Gesellschaft. Das traditionelle Studium der Ingenieur- und Managementwissenschaft vermittelt die hierzu erforderlichen Fähigkeiten nur unzureichend.

Der Personal- und Führungskräfteentwicklung stellt sich daher die Aufgabe, diese verbindenden Fähigkeiten in einer praxisorientierten Weise zu trainieren.12 Unser Kursangebot zum Innovations- und Nachhaltigkeitsmanagement nutzt hierbei den Megatrend Konnektivität als Grundlage.13 Von besonderer Bedeutung ist die Verbindung von Anwendungen mit Technologien ausgehend von einem Connecting the Boxes Mindset.

 

Verbindung von Anwendungen mit Technologien und eine neue Organisationsform

Die Innovationsgeschichte kennt viele Verbindungen zwischen der Kombination vorhandener Technologien und einer neuen Anwendung. Das klassische Beispiel einer solchen rekombinanten Anwendungsinnovation ist die Einführung der Massenproduktion für Fords Modell T im Jahr 1908. Eine wichtige Rolle spielte dabei das Technology Brokering in Form einer Vermittlung von Wissen zwischen etablierten Branchen und der neuen Automobilindustrie. Diese Form von Cross Industry Innovation ist auch für das Thema Nachhaltigkeit von großer Bedeutung. Ein aktuelles Beispiel ist die Übertragung der in Erdgasaufbereitungsanlagen entstandenen Carbon Capture and Storage (CCS-) Technologie auf die Zementherstellung.

 

Lernprozess Innovationsstrategie

 

Daneben gibt es auch rekombinante technologische Innovationen mit einer Verbindung von neuen Technologien und einer vorhandenen Anwendung. Viele Neuerungen ausgehend von digitalen Querschnittstechnologien wie dem Internet der Dinge (IoT) und der Künstlichen Intelligenz (KI) basieren auf diesem Prinzip. Eine neue Form der Konnektivität entsteht durch die Verbindung von neuen digitalen Technologien und Umwelttechnik (Digital GreenTech) mit einer vorhandenen Anwendung. Ein Beispiel ist der Einsatz von KI im Wertstoffkreislauf der Papierindustrie.

Eine wichtige Erkenntnis ist, dass die Unsicherheit von Innovationen bei vorhandenen Anwendungen oder vorhandenen Technologien geringer ist als beim Typus der Systeminnovation, die durch neue Technologien und Anwendungen gekennzeichnet ist. Dabei beschreibt der Begriff Unsicherheit ein Risiko mit unbekannter Eintrittswahrscheinlichkeit und schwer abschätzbaren Folgen.

Die Umsetzung dieser Konnektivität von Anwendungen und Technologien erfolgt in führenden Digitalunternehmen mit Hilfe einer neuen Organisationsform. Eine solche Organisation verbindet agile Teams mit einer zentralen Ressourcen-Plattform und einem Partner-Netzwerk.14 Das zentrale Element dieser Organisation ist ein KI-basiertes Operating Model, das schnelle Lernprozesse, disruptive Geschäftsmodelle und eine erfolgreiche Skalierung ermöglicht. Von großer Bedeutung ist dabei die vertrauensvolle Zusammenarbeit mit Stakeholdern.

 

Gemeinsames Design von Stakeholder-Systemen und sektorübergreifende Innovationsprogramme

Die Wurzeln der vierten Entwicklungsphase des Managements liegen in einer Erweiterung der einige Jahrzehnte dominierenden Shareholder-Perspektive15 zu einem am langfristigen finanziellen Erfolg orientierten und auch sozial und ökologisch verantwortlichen Multi-Stakeholder Management.16 Zu diesen Bezugsgruppen des Unternehmens zählen

  • Anteilseigner (Shareholder) und Kunden
  • die Wissenschaft und Wertschöpfungspartner (z.B. Start-ups)
  • Politik, Justiz, Verwaltung und Verbände sowie
  • Mitarbeiter, Arbeitnehmervertreter, Umweltbewegungen, Medien und die Gesellschaft insgesamt.

Bei Nachhaltigkeitsinnovationen ist die Bewältigung der Stakeholder-Komplexität von entscheidender Bedeutung.17 Wichtige neue Konnektoren sind daher ein gemeinsames Design von Stakeholder-Systemen und sektorübergreifende Innovationsprogramme.

 

 

Der Leitgedanke eines solchen Stakeholder Systems Co-Design ist es, neue, flexible Pakte zwischen Wissenschaft, Politik, Wirtschaft und Gesellschaft zu schließen, wie es der Covestro-Chef Markus Steilemann vorschlägt.18 Dabei sei ein optimistisches und konstruktives Miteinander gefragt.

Beim Thema Stakeholder-Systeme wird deutlich, dass sich mit einer neuen Entwicklungsphase des Managements auch die Konnektoren der früheren Entwicklungsphasen weiterentwickeln. So erfordert ein gutes Management der Bezugsgruppen eine stärker verbindende Personalführung.19 Aus dem traditionellen Leitbild wird ein gemeinsamer Sinn oder Purpose, der Mitarbeiter, Kunden und Anteilseigner zusammenführt.20

Die spannende Frage ist, wie sektorübergreifende Programme für Nachhaltigkeitsinnovationen, wie z.B. das Thema grüner Wasserstoff, konkret ausgestaltet sein sollen. Ein mögliches, viel zitiertes Vorbild ist das Mondflug-Programm der USA aus den 1960er Jahren und das hieraus abgeleitete Modell einer Mission Economy.21 Dabei ist jedoch zu bedenken, dass sich die Rahmenbedingungen für das damalige Programm grundlegend von den gegenwärtigen Herausforderungen des Klimawandels unterscheiden. Zur Bewältigung der hierbei herrschenden Stakeholder-Komplexität gibt es bis heute keine Blaupause für Organisationen und Staaten. Dies ist eine große Chance für Unternehmen wie die BASF, die mit ihrer Green Transition neue Standards setzen möchten.

Der Übergang zu einer „grüneren Wirtschaft“ erfordert neben einheitlichen Berichtpflichten und passgenauen Bewertungskriterien22 möglicherweise auch entsprechende finanzielle Anreize für die Führungskräfte. Studien zeigen, dass das Thema Nachhaltigkeit in den Vergütungssystemen vieler Unternehmen bislang eher eine Nebenrolle spielt.23

Um zusammen mit Stakeholdern ambitionierte Nachhaltigkeitsziele zu erreichen, ist es wichtig, eine gemeinsame methodische Basis zu haben. Eine solche Methode ist das systemische Design. Entscheidend bei dessen Anwendung ist, dass die Gestaltung des Stakeholder-Systems nicht an die Kommunikationsabteilung delegiert, sondern zentraler Bestandteil einer neuen Führungsagenda wird.

 

Systemisches Design und eine neue Führungsagenda

Parallel zur Managementlehre haben sich seit den 1950er Jahren die Systemtheorien24 und das Design Thinking25 entwickelt und wechselseitig befruchtet, z.B. bei der Entstehung von agilen Konzepten wie Scrum.26 Dabei liegt das Nutzenversprechen der Systemtheorien und des Design Thinking in der Schaffung eines gemeinsamen methodischen Rahmens und Mindsets für die interdisziplinäre Zusammenarbeit bei der Bewältigung komplexer Probleme.

Aus diesen klassischen Konnektoren ist das systemische Design entstanden, das die Systemtheorien mit dem Design Thinking verbindet.27 Diese relativ neue Methodik hat sich bei der Anwendung in sektorübergreifenden Innovationsprogrammen bewährt. Die Akteure aus Wissenschaft, Politik, Wirtschaft und Gesellschaft erhalten hiermit eine Gestaltungsgrundlage, die die Verständigung zwischen unterschiedlichen Bezugsgruppen fördert. Der Ansatz sollte daher zum zentralen Bestandteil einer programmbegleitenden Executive Education werden.

Im Mittelpunkt der sich abzeichnenden neuen Agenda für die Führung steht eine Weiterentwicklung des traditionellen strategischen Managements mit seiner einseitigen Shareholder-Value Orientierung. Dieses mehr als ein halbes Jahrhundert vorherrschende Management-Paradigma bedarf der Ergänzung um Strategien für Nachhaltigkeit und Innovation. Die Umsetzung dieser Strategien erfordert die aktive Mitwirkung der Führungsspitze beim Co-Design von Stakeholder-Systemen. Ein externes Mentoring kann einen wichtigen Beitrag leisten, um Nachwuchs-Führungskräfte auf diese Aufgabe vorzubereiten. Angesichts der neuen Herausforderungen bei der Nachhaltigkeitsberichterstattung ändert sich parallel dazu auch die Agenda des Verantwortlichen für Finanzen in Richtung Sustainable Finance.

Für die Führung in Politik und Wirtschaft hat der Gründer des Weltwirtschaftsforums Klaus Schwab die Vision einer Governance 4.0 skizziert.28 Ein Kennzeichen guter Governance im 21. Jahrhundert ist für ihn, dass Führungskräfte eine nachhaltige Wertsteigerung für alle relevanten Stakeholder anstreben. Diese Grundhaltung ist ein zentraler Ausgangspunkt für die Erfüllung von ESG-Kriterien aus Umweltschutz, sozialen Aspekten und Stakeholder-Management, die auch bei M&A-Aktivitäten immer wichtiger werden.29

 

Fazit

  • In den Entwicklungsphasen der Managementlehre sind spezifische verbindende Kräfte entstanden, die die Komplexitätsbewältigung von Unternehmen unterstützen
  • Die zunehmende Bedeutung des Innovations- und des Nachhaltigkeitsmanagements hat weitere Konnektoren hervorgebracht. Hierzu zählen neue Führungsrollen, die Fähigkeit zur Verbindungsarbeit, das Wechselspiel von neuen Technologien und Anwendungen und schließlich eine neue Organisationsform, die agile Teams und eine zentrale Ressourcen-Plattform mit dem Partnernetzwerk verknüpft
  • Nachhaltigkeitsinnovationen erfordern die aktive Gestaltung des Stakeholder-Systems eines Unternehmens und gemeinsame Programme von Wirtschaft, Wissenschaft, Politik und Gesellschaft. Eine methodische Hilfestellung leistet dabei die neue Methode des systemischen Designs
  • Innovation, Nachhaltigkeit und die Gestaltung des Stakeholder-Systems gehören zu den zentralen Punkten einer neuen Führungsagenda, die gegenwärtig entsteht

 

Literatur

[1] Fröndhoff, B., Hofmann, S., Schütze, A., BASF startet Umbau. In: Handelsblatt, 10./11./12. Dezember 2021, S. 3, 6-7

[2] Servatius, H.G., Komplexitätsbewältigung als Treiber eines Connective Managements. In: Competivation Blog, 31.03.2021

[3] Ansoff, H.I., Corporate Strategy – An Analytic Approach to Business Policy for Growth and Expansion, New York 1965

[4] Bleicher, K., Das Konzept Integriertes Management, Frankfurt 1991

[5] Servatius, H.G., Ebenenmodell für ein Connective Management. In: Competivation Blog, 16.03.2021

[6] Burns, T., Stalker, G.M., The Management of Innovation, London 1961

[7] Elkington, J., Cannibals with Forks – Triple Bottom Line of 21st Century Business, Oxford 1997

[8] Servatius, H.G., Innovations- und Nachhaltigkeitssysteme verbinden klassische Managementaufgaben. In: Competivation Blog, 09.09.2021

[9] Hargadon, A., Sustainable Innovation – Build Your Company’s Capacity to Change the World, Stanford 2015

[10] Servatius, H.G., Piller, F.T.(Hrsg.), Der Innovationsmanager – Wertsteigerung durch ein ganzheitliches Innovationsmanagement, Düsseldorf 2014

[11] Hargadon, a.a.O, S. 80 ff.

[12] Servatius, H.G., Mentoring-Programme zur Entwicklung konnektiver Fähigkeiten. In: Competivation Blog, 10.05.2021

[13] Servatius, H.G., Der Megatrend Konnektivität und seine Treiber. In: Competivation Blog, 26.10.2021

[14] Servatius, H.G., Die Ressourcen-Plattform mit agilen Teams als neue Organisationsform. In: Competivation Blog, 12.01.2021

[15] Rappaport, A., Creating Shareholder Value – The New Standard for Business Performance, London 1986

[16] O’Leary, M., Valdmanis, W., Accountable – The Rise of Citizen Capitalism, New York 2020, S. 148 ff.

[17] Servatius, H.G., Erfolgreiche Nachhaltigkeitsinnovationen mit verbesserten Stakeholder-Beziehungen. In: Competivation Blog, 20.02.2020

[18] Blume, J., Fröndhoff, B., „Alle Ampeln auf grüne Welle stellen“. In: Handelsblatt, 10./11./12. Dezember 2021, S. 24

[19] Servatius, H.G., Personalführung im Zeitalter eines Connective Managements. In: Competivation Blog, 19.01.2021

[20] Servatius, H.G., Nachhaltigkeitsinnovationen als Werttreiber in der Purpose Economy. In: Competivation Blog, 15.10.2020

[21] Mazzucato, M., Mission Economy – A Moonshot Guide to Changing Capitalism, Dublin 2021

[22] Servatius, H.G., Nachhaltige Entwicklung von Unternehmen mit einer Sustainability Map. In: Competivation Blog, 30.11.2021

[23] Palan, D., Grüne Heuchelei. In: Manager Magazin, Januar 2022, S. 116-119

[24] von Bertalanffy, L., General Systems Theory – Foundations, Development, Applications, New York 1968

[25] Arnold, J.E., Creative Engineering – Promoting Engineering by Thinking Differently, Stanford 1959

[26] Sutherland, J.J., The Scrum Fieldbook, New York 2019

[27] Jones, P., Kijima, K. (Hrsg.), Systemic Design – Theory, Methods, and Practice, Tokio 2018

[28] Schwab, K., Die Vision einer Governance 4.0. In: Handelsblatt, 21./22./23. Januar 2022, S. 64

[29] Seibt, C.H., Dealmaker mit gutem Gewissen. In: Manager Magazin, Februar 2022, S. 46

Nachhaltige Entwicklung von Unternehmen mit einer Sustainability Map

Nachhaltige Entwicklung von Unternehmen mit einer Sustainability Map

Angesichts der Vielzahl unterschiedlicher Ansätze zur Nachhaltigkeitsbewertung suchen Unternehmen nach einem geeigneten konzeptionellen Rahmen für ihre nachhaltige Entwicklung. In der Praxis bewährt hat sich dabei eine Sustainability Map.

In unserem neuen Blogpost erläutern wir ein Vorgehen für die nachhaltige Entwicklung in sechs Schritten.

 

Ansätze zur Nachhaltigkeitsbewertung

In der Vergangenheit ist eine Vielzahl unterschiedlicher Ansätze zur Nachhaltigkeitsbewertung entstanden. Eine erste Gruppe von Kriterienkatalogen stammt von überstaatlichen oder staatlichen Institutionen. Hierzu zählen z.B. die Sustainable Development Goals (SDG) der Vereinten Nationen. Daneben gibt es eine zweite Gruppe, die von internationalen Organisationen oder Normungsinstituten entwickelt worden ist. Ein Beispiel ist die Zertifizierung nach ISO 14001 für das Umweltmanagement. Eine dritte Gruppe sind Ansätze von Rating-Unternehmen. Ein Beispiel ist das Environment, Social und Governance (ESG-)Rating von MSCI. Die vierte Gruppe sind Reporting-orientierte Ansätze, wie z.B. die Global Reporting Initiative (GRI).1

Von besonderer Relevanz für europäische Unternehmen ist die neue Nachhaltigkeitstaxonomie der EU. Dazu gehört ein Taxonomie-Kompass mit den folgenden sechs Umweltzielen:2

  1. Klimaschutz
  2. Anpassung an den Klimawandel
  3. nachhaltige Nutzung und Schutz von Wasser- und Meeresressourcen
  4. Übergang zu einer Kreislaufwirtschaft
  5. Vermeidung und Verminderung der Umweltverschmutzung sowie
  6. Schutz und Wiederherstellung der Biodiversität und der Ökosysteme.

Außerdem soll die Berichtspflicht für Nachhaltigkeit ab 2024 von gegenwärtig circa 600 Unternehmen in Deutschland auf 15.000 ausgeweitet werden. Grundlage dafür ist die Corporate Sustainability Reporting Directive (CSRD) der EU.

Für die betroffenen Unternehmen ist dies einerseits mit einem erheblichen Mehraufwand verbunden, es bieten sich andererseits aber auch Chancen. Viele Manager handeln heute jedoch noch eher reaktiv und nicht proaktiv.

 

Vor- und Nachteile unterschiedlicher Vorgehensweisen

Unterschiedliche Vorgehensweisen bei der Nachhaltigkeitsbewertung haben spezifische Vor- und Nachteile. So ist ein Nachteil der Nachhaltigkeitsbewertung ausgehend von externen Kriterienkatalogen die verwirrende Vielfalt der unterschiedlichen Ansätze. Außerdem besteht eine Schwierigkeit in der Anpassung an die spezifische Situation des Unternehmens. Ein Vorteil liegt darin, dass diese Kataloge Anregungen für eigene Ansätze liefern können. Darüber hinaus haben die Vorgaben z.B. der EU und von wichtigen Rating-Agenturen eine gewisse Verbindlichkeit und Relevanz.

 

Lernprozess Innovationsstrategie

 

Der Vorteil von Ansätzen, die vom eigenen Geschäftsmodell des Unternehmens und der eigenen Strategie ausgehen, liegt darin, dass diese eine passgenauere Lösung als Basis für eine erfolgreiche nachhaltige Entwicklung des Unternehmens liefern. Ein Nachteil ist allerdings, dass hierzu möglicherweise eine höhere Aktivierungsenergie erforderlich ist. Außerdem fehlt in vielen Unternehmen bislang noch ein konzeptioneller Rahmen für das praktische Vorgehen. Wir haben diese Situation zum Anlass genommen, einen solchen konzeptionellen Rahmen zu entwickeln. Ein bewährter Ausgangspunkt ist ein Beschreibungsrahmen für nachhaltige Geschäftsmodelle.

 

Der Sustainable Business Model Canvas als Rahmen für Nachhaltigkeitsthemen

Viele Unternehmen arbeiten seit langem mit einem Business Model Canvas zur Beschreibung ihres vorhandenen Geschäftsmodells und der Entwicklung neuer Geschäftsmodell-Bausteine.3 Diese sogenannten Canvas- oder Leinwand-Konzepte berücksichtigen zwar Nachhaltigkeitsthemen nicht, bilden aber eine gute Grundlage für einen Sustainable Business Model Canvas, den Unternehmen an ihre spezifische Situation anpassen können.4 Neben den bekannten Bausteinen enthält dieses Konzept einige Ergänzungen wie z.B. nachhaltige Energien und Ressourcen und eine nachhaltigkeitsorientierte Interaktion mit Stakeholdern. Außerdem wurden im Nachhaltigkeits-Canvas als neue Bausteine die Beiträge des Unternehmens für eine natürliche Umwelt und den sozialen Zusammenhalt hinzugefügt.

 

 

Der Nutzen dieses Konzepts liegt darin, dass Unternehmen einen Rahmen für die systematische Sammlung ihrer relevanten Nachhaltigkeitsthemen bekommen. Damit ist ein Sustainable Business Model Canvas wesentlich differenzierter als z.B. die Nachhaltigkeitstaxonomie der EU.

Von diesem Ausgangspunkt geht dann die nachhaltige (Weiter-)Entwicklung des Unternehmens aus. Mögliche Wege zur nachhaltigen Entwicklung des Geschäftsmodells eines Unternehmens beschreibt die Nachhaltigkeitsstrategie. Dabei unterscheiden wir zwischen den Ebenen

  • einer Identifikation von Nachhaltigkeits- bzw. ESG-Risiken z.B. aufgrund von Treibhausgas-Emissionen
  • der Effizienzsteigerung bei Nachhaltigkeitsthemen z.B. durch erneuerbare Energie sowie
  • inkrementellen oder radikalen Nachhaltigkeitsinnovationen z.B. mit neuen Batterietechnologien.

Die Umsetzung der Nachhaltigkeitsstrategie kann mit Änderungen des Geschäftsmodells verbunden sein

 

Lernprozess Innovationsstrategie

 

Im Folgenden skizzieren wir, wie Unternehmen und ihre Stakeholder die nachhaltige Entwicklung als gemeinsamen Lernprozess gestalten können.

 

Nachhaltige Entwicklung als gemeinsamer Lernprozess

Die nachhaltige Entwicklung eines Unternehmens lässt sich in sechs Schritte eines iterativen Prozesses gliedern. Dieser Sustainable Development Cycle ähnelt Lernprozessen, wie sie aus dem Qualitätsmanagement5 und dem strategischen Management6 bekannt sind. Von entscheidender Bedeutung ist dabei eine Verbesserung der Fähigkeiten des Unternehmens. Dies erfordert eine intensive Zusammenarbeit der Organisationseinheiten und eine gute Interaktion mit relevanten Stakeholdern.

 

 

Im ersten Schritt erfolgt eine Analyse und Bewertung der relevanten Nachhaltigkeitsthemen mit Hilfe der neuen Sustainability Map. In dieser Nachhaltigkeitslandkarte sind die Positionen aller relevanten Themen in einer Matrix dargestellt. Neben dieser statischen Betrachtung verdeutlichen Pfeile mögliche Nachhaltigkeitsaktivitäten.

Die Entwicklung einer Nachhaltigkeitsstrategie ist Gegenstand des zweiten Schritts. Dabei kommt es auf eine Verbindung der Handlungsebenen Risikoidentifikation, Effizienzsteigerung und Innovation an.7 Bei der Strategieentwicklung kann die Zusammenarbeit mit Partnern eine wichtige Rolle spielen. Wegen dieser zwei Arten von Verbindungen zwischen Ebenen und mit Partnern sprechen wir von konnektiven Nachhaltigkeitsstrategien. Anregungen kommen dabei von nachhaltigen Geschäftsmodellmustern.8 Hierzu sind in den letzten Jahren verschiedene Mustersammlungen entstanden.9

Aus der Strategie leitet das Unternehmen dann im dritten Schritt Nachhaltigkeitsziele und Schlüsselergebnisse ab. Dabei hat eine Anwendung der bei Intel entstandenen und durch Google bekannt gewordenen Objectives and Key Results (OKR-)Methode den Vorteil, dass transparente Ziele und Ergebnisse die horizontale und vertikale Koordination fördern.10 In seinem neuen Buch Speed & Scale beschreibt John Doerr, der Chairman des Venture-Capital-Unternehmens Kleiner Perkins, die Anwendung der OKR-Methode bei Nachhaltigkeitsthemen und die Zusammenarbeit von Unternehmen mit der Politik.11

Die Umsetzung der geplanten Aktivitäten zur Risikoidentifikation, Effizienzsteigerung und Innovation erfolgt dann im vierten Schritt. Hieran schließen sich regelmäßige Reviews der Ergebnisse an, aus denen sich Richtungsänderungen ergeben können.

Der sechste und letzte Schritt dieses Sustainable Development Cycles ist die Nachhaltigkeitsberichterstattung. Dabei kann man zwischen einer Erfüllung des rechtlichen Rahmens z.B. der neuen EU-Taxonomie sowie den Möglichkeiten zur wettbewerblichen Differenzierung und Wertsteigerung durch freiwillige Aktivitäten unterscheiden. Unternehmen haben die Wahl, ob sie sich mit der Rolle eines reinen Nachhaltigkeitsregelerfüllers zufriedengeben wollen oder sich auf dem Weg zum Nachhaltigkeitschampion ehrgeizigere Ziele setzen.

 

Analyse und Bewertung von Nachhaltigkeitsthemen mit einer Sustainability Map

In seinem Buch Sustainable Innovation schreibt der US-Professor Andrew Hargadon, dass die effektivsten Innovationsstrategien zur Landschaft passen, in der sie verfolgt werden.12 Hierzu benötigen Unternehmen eine Nachhaltigkeitslandkarte. Unsere Sustainability Map erfüllt diese Funktion.

Der Grundgedanke ist, die Positionen und Aktivitäten des Unternehmens bei wichtigen Nachhaltigkeitsthemen in einer Matrix darzustellen. Die beiden Achsen der Matrix sind

  • die Bewertung von relevanten Nachhaltigkeitsthemen und -aktivitäten sowie
  • die Ebenen einer konnektiven Nachhaltigkeitsstrategie.

Die Bewertung unterscheidet zwischen problematisch, mittel und gut. Die Ebenen sind die Risikoidentifikation, eine Effizienzsteigerung sowie eine inkrementelle oder radikale Innovation.

 

 

So ergibt sich aus einer Analyse und Bewertung der Ausgangssituation bei einem Nachhaltigkeitsthema eine Position in der Matrix. Wenn das Unternehmen z.B. bei einem risikobehafteten Thema nichts unternimmt, so wird sich seine Position vermutlich verschlechtern. Aktivitäten zur vertieften Beschäftigung mit dem Thema führen zu einer Verbesserung. Weiter gehende Aktivitäten zur Risikobewältigung können einen Ebenenwechsel zur Effizienzsteigerung oder Innovation ergeben. Auf diese Weise wird aus der strategischen Landkarte der Positionen eine dynamische Karte der Aktivitäten.

Der Nutzen einer solchen Sustainability Map liegt darin, dass sie allen Akteuren eine Orientierungshilfe liefert und einen Kommunikationsrahmen für die Strategiearbeit schafft.

Ein Beispiel ist die Position eines Automobilunternehmens beim Nachhaltigkeitsthema Recycling von Batterien. Ein effizientes Recyclingsystem reduziert das Risiko einer internationalen Abhängigkeit. Nach Meinung von Experten würde man so bis 2050 ein Viertel des Eigenbedarfs an Kobalt und Nickel decken.13 Die Nachhaltigkeitsstrategie kann aber auch deutlich über ein effizientes Batterierecycling hinausgehen, wie BMW mit seinem Konzeptfahrzeug Vision Circular zeigt, das aus recyceltem Altmaterial und biobasierten Rohstoffen besteht.14

 

Differenziertes Bild der Rollen eines Unternehmens

Größere Unternehmen arbeiten oft gleichzeitig an vielen Nachhaltigkeitsthemen. Eine Landkarte der Nachhaltigkeitspositionen zeigt ein differenziertes Bild der unterschiedlichen Rollen bei diesen Themen. So kann das Unternehmen beim ersten Thema auf der Ebene der Risikoidentifikation als Beobachter agieren, beim Thema zwei als Verbesserer auf Effizienzsteigerung setzen und erwägen, beim Thema drei als Innovator eine Vorreiterrolle einzunehmen. Ein solches differenziertes Bild liefert eine wichtige Grundlage für die Entwicklung von Fähigkeiten und die Verteilung der benötigten Finanzmittel.

 

 

Diese Rollenanalyse verbessert nicht nur die Transparenz nach innen, sondern liefert auch die Grundlage für eine glaubwürdige Interaktion mit externen Stakeholdern. Unsere Erfahrung aus Praxisprojekten zeigt, dass die nachhaltige Entwicklung von Unternehmen mit der Sustainability Map einen wichtigen Beitrag zur Schließung der bislang vorhandenen konzeptionellen Lücke leisten kann, aber ein gewisses Maß an methodischen Fähigkeiten erfordert.

 

Fazit

  • Die neue Nachhaltigkeitstaxonomie der EU und die entsprechende Berichtspflicht führen zu einer intensiveren Beschäftigung von Unternehmen mit ihrem Nachhaltigkeitsmanagement
  • Ein Vorgehen ausgehend vom eigenen Geschäftsmodell und der eigenen Strategie hat deutliche Vorteile
  • Der Sustainable Development Cycle liefert einen geeigneten konzeptionellen Rahmen
  • Dabei bildet eine Analyse und Bewertung von relevanten Themen mit Hilfe der Nachhaltigkeitslandkarte einen wichtigen ersten Schritt zu einer qualifizierten Nachhaltigkeitsberichterstattung

 

Literatur

[1] Ahrend, K.M.: Geschäftsmodell Nachhaltigkeit – Ökologische und soziale Innovationen als unternehmerische Chance, Berlin 2016, S. 49 ff.

[2] Rat für nachhaltige Entwicklung: EU-Taxonomie – So steht es auf dem Weg zur nachhaltigen Wirtschaft, 22.10.2021

[3] Osterwalder, A., Pigneur, Y.: Business Model Generation, Hoboken 2010

[4] Servatius, H.G.: Nachhaltige Geschäftsmodelle durch eine verbesserte Stakeholder-Interaktion. In: Competivation Blog, 11.04.2018

[5] Schmitt, R., Pfeifer, T.: Qualitätsmanagement – Strategien, Methoden, Techniken, 4. Aufl., München 2010, S.34 ff.

[6] Kaplan, R.S., Norton, D.P.: The Execution Premium – Linking Strategy to Operations for Competitive Advantage, Boston 2008, S. 7 ff.

[7] Servatius, H.G.: Konnektive Geschäftsmodelle mit Nachhaltigkeitsrisiken und Innovationschancen. In: Competivation Blog, 13.10.2021

[8] Gassmann, O., Frankenberger, K., Czik, M.: Geschäftsmodelle entwickeln – 55 innovative Konzepte mit dem St. Galler Business Model Navigator, München 2013

[9] Ahrend, a.a.O., S. 72 ff.

[10] Doerr, J.: Measure What Matters – OKRs: The Simple Idea That Drives 10x Growth, London 2018

[11] Doerr, J.: Speed & Scale – An Action Plan for Solving our Climate Crisis, London 2021

[12] Hargadon, A.: Sustainable Innovation – Build Your Company’s Capacity to Change the World, Stanford 2015, S. 7

[13] Hubik, F., Menzel, S.: Wie Autokonzerne grün werden. In: Handelsblatt, 12./13./14. November 2021, S. 22

[14] Hubik, F.: Das Auto als Rohstoffquelle. In: Handelsblatt, 13. September 2021, S. 18-19

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